Seewölfe Paket 12. Roy Palmer
in Küstennähe härter und lehmiger erschien als hier, am Saum des Dschungels.
Im Busch erwachte das Leben. Bunte Vögel flatterten zwischen den Baumriesen auf und ab und stießen empörte und warnende Schreie aus. Äffchen keckerten, Insekten tanzten im ersten Morgenlicht, und irgendwo verschwand ein scheues Reptil lautlos im verfilzten Unterholz. Neugierige Augen schienen die Männer zu beobachten.
Sir John, der karmesinrote Aracanga, der mit Carberry die „Isabella“ verlassen hatte und bisher zahm und sittsam auf der Profos-Schulter gehockt hatte, erhob sich mit einem krächzenden Laut in die Luft und flog zu seinen Artgenossen. Hier fühlte er sich in seinem Element, hier war er ja praktisch zu Hause, denn Carberry hatte ihn seinerzeit bei einer Fahrt auf dem Amazonas aufgelesen.
Der Seewolf beschloß, den Waldrand in südlicher Richtung abzuschreiten. Vorerst wollte er nicht in das Dickicht eindringen.
Er hatte Glück mit seiner Strategie: Nicht sehr viel später trafen sie hart am Saum des Dschungels auf eine Quelle, die aus einem kleinen Gesträuch hervorsprudelte.
Hasard bückte sich und untersuchte zunächst, ob sich in dem Gebüsch etwa Schlangen verborgen hielten. Aus Erfahrung wußte er, daß besonders die giftigen Exemplare mit Vorliebe in den frühen Morgen- und während der späten Nachmittagsstunden die Nähe des Wassers anstrebten, um ihren Durst zu löschen.
Big Old Shane und Ben Brighton standen schon mit ihren Entermessern bereit, um nötigenfalls auf die Reptile einzuschlagen, aber ihre Vorsicht erwies sich in diesem Fall als übertrieben.
„Die Quelle ist sauber“, sagte Hasard. „Um so besser, das erspart uns eine längere Säuberung und unliebsame Überraschungen. Mal sehen, wie das Wasser schmeckt.“
Er wollte beide Hände zu einer Art Schale formen, um etwas von dem Naß zu schöpfen, doch plötzlich hielt er inne und hob lauschend den Kopf.
„Hört ihr das?“ fragte er.
„Sicher, Sir“, erwiderte Ferris Tukker. „Der Dschungel ist voller merkwürdiger Geräusche, und man muß sich wundern, daß man bei dem Lärm überhaupt noch sein eigenes Wort versteht.“
„Unsinn, Ferris, das meine ich nicht. Ich habe ganz deutlich einen Schrei gehört.“
„Du meinst – den Schrei eines Raubtiers?“ fragte Smoky, der Decksälteste.
Der Seewolf schüttelte den Kopf und richtete sich auf. „Nein. Das war der Ruf eines Menschen, und wenn mich nicht alles täuscht, befindet er sich in höchster Gefahr. Vorwärts, sehen wir mal nach, was da los ist. Der Laut kam von Süden.“
Er lief los und steuerte am Busch vorbei auf die sanften, nur mit Strauchwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Kuppen zu, die im Süden jetzt zu erkennen waren. Ben, Shane, der Profos, Ferris, Blacky, Dan und Smoky schlossen sich ihm an und hatten Mühe, nicht hinter ihm zurückzubleiben. Wieder einmal bewies der Seewolf, daß er nicht nur ausgezeichnete Seebeine hatte. Er lief sehr schnell, mit langen Sätzen, und wich geschickt Unebenheiten und anderen Hindernissen im Gelände aus.
Big Old Shane, der neben Ben Brighton lief, entsann sich der Worte Old O’Flynns. Er hatte den Mahnungen und Prophezeiungen des Alten nie Glauben geschenkt, aber jetzt mußte er doch daran denken.
Plötzlich hakte er mit dem rechten Fuß hinter eine Buschwurzel und geriet ins Taumeln. Um ein Haar wäre er hingefallen, nur durch rasche Beinarbeit und wildes Rudern mit den Armen konnte er sein Gleichgewicht halten. Fluchend lief er weiter.
„Siehst du, Shane“, sagte Dan O’Flynn hinter ihm. „Mein Alter hat mal wieder recht gehabt. Paß bloß auf, daß du nicht noch hinfliegst und dir die Ohren brichst.“
„Der Teufel soll den Alten holen!“ rief Shane. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber der Seewolf drehte sich zu ihm um und gab ihm durch seinen Blick zu verstehen, daß er still sein sollte.
Hasard hatte die letzte Kuppe fast erreicht, die ihn und seine Männer noch vom südlichen Ufer der Insel trennen mußte, und wieder vernahm er jetzt einen Schrei, diesmal erstickt, aber nicht minder verzweifelt als der vorherige.
