Seewölfe - Piraten der Weltmeere 325. Davis J.Harbord
waren auch dabei – und noch ein Faß. Was war da denn drin?
Sverre Olsen kostete. He-he! Das war doch Rum! O Mann! Einmal in seinem Leben hatte Sverre Olsen Rum getrunken. Der Kapitän eines holländischen Handelsfahrers hatte ihm eine Flasche geschenkt. Vor zwei Jahren war das gewesen. Als die Flasche leer gewesen war, hatte Sverre Olsen überkreuz gepeilt und die Kimm doppelt gesehen. Hastig verspundete er das Faß, aus dem es so verlockend duftete. Es ging ja nicht an, daß er sich hier einen andudelte, noch dazu mit Rum, der ihm nicht gehörte.
Die dritte Entdeckung Sverre Olsens war dazu angetan, ihn vollends ins Bockshorn zu jagen.
Die beiden Kerle waren stinkreich, jawohl! Die waren so reich, daß sie sich statt dieser armseligen Schaluppe eine ganze Galeone hätten kaufen können – und dann wären sie immer noch reich gewesen.
Waren das Schatzräuber?
Die Truhe, die Sverre Olsen aufgeklappt hatte, enthielt mehrere Lederbeutel voller erlesener Perlen, eine Kassette mit Goldmünzen, eine mit Silbermünzen, eine mit funkelndem Schmuck und weitere Lederbeutel mit Edelsteinen.
Es war nicht zu fassen.
Sverre Olsen hätte sich an diesen Schätzen bereichern können, aber er tat es nicht. Er war ein ehrlicher Mensch. Nein, daran dachte er nicht. Seine Gedanken wirbelten in andere Richtungen und beschäftigten sich mit der Frage, woher, um alles in der Welt, diese Schätze wohl stammen mochten und wie sie in den Besitz der beiden Kerle gelangt waren. Hatten sie sich deshalb so erbittert gewehrt, die Schaluppe kontrollieren zu lassen?
Da war ein Verhör mit den Kerlen fällig.
Sverre Olsen versiegelte die Truhe, ließ einen Posten vor der Schaluppe aufziehen, dem er die strikte Order gab, niemanden an Bord zu lassen, und eilte zur Kommandantur, um dem Hafenkapitän Bericht zu erstatten.
Eric Hornborg, der Hafenkapitän, war ein dicklicher Mensch, pausbackig wie ein Engelchen, nur pflegen Engelchen keine Knollennase und listige Äuglein zu haben. Aber sonst stimmte der Vergleich, denn Engelchen sind auch keine Draufgänger, sondern friedliche Wesen mit sanftem Gemüt. Also, ein Draufgänger war Eric Hornborg nicht, und die durchaus manchmal auch gefährlichen Klippen seiner Tätigkeit als Hafenkapitän pflegte er mit List und Tücke zu umschiffen. Außerdem hatte er ja tüchtige Leute wie den Leutnant Sverre Olsen und die anderen Kapitäne der Wachboote samt deren Besatzungen.
Na ja, vor zwei Monaten hatte er wegen des verdammten Sund-Piraten Aage Svensson arg in der Klemme gesteckt, aber mit ein bißchen Geschick und gutem Zureden war es ihm gelungen, diese englischen Teufelskerle unter ihrem Kapitän Killigrew gegen die Piraten zu mobilisieren. Sie hatten Svensson und seine Bande zur Strecke gebracht, und im Sund war wieder Ruhe eingekehrt – bis auf die Sache heute mit den beiden Kerlen.
Jetzt lauschte er dem weiteren Bericht Sverre Olsens und staunte nicht schlecht, was der Leutnant alles in der Schaluppe entdeckt hatte. Da waren ihnen ja zwei seltsame Vögel ins Netz gegangen.
„Hm-hm“, sagte er, als Sverre Olsen geendet hatte. Und noch einmal: „Hm-hm.“ Dann faltete er die Patschhändchen und drehte die Würstchendaumen umeinander, was er immer tat, wenn er nachdachte. Sverre Olsen kannte das schon und schaute geduldig zu. Am liebsten hätte er auch Däumchen gedreht. Es war so beruhigend. Aber es stand ihm nicht zu, den Hafenkapitän zu kopieren.
Jetzt stützte der Hafenkapitän die beiden Würstchendaumen gegeneinander, so saß sie ein Dach bildeten, und sagte vorsichtig: „Was meinen Sie, Olsen, ob das Piraten sind?“ Das Wort „Piraten“ sprach er aus, als handele es sich um Mehlwürmer oder sonst was Grausliches.
