Seewölfe Paket 22. Roy Palmer

Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer


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wofür ich Ihnen dankbar sein muß. Aber davon wollen wir nicht reden. Nicht jetzt.“ Sein Blick wanderte für einen Moment auf die Bucht hinaus. Dann sah er wieder den Ersten Offizier an. „Was bereitet Ihnen solches Unbehagen in Zusammenhang mit Killigrews Strolchen?“

      „Ich vermute, daß sie sich mit Mister Stewart verbünden werden.“

      „Ja, und?“

      „Daraus könnte dann doch eine ernsthafte Gefahr entstehen.“

      Sir Edward sah den Ersten Offizier an, als studiere er dessen Gedanken.

      „Ihre Rechnung weist einen kleinen Denkfehler auf, Mister Corbett. Sie dürfen die achtzig Mann von der Crew der ‚Dragon‘ nicht zusammen mit Stewart und den Killigrew-Kerlen in einen Topf werfen. Mit den adligen Gentlemen noch viel weniger.“

      Marc Corbett schwieg sekundenlang. Er mußte zugeben, daß er diesen Gesichtspunkt nicht erwogen hatte. Aber wäre Sir Edward früher in der Lage gewesen, solche Überlegungen anzustellen? Es war das Erstaunliche, das mit seiner rätselhaften Wandlung zu tun haben mußte – mit eben jener Wandlung, die wiederum mit ihrem gerade beginnenden Dasein als Schiffbrüchige zusammenzuhängen schien.

      „Sie meinen, Sir Edward, die ‚Dragon‘-Crew würde sich nicht unbedingt mit Killigrews Leuten verbünden?“

      „Genau das. Kennen Sie nicht den Unterschied zwischen anständigen Seeleuten und durchtriebenen Küstenhaien? Wissen Sie denn nicht, zu welcher Sorte diese Sippschaft in Cornwall gehörte?“

      „Doch, Sir, das ist mir durchaus bekannt.“

      „Na also. Dann sollten Sie aufhören, diesen Punkt überzubewerten. Ich denke, es gibt zur Zeit Vordringlicheres, mit dem wir uns beschäftigen müssen.“

      „Allerdings, Sir“, erwiderte der Erste und konnte abermals sein Erstaunen nicht verbergen. Sir Edward entwickelte eine Art von praktischem Denken, die einem geradezu unheimlich erscheinen konnte. „Die Männer haben eine erste Bestandsaufnahme abgeschlossen. Alle sechs Jollen befinden sich in seetüchtigem Zustand, einschließlich der Besegelung.“

      „Ausgezeichnet. Und weiter?“

      „Waffen und Munition konnten wir ebenfalls in genügender Menge bergen. Ich habe veranlaßt, daß die Pulverfässer an einen geschützten und doch ausreichend luftigen Platz in Strandnähe gebracht werden – vorläufig, bis wir eine bessere Lagermöglichkeit haben. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen, Sir.“

      Tottenham lächelte, denn er ahnte bereits, auf was dieser stets praktisch denkende Mann hinaus wollte.

      „Wie sieht es mit den Waffen aus, Mister Corbett?“

      „Musketen, Tromblons und Pistolen in ausreichender Zahl, Sir. Wir können jeden Mann mit mindestens einer Waffe ausrüsten, etliche sogar mit Muskete und Pistole zugleich, wenn es sein muß. Wir haben außerdem bereits Äxte, Sägen und andere Werkzeuge geborgen. Die Proviantvorräte werden für die nächsten paar Tage reichen. Ich meine aber, wir sollten schon heute die erste Gruppe von Männern mit Musketen losschicken. Wir sollten so rasch wie möglich feststellen, ob es auf der Insel jagdbares Wild gibt.“

      „Der Meinung bin ich auch“, sagte Kapitän Tottenham.

