Seewölfe - Piraten der Weltmeere 448. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 448 - Roy Palmer


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Neuen Welt englische Piraten ihr Unwesen trieben, und zwar in einer Art und Weise, die an Dreistigkeit, Gerissenheit und verwegenem Draufgängertum nicht mehr zu überbieten war.

      Es gehörte kein sonderlicher Scharfsinn zu der Vermutung, daß auch das, was in der letzten Nacht vor der Hafeneinfahrt und im Hafen von Arica passiert war, auf das Konto dieser Piraten ging. Völlig überraschend und unvermittelt waren sie mit einer Jolle aus der Dunkelheit aufgetaucht – so waren die Geschehnisse inzwischen rekonstruiert worden.

      Sie hatten die Ankerwachen der beiden vor der Einfahrt liegenden Kriegsgaleonen lautlos durch Pfeile getötet und dann die Ankertrossen der Galeonen gekappt. Eine Galeone war auf das steinige Ufer gelaufen, die andere war vom Wind in den Hafen getrieben worden, wo sie mit einer Handelsgaleone kollidierte.

      Alle drei Schiffe waren schwer beschädigt. Am schlimmsten war es um die erste Kriegsgaleone bestellt. Sie war noch nicht vom Felsenufer abgeborgen.

      Der Überfall war der Anlaß für das Patrouillenunternehmen, durch das die Spanier den Feind zu finden hofften. Gleich am frühen Morgen waren vier Schiffe ausgelaufen. Die „Esmeralda“ und die „Castilla“ suchten die Küste nach Norden ab, zwei Kriegsgaleonen taten das gleiche in südlicher Richtung. Nun aber war das Unternehmen für die beiden Karavellen zwangsläufig unterbrochen, denn Don Gaspar de Rojas war so unvorsichtig gewesen, seine Nase in den Rio Tacna zu stecken. Daß er dabei sein Schiff auf eine Untiefe gesetzt hatte, war nur seiner Unfähigkeit zuzuschreiben.

      Jorge Parra war ein drahtiger Mann mit angegrauten Schläfen und einem zerfurchten, kantigen und wettergegerbten Gesicht. Er gehörte weiß Gott nicht zu den Ehrgeizlingen, aber er war stolz darauf, daß er saubere Finger und eine reine Weste hatte.

      Im Dahingleiten der Jolle wuchs sein Zorn auf Don Gaspar. Es war ein verhaltener Zorn, aber er war völlig berechtigt, denn Don Gaspar hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Er war dienstjünger als Parra und zudem arrogant und eitel, unbeherrscht und dumm. Nach Parras Überzeugung war er allenfalls geeignet, eine doppelspännige Kutsche zu fahren, aber keine Karavelle – und schon gar keine Kriegskaravelle.

      Genauer gesagt, er war ein Günstling des Vizekönigs in Lima, dieser Don Gaspar de Rojas. Allein dem Vizekönig hatte er es zu verdanken, daß er zum Capitán befördert worden war. Vor einem halben Jahr hatte er die „Esmeralda“ als Kommandant übernommen. Der vorherige Kommandant war nach Spanien versetzt worden.

      So einfach war das, aber die Praxis brachte zum Vorschein, was für ein Versager Don Gaspar im Grunde war. Parra sah es seinem Gesicht an, wie aufgebracht er war. Auch das war ein Fehler. Statt seinen Männern gegenüber die Ruhe zu wahren und Umsicht zu beweisen, brüllte er sie an.

      Die Jolle legte bei der „Esmeralda“ an. Jorge Parra enterte auf und bereitete sich innerlich auf die Diskussion vor, die sich unweigerlich ergeben würde.

      Parra trat auf das schräge Achterdeck der Karavelle und schaute sich um. Keiner sprach ein Wort, plötzlich herrschte Totenstille.

      Parra brach sie, indem er sagte: „Das ist wirklich Pech. Wir sollten jetzt überlegen, wie wir das Schiff am besten und schnellsten abbergen.“

      „Abbergen?“ stieß Don Gaspar de Rojas hervor. „Unmöglich! Das Leck im Rumpf läßt sich mit Bordmitteln nicht beheben!“

      „Mit den Bordmitteln der ‚Esmeralda‘ und der ‚Castilla‘ zusammen schon“, sagte Parra. Er gewahrte, wie der Erste und der Zweite Offizier ihm kaum merklich zunickten. Ja, es war möglich. Es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, aber die „Esmeralda“ war kein verlorenes Schiff.

      De Rojas schien vor Zorn innerlich überzukochen.

