Seewölfe - Piraten der Weltmeere 285. John Roscoe Craig

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 285 - John Roscoe Craig


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Schulterwunde blutüberströmt war. Sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Mit wachen Augen starrten sie die Piraten an, von denen sie in Empfang genommen wurden. Es waren fast noch wüstere Gestalten als diejenigen, denen sie an Land begegnet waren und die sie mit Waffen versorgt und somit vor einer Gefangennahme durch die verräterischen englischen Korsaren bewahrt hatten.

      Le Testu sah, wie Pierre Servan und Jean Bauduc die Stufen zum Achterdeck hinaufschlichen, als hätten sie Pudding statt Muskeln in den Beinen.

      Er konnte nicht ahnen, welche Gefühle in den beiden Piratenkapitänen tobten, die jetzt vor Yves Grammont hintreten und Rechenschaft ablegen mußten.

      Pierre Servan war bleich bis unter die Haarwurzeln. Die Strapazen und der höllische Kampf, dem sie nur mit Mühe hatten lebend entrinnen können, waren vergessen. Jetzt erwartete ihn etwas Schlimmeres.

      Er kannte die Wutausbrüche, Yves Grammonts und wußte, daß er und Bauduc im schlimmsten Fall damit rechnen mußten, von Grammont für ihr Versagen eine Kugel in den Kopf zu empfangen.

      Der Kapitän stand an Steuerbord des Achterdecks neben einem der Geschütze. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte zur „Coquille“ hinüber, die abermals beigedreht hatte. Wahrscheinlich befürchtete Saint-Jacques, zu dicht an die Engländer zu geraten, wenn diese ankerauf gingen und sie mit achterlichem Wind angriffen.

      Pierre Servan und Jean Bauduc blieben vier Schritte hinter dem Kapitän stehen. Sie starrten zu Ferret hinüber, der am Ruder stand und tat, als ob er sie nicht bemerkt hätte.

      Offensichtlich will der Kerl abwarten, ob wir in Ungnade gefallen sind oder nicht, dachte Servan wütend. Verdammt, was können wir dafür, daß uns die Kugeln der Engländer besser getroffen haben als die „Louise“ oder die „Coquille“?

      Servan wagte nicht, Grammont anzusprechen. Innerlich zitternd warteten sie, bis sich der Kapitän umdrehte.

      Jean Bauduc war noch wesentlich unruhiger als sein Kumpan Servan. Die Öffnungen seiner Nase blähten sich unter heftigen Atemzügen. Er hatte die beiden Hände in den riesigen Waffengurt mit den drei Pistolen verkrallt.

      Dann endlich drehte sich Yves Grammont um.

      Das blaue, kalt blickende Auge des Piraten schien Servan und Bauduc zu durchbohren. Mit einer nachdenklichen Geste fuhr er sich durch den blonden Vollbart.

      „Ah, Servan und Bauduc!“ sagte er fast bedächtig. „Ich dachte, ihr seid mit euren Schiffen untergegangen, wie es sich für einen richtigen Kapitän gehört?“

      Bauduc sackte in sich zusammen, Servans Schnauzbart sträubte sich. Niemand sagte etwas. Sie wußten, daß jedes Wort eine Explosion bei Yves Grammont auslösen konnte.

      „Na? Stumm geworden?“ Grammont schob den Kopf vor. „Ich denke, ich kann von meinen Männern erwarten, daß ich einen exakten Bericht erhalte, wenn sie an Bord meines Schiffes zurückkehren!“ Seine Stimme war lauter geworden, aber noch hatte sich sein Gesicht nicht gerötet.

      Servan kannte die Anzeichen genau. Er wußte, daß Grammonts leere Augenhöhle unter der schwarzen Augenklappe zu schmerzen begann, wenn er sich aufregte. Saint-Jacques hatte es ihm einmal erzählt, als sie beide betrunken gewesen waren.

      Noch hatte Grammont die Gewalt über sich nicht verloren, noch tobte er nicht und schlug um sich. Dennoch war sich Servan darüber klar, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann das Unheil über ihn und Bauduc hereinbrechen würde.

      Er entschloß sich, die Flucht nach vorn anzutreten. Sarkastisch dachte er: Ich bin in den letzten Tagen sooft geflohen, da zählt dieses eine Mal auch nicht mehr viel.

