Seewölfe - Piraten der Weltmeere 448. Roy Palmer
Erste schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Wo ist der Schiffszimmermann?“ fragte Parra.
Die Antwort erfolgte vom Bootsmann. „Im Achterkastell, Señor!“
„Was hat er denn da zu suchen?“ fragte Parra erstaunt.
„Señor“, erwiderte der Erste Offizier. „Ich habe dem Capitán zwar empfohlen, sofort mit der Ausbesserung der Lecks zu beginnen, aber der Capitán hat angeordnet, zuerst müßten die Schäden in der Kapitänskammer behoben werden.“
„Was für Schäden?“ wollte Parra wissen.
Er verspürte einen bitteren Geschmack im Mund. Offenbar war die Galle dabei, überzulaufen. Was an Bord dieses Schiffes vorging, war unmöglich und verlangte nach einer Bestrafung des Capitáns. Am liebsten hätte er de Rojas sofort festnehmen lassen. Aber das entsprach nicht seiner Art. Nur ein Mann, der hinterhältig und verschlagen wie de Rojas war, handelte so. Parra war aus einem anderen Holz geschnitzt, er verhielt sich auch jetzt noch korrekt und so sachlich wie möglich. Er ahnte jedoch nicht, wie schwer er noch bereuen sollte, nichts gegen de Rojas unternommen zu haben.
Der Erste räusperte sich. Er warf einen Blick auf seinen Capitán, der Parra und ihn seinerseits giftig fixierte. De Rojas würde sich gewiß rächen. Aber das war ihm, dem Ersten, in diesem Moment gleichgültig. Er hatte schon zuviel herunterschlucken müssen, ohne sich irgendwie wehren oder rechtfertigen zu können.
„Durch den Aufprall beim Auflaufen ist die Koje in der Kapitänskammer aus den Fugen geraten“, erklärte er. „Ein Spiegel hat sich aus dem Rahmen gelöst, ist zerborsten und muß mit einem Ersatzspiegel ausgewechselt werden. Außerdem sind zwei Schranktüren verklemmt.“
„Das ist alles?“
„Ja, Señor.“
Parra hatte erneut Mühe, sich zu bezwingen. Dieser adlige Scheißkerl! dachte er. Denkt nur an sich, und das Schiff kümmert ihn einen Dreck!
Mit eisiger Stimme sagte er: „Als der dienstälteste Kommandant befehle ich, daß die Schiffszimmerleute sofort die Lecks im Schiff abdichten. Die Schiffszimmerleute der ‚Castilla‘ werden dabei mithelfen. Ich lasse auch das Reparaturmaterial herüberschaffen, das wir an Bord haben. Ferner wird die ‚Esmeralda‘ mit den beiden verfügbaren Jollen geleichtert, das heißt, alle schweren Lasten werden an Land gebracht. Dabei haben alle Männer mit anzupacken.“
„Ich protestiere!“ brüllte de Rojas.
„Wollen Sie meutern?“ fragte ihn Parra in einem beinahe sanften Tonfall.
De Rojas wollte erneut aufbegehren, aber er registrierte, daß keiner Anstalten traf, ihm beizustehen. Die Offiziere hatten sich bereits ostentativ von ihm abgewandt, um Parras Befehle auszuführen. Er, de Rojas, stand allein da, und er riskierte den Kopf, wenn er weiterhin auf seinen Forderungen bestand. Er hatte keine andere Wahl – er mußte zurückstecken und sich fügen.
Überhaupt, keiner kümmerte sich mehr um ihn. Parra hatte das Achterdeck der „Esmeralda“ jetzt verlassen, um sich unter Deck die Schäden anzusehen. Ferner hatte er seiner Bootscrew befohlen, die Schiffszimmerleute der „Castilla“ herüberzuholen. Es herrschte Betriebsamkeit. Die Seeleute und Seesoldaten der „Esmeralda“ stießen sich untereinander an, warfen Don Gaspar de Rojas hämische Seitenblicke zu und grinsten.
„Das war mal fällig“, sagte einer von ihnen halblaut. „So hat den Hund noch keiner angeschnarcht. Aber da seht ihr, was für ein Schißhase er ist. Er hat den Schwanz eingezogen.“
„Aber dabei bleibt es nicht“, murmelte ein anderer Mann.
Keiner von ihnen ahnte, daß die ganze Szene beobachtet worden war. Nach wie vor waren sie fest davon überzeugt, daß sich kein Gegner in der näheren Umgebung befand. Ein Irrtum, der noch fatale Folgen haben sollte.
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