Seewölfe - Piraten der Weltmeere 277. Roy Palmer
warf er seinen leeren Becher gegen die Wand, daß es schepperte. Henrietta Burke zuckte unwillkürlich zusammen und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. Die Rebellen lachten.
Callaghan stieß einen dumpfen Laut aus und sagte: „Jetzt reicht’s mir aber. Genug mit dem Geschwätz. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht!“
„Sehr gut!“ rief einer seiner Kumpane. „Recht so, Callaghan! Zeig ihr mal, was in dir steckt!“
Wieder grölte die ganze Meute, aber dann erhoben ein paar andere Protestgeschrei, weil sie auf keinen Fall zulassen wollten, daß ausgerechnet Callaghan als erster über das Mädchen herfiel.
Finbar Murphy hob seinen Kopf, blinzelte ein wenig und grinste.
„Ist ja schon gut“, sagte er schläfrig. „Ich weiß, daß ihr Helden seid. Aber ihr solltet endlich euer Maul halten. He, Callaghan! Wann hörst du auf, deine Sprüche zu klopfen? Leg dich lieber aufs Ohr, es könnte gut sein, daß deine Kräfte später noch gebraucht werden.“
Callaghan grinste ebenfalls. „Sie werden jetzt gebraucht, Finbar.“
„Ich hab doch gesagt, ihr sollt sie in Ruhe lassen.“
„Das kann nicht dein Ernst sein.“
Murphy fluchte. „Es ist mein voller Ernst, und wenn du dir das nicht hinter die Ohren schreiben kannst, fliegst du hier als erster raus, verstanden?“
„Finbar“, sagte ein anderer Rebell. „Kannst du nicht mal für eine Weile vergessen, daß du unser Anführer bist? Geh doch selber mal raus und schnuppere ein wenig frische Luft. Die wird dir guttun.“
Murphy drehte sich zu dem Sprecher um. Er grinste immer noch. „Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe?“
Der andere witterte die Gefahr und las die Drohung in Murphys Augen.
„Schon gut“, sagte er einlenkend. „War ja nicht so gemeint. Ich hab nur Spaß gemacht.“
Murphy lachte und stand von seinem Schemel auf. „Ich mache auch bloß Spaß.“ Er ging leicht wankenden Schrittes zu einem der Bierfässer, das sie angestochen hatten, und ließ seinen Becher wieder vollaufen. „Heda!“ rief er. „Wer stößt mit mir an? Callaghan, komm her und laß dir eine Gallone Bier in den Rachen laufen! Du hast doch noch Durst, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Callaghan, dann lachte auch er und erhob sich ebenfalls.
Zwei andere waren inzwischen zu Murphy getreten und hielten ihre Trinkgefäße unter den Zapfhahn. Nach und nach gesellten sich noch mehr Männer hinzu. Finbar Murphy war beschäftigt, er fluchte und füllte die Becher.
Callaghan näherte sich Henrietta Burke. Er konnte noch ziemlich sicher auf seinen Beinen stehen, nur seiner Stimme war anzuhören, wie stark auch er angetrunken war.
„Also, wie ist es, Lady?“ fragte er leise, und der drohende Unterton war nicht zu überhören. „Bist du freiwillig ein wenig nett zu mir, oder muß ich nachhelfen?“
Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Ihr Herz schlug plötzlich schneller, ihr Atem ging rasch und unregelmäßig. Ihr Blick irrte zu Finbar Murphy, doch dessen Gestalt wurde durch die Rebellen verdeckt, die sich vor dem Bierfaß drängten. Murphy dachte in diesem Augenblick nicht daran, sich zu ihr umzudrehen. Vielleicht nahm er an, auch Callaghan stünde längst hinter seinem Rücken.
Callaghan hatte Henriettas verzweifelten Blick verfolgt und bemerkte auch ihre wachsende Panik, die ihr jetzt die Kehle zuzuschnüren drohte. Sein Grinsen schwand, er stand mit halb geöffneten Lippen da, hob beide Hände und rückte noch einen Schritt auf sie zu. Als erstes mußt du ihr den Mund zuhalten, dachte er, damit sie nicht schreien kann.
„Allmächtiger“, sagte Norman Stephens entsetzt. „Das darf nicht wahr sein.“ Für einen Moment war er derart erschüttert, daß er nicht mehr wußte, was er tun sollte.
Zwei Gefangene hatte er bei dem Kampf gegen die kleine Gruppe von Rebellen eingebracht, die so unvorsichtig gewesen, sich ihnen zu zeigen. Jetzt war Stephens mit seinen Soldaten zum River Corrib zurückgekehrt, und hier, in einem schnell ausgewählten Versteck, sollten die Rebellen verhört werden. Endlich hatte er, Stephens, den verdammten Murphy aufgespürt, er würde seinen Gefangenen schon die Informationen aus der Nase ziehen, die er brauchte.
