Seewölfe Paket 12. Roy Palmer
Hucke so voll, daß sie nicht mal mehr nach Hause paddeln können.“
Weder er noch die anderen ahnten, daß es anders kommen sollte – ganz anders.
Ilana und Oruet schritten neben Kewridi her, dem jungen Jäger und Fallensteller. Er stellte ihnen Fragen über Fragen, und sie mußten ihm genau berichten, wie sich die unerfreuliche Begebenheit am Strand zugetragen hatte.
„Das war unverantwortlich von euch“, sagte er schließlich. „Ihr hättet euch ohne Schutz niemals vom Dorf entfernen dürfen, schon gar nicht so früh am Morgen.“
„Es war meine Idee“, sagte Ilana, und ihre Stimme nahm einen beinah trotzigen Klang an. „Aber mein Vater und meine Mutter wußten davon. Dies war nicht das erste Bad, das ich mit meinen Freundinnen genommen habe.“
„Du kennst die Gefahr, die von Surkut ausgeht, und jetzt hast du am eigenen Leib erfahren, wie grausam seine Männer sind.“
„Es wäre besser, überall auf der Insel Späher aufzustellen“, sagte Ilana. „Ich werde meinem Vater dazu raten.“
„Das brauchst du nicht, das übernehme ich“, sagte Kewridi. Während er sprach, warf er immer wieder Blicke zu den weißen Männern hinüber und hielt besonders den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen unter Beobachtung.
„Was hast du an diesen Fremden auszusetzen?“ fragte Ilana ihn plötzlich.
Kewridi schien erstaunt zu sein. „Ich? Nichts. Gar nichts.“
„Doch. Du mißtraust ihnen.“
„Haben sie euch – nackt gesehen?“
„Ja“, erwiderte Oruet. „Und wenn schon.“
„Es gefällt mir nicht.“
„Sie sind anständig“, sagte Ilana. „Sie sind gute, aufrichtige Männer mit einem großen Herz.“
Kewridi verzog den Mund. „Gib es nur zu, du magst sie leiden.“
Ilana lachte so laut auf, daß sich die anderen erstaunt zu ihr umblickten.
„Aber, aber!“ rief sie. „Du bist ja richtig eifersüchtig! Sei doch nicht kindisch, Kewridi.“
„Sei still“, stieß er gepreßt hervor. „Du weißt ja gar nicht, wie töricht es klingt, wenn du so sprichst.“
„Töricht?“ Sie sah ihn tadelnd von der Seite an. „Jetzt beleidigst du mich. Und außerdem – von dir lasse ich mir nichts befehlen. Du kannst mir den Mund nicht verbieten.“
„So keck bist du nur, weil du als Tochter des Häuptlings glaubst, dir besonders viel herausnehmen zu können.“
Ilana wollte ihm eine Antwort darauf geben, doch Oruet trat jetzt zwischen sie und den jungen Mann und sagte leise: „Hört doch auf, ihr beiden. Was sollen die anderen von uns denken?“
Dan O’Flynn stieß Ferris Tucker mit dem Ellenbogen an und sagte: „Weißt du was? Der Bursche da vorn hat einen Zorn auf uns, weil er in die hübsche Ilana verknallt ist und wir ihr aus der Patsche geholfen haben. Viel lieber hätte er sich als rettender Held aufgespielt.“
„Na ja“, meinte der rothaarige Riese. „Ich kann ihn verstehen. Das Mädchen guckt dauernd zu Hasard, und ihre Blicke sprechen Bände.“
„Hör bloß auf“, sagte Smoky, der hinter ihnen schritt. „Das fehlte uns noch, daß sich da irgendwas anbahnt.“
„Unsinn“, sagte Dan. „Hasard ist viel zu reserviert und auf die allgemeine Disziplin bedacht. Er kann sich zurückhalten – und das gleiche erwartet er von uns.“
„Bleibt hart, Leute“, sagte Ferris Tucker. „Haltet durch und seid sittsame Menschen, wenn’s auch schwerfällt.“
Der Dschungel öffnete sich zu einer geräumigen Lichtung, in deren Zentrum die Hütten ringförmig zueinander geordnet waren. Zwei Krieger der Indios, die am Eingang Wache hielten, drehten sich beim Anblick der Ankömmlinge um und stießen Rufe aus. Daraufhin lief im Dorf alles zusammen, was Beine hatte: Männer, Frauen und Kinder, die miteinander zu schwatzen und zu tuscheln begannen und ungeniert auf die Fremden deuteten.