      „Daraus wird nichts!“ fuhr er Parra an. „Sie, Parra, haben mich sofort nach Arica zu bringen!“

      „Wie bitte?“ Parra war verblüfft über diese Forderung. „Was wollen Sie denn in Arica?“

      De Rojas hatte eine hochnäsige, überhebliche Miene aufgesetzt. „Die Antwort will ich Ihnen geben. Ich werde in Arica beim Verbandskommandanten beantragen, daß man mir sofort das Kommando über eine andere Karavelle oder Galeone übergibt, damit ich die Suche nach den englischen Piraten fortsetzen kann.“

      „Verzeihung, aber da kann ich Ihnen nicht ganz folgen“, sagte Parra kühl. „Es dürfte doch wohl richtiger sein, zuerst einmal die ‚Esmeralda‘ …“

      „Was richtiger ist, müssen Sie schon mir überlassen“, fiel ihm de Rojas ins Wort. „Ihre Belehrungen können Sie sich sparen. Im übrigen wäre es am besten, wenn ich sofort die ‚Castilla‘ übernehme, damit wir keine Zeit verplempern.“

      Parra glaubte, sich verhört zu haben. Dann aber platzte ihm der Kragen.

      „Jetzt reicht’s mir aber!“ stieß er hervor. „Señor – Sie vergessen ein paar wichtige Kleinigkeiten!“

      „Zum Beispiel?“ fragte de Rojas von oben herab.

      „Erstens bin ich der dienstälteste Capitán von uns beiden, was besagt, daß Sie mir keine Befehle zu geben haben! Eher wäre es ja wohl umgekehrt der Fall!“

      „Da kann ich nur lachen!“ schrie de Rojas. Er stieß ein paar abgehackte Laute aus, die allerdings kaum wie ein Lachen, sondern eher wie ein Gackern klangen.

      „Zweitens hat ein Kommandant sein Schiff nicht eher zu verlassen, bis es ihm unter dem Hintern wegsackt!“ fauchte Parra. „Und drittens bin ich nicht der Prügelknabe für Ihr unseemännisches Verhalten! Sie sind schließlich auf eigene Faust in die Flußmündung gesegelt, vergessen Sie das nicht!“

      „Welche Rolle spielt das schon?“ erklärte de Rojas.

      „Eine sehr wesentliche! Vor allem, weil Sie versäumt haben, die Wassertiefe zu loten!“

      „Ein Fehler meines Ersten Offiziers! Ich werde ihn dafür …“

      Diesmal war es Parra, der ihn zornig unterbrach. „Nichts werden Sie! Auf einem Kriegsschiff hat der Kommandant den Befehl, und wenn er etwas versäumt, ist es allein seine Schuld! Viertens – als Kommandant eines spanischen Kriegsschiffes haben Sie zuerst einmal die verdammte Pflicht, alles zu tun, um Ihr Schiff freizukriegen!“

      „Ich weiß selber, was ich zu tun habe“, sagte de Rojas pikiert. „Und ich lasse mir von Ihnen noch lange keine Vorschriften machen, Señor Parra.“

      Parra stemmte die Fäuste in die Seiten und schaute sich wieder um. Er war außer sich wie selten zuvor in seinem Leben. Was ihn am meisten in Zorn versetzte, war de Rojas mangelndes Verantwortungsgefühl der Mannschaft gegenüber.

      „Wie ich sehe, haben Sie bisher überhaupt noch nichts unternommen“, sagte er schroff. „Entweder aus Unfähigkeit oder aus mangelnder Entschlußkraft.“

      „Was? Das wagen Sie mir vorzuwerfen?“

      „Es ist meine Pflicht, das zu tun“, entgegnete Parra. Er war richtig saugrob geworden und dachte nicht daran, zurückzustecken. „Sie scheinen die Dienstvorschriften nicht zu kennen, deshalb erkläre ich sie Ihnen noch einmal, Señor. Sie werden dafür sorgen, daß dieses Schiff repariert und abgeborgen wird. Meine Männer und ich werden Sie dabei nach Kräften unterstützen. Aber ich werde Sie nicht nach Arica bringen, und ich denke nicht daran, Ihnen die ‚Castilla‘ zur Verfügung zu stellen.“

      „Das ist – Insubordination!“ brüllte de Rojas.

      Parra schüttelte energisch den Kopf. „Ist es nicht, das wissen Sie so gut wie ich. Und wir haben schon viel zu lange herumdebattiert.“

      „Ich werde mich beim Vizekönig beschweren!“ schrie de Rojas. „Über das ungehobelte Benehmen eines Nichtadeligen! Ich werde dafür sorgen, daß man Sie aus der Marine feuert!“

      „Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“

      „Ich lasse Sie zum Latrinenputzer degradieren!“

      Parra war drauf und dran, de Rojas die Zähne einzuschlagen, aber auch er wußte sich – wie der Erste Offizier


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