Er duckte sich zwischen die Büsche, verlangsamte seine Schritte und hielt nach dem Ausschau, was sich offenbar direkt am Ufer abspielte. Von dort war jetzt das rauhe Lachen von Männern zu hören, dann ein paar Worte, die Hasard nicht verstand.
Als er seinen Kopf wieder etwas anhob, konnte er den halbkreisförmigen Streifen weißen Strandes erkennen, auf dem sich mehrere Gestalten bewegten – Männer und Frauen, man brauchte kein Spektiv, um sie unterscheiden zu können.
Ben, Shane und der Profos waren neben ihrem Kapitän, und auch Ferris, Blacky, Smoky und Dan trafen in diesem Moment ein.
Der Seewolf drehte sich zu ihnen um.
„Wir müssen den Mädchen aus der Klemme helfen“, sagte er leise. „Es ist unsere verdammte Pflicht. Versuchen wir also, diese Kerle zu verjagen. Geschossen wird nur im äußersten Notfall, und auch mit den Blankwaffen haltet ihr euch zurück, verstanden? Ich will kein unnötiges Blutvergießen.“
„Aye, aye, Sir“, murmelten die sieben.
Borago blickte plötzlich auf, weil einer seiner Männer einen warnenden Laut ausgestoßen hatte. Borago kniff die Augen etwas zusammen, und seine Miene veränderte sich. Sie wurde hart und undurchdringlich, denn er sah jetzt die acht weißen Männer, die den Hang hinunterstürmten. Keinen Moment gab er sich Illusionen darüber hin, was ihre Absichten sein mochten.
Er sprang auf und griff nach seiner Lanze, die einer der Kumpanen ihm sofort zuwarf.
Er lief los, zwischen Ilana und Oruet hindurch, hielt auf die Fremden zu und rief dabei seinen Leuten zu: „Los, schlagen wir diese Hunde zurück, sie wollen uns nur den Spaß verderben!“
Im Voranstürmen ließ Borago die Fremden nicht aus den Augen und prägte sich ihre Physiognomien genau ein. Der Mann an der Spitze des kleinen Trupps hatte schwarze Haare, eisblaue Augen und ein verwegenes, von tausend Wettern geprägtes Gesicht, das zusätzlich durch eine Narbe gekennzeichnet war, die über seine Stirn und seine eine Wange verlief.
Hinter diesem großen Mann liefen drei Riesen, von denen der eine durch seinen gewaltigen grauen Vollbart auffiel, der zweite durch seinen roten Haarschopf und der dritte durch sein narbiges Gesicht mit dem mächtigen Kinn. Die vier übrigen registrierte Borago als einen etwas untersetzten Mann mit lichtem Haar, einen ziemlich düster wirkenden Dunkelhaarigen, einen jungen Mann mit dunkelblondem Haar und einen Braunhaarigen, der der älteste von allen zu sein schien.
Borago hatten von der „Viracocha“ gehört, von den bärtigen weißen Männern, die mit ihren Schiffen fast überall an der Festlandküste gelandet sein sollten und dort jetzt ihre Herrschaft immer mehr ausweiteten. Einmal hatten er und seine Stammesbrüder von der Nordinsel aus auch einen der großen, stolzen Segler gesichtet, mit denen die Eroberer über die See fuhren.
Die Maracá-Inseln jedoch waren bislang von diesen Männern, die von allen Indios gefürchtet wurden, nicht beachtet worden, und so wußte man hier wenig über ihre Bräuche, über ihre Religion, ihre Waffen und ihre Art.
Vielleicht aber, so dachte Borage, sind sie heute erschienen, um auch uns zu unterwerfen, sowohl Tubuagos Stamm als auch den unseren, und es ist gut, ihnen gleich zu zeigen, mit wem sie es hier zu tun haben.
Er hatte keine Furcht vor diesen seltsamen Männern. Außerdem waren er und seine Kumpane in der Überzahl, so daß er sich leichtes Spiel von einer Auseinandersetzung mit diesen acht Fremden versprach.
Der Schwarzhaarige rief ihm etwas zu, das er nicht verstand. Borago wußte nicht, daß es die spanische Sprache war, und er kannte auch nicht den Indio-Dialekt, dessen der Seewolf sich gleich darauf bediente. Das Sprachengewirr in der Neuen Welt war groß, kein Indio verstand einen anderen Ureinwohner des Kontinents, wenn dieser auch nur hundert Meilen von ihm entfernt wohnte.
„Laßt die Mädchen in Ruhe!“ rief Hasard noch einmal, diesmal wieder auf spanisch. „Haut ab! Verschwindet!“
Er