Hasard fiel sofort ein drahtiger Mann auf, der jetzt mitten zwischen die Versammlung trat und beide Hände hob, um für Ruhe zu sorgen. Dieser Mann mochte fünfzig Jahre alt sein, vielleicht auch ein wenig älter, es ließ sich schwer schätzen. Er war mittelgroß und keine sonderlich imposante Erscheinung, doch von seinem ganzen Gebaren ging so viel Autorität aus, daß kein Zweifel daran bestehen konnte: Er war Tubuago, der Häuptling der Ilha de Maracá.
5.
Borago und seine Männer begegneten dem großen Boot des Häuptlings Surkut ungefähr auf halber Strecke zwischen der Ilha de Maracá und der Nordinsel. Vier Kanus begleiteten die große Piragua, in deren Bugpartie Surkut mit erhobenem Haupt und vor der Brust verschränkten Armen stand.
„Ich habe auf euch gewartet!“ rief Surkut seiner Patrouille zu. „Ich habe mir Sorgen um euch gemacht, weil ihr nicht so schnell zurückgekehrt seid, wie ich es mir gedacht hatte! Was ist geschehen?“ Er war ein verhältnismäßig großer Mann, zwar nicht so wuchtig gebaut wie Borago, jedoch gleichfalls kräftig, mit breiten Schultern und grobknochigen Hüften.
Surkut trug einen Federschmuck auf dem Kopf und hatte sich einen blaßroten Umhang um die Schultern geschlungen, den er bei „besonderen Anlässen“ anzulegen pflegte. Die Stunde verlangte nach einem eindrucksvollen Auftritt, denn er rüstete zum Kampf gegen Tubuago und dessen Stamm, wollte die große Insel besetzen und alle Macht an sich reißen.
Das Mienenspiel Surkuts war faszinierend und beunruhigend zugleich. Sein breiter Mund schien fast ständig in Bewegung zu sein. In seinen großen dunklen Augen glomm ein gefährliches Feuer. Von einen Moment auf den anderen konnte der Ausdruck seines Gesichts von Übellaunigkeit in Arroganz umschlagen, von Haß in vorgetäuschte Güte, von Feindseligkeit in Jovialität.
Surkut empfand sich als charismatischer Führer seines kleinen Volkes. Er hatte die Schamanen, die dereinst auf der Nordinsel geherrscht hatten, verbannt und sich eine eigene Religion geschaffen. Seine geräumige Wohnhütte und den Dorfplatz hatte er mit grell bemalten Puppen und holzgeschnitzten Standbildern ausstaffiert. Überall hatte er geheimnisvolle Zeichen auf den Boden gemalt, die seinen Darstellungen zufolge den Hekura, den Geistern, den Weg wiesen, wenn sie das Dorf besuchten.
Auf der Nordinsel gab es genau wie auf der Ilha de Maracá nur jeweils eine Siedlung, in der sich alles Leben konzentrierte, denn ein einziges Dorf war im Falle eines Angriffs von außen leichter zu verteidigen als viele Dörfer. Das Regime, das Surkut führte, war jedoch nicht von Menschlichkeit und Rücksichtnahme bestimmt wie das des Häuptlings Tubuago. Es beruhte vielmehr auf einem diktatorischen Prinzip, das eine ganze Reihe von schweren Strafen für die geringsten Vergehen bereithielt.
Der Mythos, den Surkut mit sich selbst als der zentralen Figur geschaffen hatte, besagte, daß sich dereinst das Blut des Mondes auf die Erde ergossen hatte, um ein Volk von Männern zu gebären – Männer, die als das „grimmige Volk“ ewig Krieg führen sollten gegen alle anderen, irrgläubigen Menschen, ganz gleich, ob sie nun braunhäutig oder weiß waren.
Seit Surkut sein totalitäres Reich errichtet hatte, gab es auf der Nordinsel immer weniger Frauen und Mädchen, denn die Neugeborenen wurden getötet, wenn sie weiblichen Geschlechts waren. Surkut wollte sein Volk von Männern zahlenmäßig stärken – und schien sich nicht der Tatsache bewußt zu sein, wie fatal sein Handeln war.
Borago brachte sein Boot neben die Piragua des Häuptlings. Surkut blickte ihn an und nickte.
„Gut. Ich sehe, ihr tragt Wunden. Ihr habt gekämpft, und ich hoffe, ihr habt möglichst viele der räudigen Hunde, die dem Gekläff des närrischen Tubuago folgen, umgebracht.“
Borago schüttelte den Kopf. „Es war anders.“
Surkuts Augen weiteten