      „Ja, Kapitän“, begann er, „Bauduc und ich haben von den Engländern das meiste abgekriegt. Wir haben versucht, was in unserer Macht stand, um unsere Schiffe zu retten, aber die Kanonen der Engländer hatten zu gut getroffen. Uns blieb nichts anderes übrig, als von Bord zu gehen, wenn wir nicht absaufen wollten. Die meisten meiner Männer hat der Tod ereilt, ebenso die von Bauduc. Wir versuchten, die Küste schwimmend zu erreichen, und einige von uns schafften es.“

      „Das sehe ich, Dummkopf!“ begann Yves Grammont zu brüllen. „Erzähl mir keinen Scheiß, den ich selbst miterlebt habe! Ihr Hornochsen habt euch durch ungeschickte Manöver selbst in die Bredouille geritten! Ihr habt diese Schlappe zu verantworten! Ich sollte euch auf der Stelle um Haupteslänge verkürzen!“

      Seine Stimme hatte an Lautstärke immer mehr zugenommen, und jeder an Bord konnte seine Worte verstehen.

      Pierre Servan sah, wie Bauduc neben ihm fast zusammenklappte. Sein dikker Bauch zitterte, als ob er aus der Hose hüpfen wollte. Hoffentlich fällt er nicht vor Grammont auf die Knie und fleht um sein Leben, dachte Servan. Das wäre ihrer beider Ende gewesen, denn der Kapitän haßte nichts mehr als Feigheit, Angst und Unterwürfigkeit.

      Doch Bauduc hatte sich noch in der Gewalt. Es war die Schwäche, die ihn gepackt hatte. Der Marsch durch das Küstenland hatte ihm mit seiner Leibesfülle am meisten zugesetzt.

      Ohne sich um Grammonts Brüllen zu kümmern, fuhr Servan in seinem Bericht fort.

      „Wir konnten uns an Land sammeln, aber wir hatten bemerkt, daß die Engländer zwei Boote abgefiert hatten, die uns verfolgen sollten. Wir schlugen uns in den Wald und trafen dort auf zwei Männer.“

      Seine Stimme war leiser geworden. Er wies über die Schulter in die Kuhl, wo Le Testu und der Korse Montbars standen, aber nicht bis hier herauf blikken konnten.

      „Zwei Hugenotten“, zischte Servan. „Ich konnte ihnen einen Bären aufbinden, daß wir ebenfalls für die Sache der Protestanten kämpfen. Ich erzählte ihnen, daß wir gegen verräterische englische Korsaren gekämpft hatten, die von spanischen Spionen bezahlt werden und Frankreichs Flotte schwächen wollen, damit Spanien Macht über Frankreich gewinnt.“

      Yves Grammonts verzerrtes Gesicht glättete sich etwas. Er hatte viel für Intrigen übrig, aber was Servan ihm da berichtete, schien ihm wenig Sinn zu haben.

      „Warum habt ihr den Kerlen denn etwas erzählen müssen?“ fragte er mißtrauisch.

      „Wir hatten keine Schußwaffen mehr“, sagte Servan. „Wenn die Engländer uns so geschnappt hätten, wären wir nicht in der Lage gewesen, uns zu wehren. Der Hugenotte aber verriet uns ein Waffenversteck in der Nähe, und wir gingen mit ihm dorthin und fanden tatsächlich eine Menge Musketen und Pistolen.“

      „Und dann habt ihr es den Engländern gegeben“, sagte Yves Grammont zufrieden.

      Pierre Servan wand sich.

      „Wir haben mit ihnen gekämpft“, gab er zerknirscht zu, „aber der schwarze Teufel von der ‚Hornet‘ war bei ihnen und hat gekämpft wie ein Berserker.“

      Yves Grammont hatte einen unartikulierten Laut ausgestoßen, der Pierre Servan verstummen ließ. Das Gesicht des Korsaren verzerrte sich zu einer Maske des Hasses. Vor seinen Augen stieg wieder das Bild auf, das ihn seit dem Gefecht mit den Engländern verfolgte: der schwarzhaarige Kerl auf dem Achterdeck der „Hornet“, der mit hochgereckter Faust seinen Leuten Befehle gab und verantwortlich war für die Schmach, die er, Yves Grammont, erlitten hatte.

      „Warum habt ihr ihn nicht getötet?“ brüllte er. „Wieso lebt der Hundesohn noch?“

      „Ich versuchte es“, erwiderte Servan, „aber der Engländer scheint mit dem Teufel im Bunde zu sein. Meine Kugel streifte ihn nur am Arm.“

      Grammont hatte sich das rote Kopftuch von den Haaren gerissen und warf es auf die Decksplanken. Wild trampelte er darauf herum.

      „Warum bin ich nur von Versagern umgeben?“ schrie er. „Überall nur Tölpel und Schlappsäcke!“ Er warf einen wütenden Blick zu Ferret hinüber, der das Steuerrad umkrampft hatte und leicht grinste. „Grins nicht, du Hundesohn, oder ich schieße es dir aus der Visage!“ brüllte er.

      Er tobte über das Achterdeck wie ein Verrückter und schlug sich mit den Fäusten immer wieder auf die dicht behaarte Brust. Dann blieb er ruckartig stehen. Seine


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