Doch da gab es eine Überraschung.
Hasard und seine Kameraden standen in der Nähe und verfolgten mit gemischten Gefühlen, was geschah. Einerseits wollten auch sie so bald wie möglich den Schlupfwinkel der Rebellen finden, denn am Ende ihrer Aktion winkte der Goldschatz der Spanier, auf den der Seewolf es abgesehen hatte. Andererseits aber waren sie alle gegen Foltermethoden und wollten nicht zulassen, daß Stephens die Gefangenen traktierte.
Hasard stellte sich in diesem Moment die grundsätzliche Frage, ob es nicht doch besser gewesen wäre, George Darren Burkes mehr oder weniger erpresserisches Angebot abzulehnen und lieber zu versuchen, aus dem Kerker von Galway auszubrechen. Doch das wäre mit einem erheblichen Risiko verbunden gewesen, das einzugehen er besonders im Hinblick auf die Gefahr, der er seine Söhne ausgeliefert hätte, nicht gewagt hatte. Also war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mitsamt seinen Männern und den Zwillingen Norman Stephens anzuschließen.
Es war schon eine verdammte Angelegenheit, auf die er sich eingelassen hatte – wie alles, was sie bisher in Irland erlebt hatten, völlig absurd erschien und im Zusammenhang kaum einen Sinn ergab.
An Bord der „Rosa de los Vientos“ aus Cadiz waren sie vor einigen Tagen in Galway an der Westküste Irlands eingetroffen – Hasard, die Zwillinge Philip und Hasard, Big Old Shane, Dan O’Flynn, Batuti, Gary Andrews und Matt Davies. Von hier aus hatten sie so schnell wie möglich nach Cornwall übersetzen wollen, um in Plymouth nach Ferris Tuckers und Brightons Gruppe zu forschen.
Das Schicksal der beiden anderen Gruppen war höchst ungewiß, und Hasard und seine Männer brannten darauf, in Plymouth Genaueres zu erfahren. Sie hofften, bei Doc Freemont wenigstens eine Nachricht ihrer Gefährten vorzufinden.
Doch die Überfahrt nach England war durch ein Zusammentreffen widriger Umstände vorerst vereitelt worden. In Galway hatte es Ärger mit Norman Stephens gegeben, gleich am ersten Tag nach der Ankunft. Stephens war der Kommandant der Söldner-Truppe im Hause Burke, des mächtigsten Clans von Galway, und ausgerechnet er hatte seine Frau Kathryn in der Taverne „Atalia Star“ beim Tanz mit Dan O’Flynn erwischen müssen. Das hatte natürlich Zunder gegeben – und prompt war Dan im Kerker der Burkes gelandet.
George Darren Burke, dieser eingebildete Pfeffersack, hatte Dan wenig später mit unvergleichlicher Arroganz erklärt, daß man ihn wegen seines „Verbrechens“ im Morgengrauen hinrichten würde, und zweifellos hätte er diese Ankündigung auch in die Tat umgesetzt, wenn Hasard Dan nicht durch eine tollkühne Aktion befreit hätte.
Alle acht – mitsamt dem Affen Arwenack – waren sie vor Burkes Söldnern nach The Claddagh geflohen, dem irischen Fischerdorf auf der anderen Seite des River Corrib, und hier hatten sie bei dem kauzigen Liam O’Neagh und dessen Gemeinde vorübergehend Unterschlupf gefunden. Fast hätte es wieder Arger gegeben, weil Batuti aus Unwissenheit eine merkwürdige Hochzeitszeremonie – die Entführung der Braut Sinaid Leenane – gestört hatte, doch dann hatte Hasard den Irrtum aufklären können. Liam O’Neagh hatte ihm einen Einmaster gegeben, mit dem die Seewölfe zu den Aran-Inseln gesegelt waren. Dort aber waren sie James McPherren, dem Kommandanten des Burke-Stützpunktes auf Inishmore, in die Hände gefallen, und der hatte sie sofort in Ketten legen lassen.
So waren sie auf höchst um ühmliche Weise nach Galway zurückgekehrt und im Kerker der Burkes gelandet. George Darren Burke hatte sie vor die Wahl gestellt: entweder ließ er sie hinrichten, oder aber sie leisteten ab sofort Dienst in seiner Truppe.
Da Hasard inzwischen durch Seamus Muldeen, einen Mitgefangenen, von dem spanischen Goldschatz erfahren hatte, der bei den irischen Rebellen verborgen sein sollte, war ihm die Entscheidung in jenem Moment leichtgefallen, er hatte zugestimmt, sich dem Kommando von Norman Stephens