„Auszuschließen ist das nicht“, sagte Sverre Olsen etwas unschlüssig, weil er die beiden Kerle nach wie vor nicht einordnen konnte. Einerseits hatten sie sich als harte und gewitzte Kämpfer entpuppt, andererseits hatten sie niemanden totgeschlagen. „Wenn man“, fuhr er fort, „ganz üble Schnapphähne – wie etwa Aage Svensson – als Piraten bezeichnet, dann trifft das eigentlich für diese beiden Kerle nicht zu. Es sind wilde und rauhe Burschen, aber keine Schlagetots. Ihre Schaluppe haben sie meisterhaft beherrscht, genauso meisterhaft haben sie gekämpft, der eine mit den Fäusten, der andere mit der Pinne als Holzprügel. Ich hatte den Eindruck“, Sverre Olsen räusperte sich, „also ich hatte den Eindruck, als bereitete es ihnen einen Heidenspaß, sich mit unseren Seesoldaten herumzuprügeln.“
„Ich bitte Sie!“ Der dicke Hafenkapitän runzelte die Stirn. „Wie kann man an so etwas Spaß haben? Das ist doch barbarisch – und dann noch mit den Fäusten oder einem Holzprügel. Warum haben sie nicht mit dem Degen oder Säbel gefochten?“
„Das weiß ich nicht. Vielleicht wollten sie niemanden ernsthaft verletzen.“
„Wir werden sie uns mal vorknöpfen“, sagte der Hafenkapitän und erhob sich ächzend hinter seinem Schreibtisch.
Zusammen mit Sverre Olsen suchte er den Zellentrakt auf.
Der Ohrring-Mann und der Fell-Mann waren wieder bei Bewußtsein. Man hatte ihnen die Fesseln abgenommen, da sie hinter den Gittern auf Nummer Sicher saßen. Die andere Zelle war leer.
Der Fell-Mann hatte mächtig aufgebraßt. Er rüttelte an dem Gitter und feuerte volle Breitseiten von Schimpfnamen auf Sverre Olsen ab.
Der kriegte wieder seine roten Ohren, als ihn der Fell-Mann einen dänischen Lümmel, einen abgewrackten Hurensohn und eine schiefgetakelte Vogelscheuche nannte. Na, das war noch harmlos gegen die Tiere, mit denen er verglichen wurde. Eine schwangere Kakerlake war auch dabei.
Schließlich verlangte der Fell-Mann, mit seinem Kumpan sofort freigelassen zu werden.
„Wenn Sie hier weiter herumrandalieren“, sagte der Hafenkapitän, „werden Sie ein paar Wochen einsitzen – jedenfalls so lange, bis man sich vernünftig mit Ihnen unterhalten kann.“
„Hast du hier auch was zu sagen?“ fuhr ihn der Fell-Mann an.
„Ich bin der Hafenkapitän“, sagte der Dicke mit Würde. „Als solcher bin ich befugt und habe das Recht, Fragen zu stellen. Sie hatten die Absicht, sich der Sundkontrolle zu entziehen, und haben das auch mit roher Gewalt zu verhindern gesucht. Das reicht, um sie hier ein paar Wochen schmoren zu lassen. Woher kommen Sie, wohin wollten Sie?“
„Wir segeln so spazieren“, erklärte der Fell-Mann pampig.
„Das ist keine Antwort.“
„Na schön, dann ist das eben keine Antwort“, knurrte der Fell-Mann. „Und jetzt will ich dir mal was sagen, du Dickmops! Wir haben es nicht nötig, uns von dänischen Lümmeln kontrollieren zu lassen. Die See ist frei und gehört niemandem. Wir haben das Recht, hinzusegeln, wohin es uns paßt. Niemandem sind wir darüber Rechenschaft schuldig. Soweit kommt’s noch, daß an jeder Pißecke einer steht, kontrolliert und Zollgebühren erhebt. Eine Sauerei ist das, jawohl! Und jetzt laß uns raus aus diesem Bums, sonst passiert was!“
„Sie scheinen nicht zu begreifen, daß Sie sich ins Unrecht gesetzt haben“, sagte der Hafenkapitän verärgert. „Der Sund ist eben keine freie See, wie Sie das bezeichnen. Wer ihn passieren will, muß dafür bezahlen …“
„Aasgeier!“ schnaubte der Fell-Mann.
„Ihre Beleidigungen ändern daran nichts“, erklärte der Hafenkapitän. „Im übrigen waren Sie dabei, eine erhebliche Menge an Waffen und ein beträchtliches Vermögen in Form von Perlen, Edelsteinen, Schmuck sowie Gold- und Silbertalern in die Ostsee einzuführen. Was bezweckten Sie damit?“
„Mit den Waffen“, brüllte der blonde Klotz, „wollten wir euch verdammten Schnüfflern Feuer unter dem Arsch machen, und die Klunker sind dazu da, die Puppen tanzen zu lassen!“
„Wenn das so ist“, sagte der Dicke und grinste freundlich, „dann haben wir ja noch einen Grund, Sie hier für längere Zeit zu beherbergen. Na, wir werden sehen, wer den längeren Atem hat.“
Und damit verließen der Hafenkapitän und Sverre Olsen den Zellentrakt. Die wilden Flüche überhörten sie.
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