      „Außerdem“, fuhr Corbett fort, „sollten wir unverzüglich mit dem Bau von Hütten beginnen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir. Es klingt vielleicht so, als hätte ich vor, mich für einen längeren Aufenthalt auf der Insel einzurichten. Ich halte die Hütten aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit für angebracht. Zum einen wären natürlich die Männer vor Sturm und Regen geschützt. Wichtiger erscheint mir aber, daß wir unsere gesamte Ausrüstung sicher unter Dach und Fach haben. Ich denke also auch an ein kleines Munitionsdepot, das besonders bewacht werden müßte.“

      Sir Edward nickte und dachte eine Weile darüber nach.

      „Ich stimme Ihnen zu“, erwiderte er dann. „Was ich über Killigrews Meute gesagt habe, soll nicht heißen, daß ich das Risiko etwa unterschätze. Ihr Vorschlag ist gut, Mister Corbett. Hütten sind für uns auf jeden Fall von Vorteil.“

      „Dann können wir also mit den Vorbereitungen zum Bau beginnen?“

      „Selbstverständlich.“ Sir Edward nickte. Dann hob er die rechte Hand. „Eins wollen wir dabei aber nicht vergessen, Mister Corbett: Wir müssen den Mannschaften sagen, warum wir die Hütten bauen. Eben als Wetterschutz und letztlich aus Sicherheitsgründen. Denn wenn die Männer das Gefühl haben, wir müßten uns für einen längeren Aufenthalt auf der Insel einrichten, dann könnte das eine demoralisierende Wirkung haben. Wir müssen Ihnen immer wieder vor Augen halten, daß wir so bald wie möglich versuchen werden, eine größere Insel zu finden – wie es ironischerweise die schwarzhaarige Lady des Zweideckers empfohlen hat.“

      Erneut mußte Marc Corbett im stillen zugeben, daß Tottenham auf einen Punkt hingewiesen hatte, an den er selbst noch nicht gedacht hatte. Natürlich – der Arbeitseifer der Männer würde im wesentlichen davon bestimmt werden, wie sie ihre Zukunftsaussichten einschätzten. Neben dem Arbeitseifer spielten Loyalität und Verteidigungswille eine nicht minder bedeutende Rolle.

      „Danke für den Hinweis, Sir“, sagte Corbett. Er zögerte einen Augenblick. Doch dann sagte er sich, daß er mit jener Offenheit antworten konnte, wie sie Sir Edward auch ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. „Ich bitte Sie, Sir, alle erforderlichen Maßnahmen zu überwachen. Ich möchte nicht gern den Eindruck erwecken, daß ich eigenmächtig über Dinge entscheide, die in Ihre Zuständigkeit fallen.“

      Eine Sekunde lang war das schmale Gesicht des Kapitäns wie eine Maske. Marc Corbett fürchtete fast, nun richtig ins Fettnäpfchen getreten zu sein. Doch er täuschte sich. Unvermittelt löste sich Tottenhams scheinbare Anspannung in ein Lachen auf, und er klopfte seinem Ersten Offizier sogar auf die Schulter.

      „Reden Sie getrost, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist, Corbett. Sie erwarten von mir ein bißchen mehr als zuvor, und Sie haben recht damit. Ein Mensch sollte Kritik vertragen können. Das will ich mir hinter die Ohren schreiben.“

      „So habe ich es aber nicht gemeint, Sir“, sagte Marc Corbett erschrocken. „In erster Linie wollte ich zum Ausdruck bringen, daß ich nicht gern meine Kompetenzen überschreite.“

      „Ich weiß, ich weiß.“ Sir Edward klopfte ihm abermals auf die Schulter. „Lassen Sie es gut sein.“ Er stieß sich von der Mangrovenwurzel ab. „Gehen wir jetzt zu den anderen. Ich meine, wir sollten es dem Schiffszimmermann übertragen, die Beschaffung von Bauholz zu leiten. Andere Gruppen können unterdessen die Bauplätze für die einzelnen Hütten vorbereiten.“

      „Ich bin sicher, wir werden schon am Abend die ersten Dächer über dem Kopf haben!“ rief der Erste begeistert. Am liebsten hätte er sich revanchiert und seinem Kapitän ebenfalls einen Hieb auf die Schulter versetzt. Aber er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. Bei aller guten Kumpanei wäre das denn doch ein Schritt zu weit gewesen.

      Ein anderer Gedanke beschäftigte Marc Corbett, als sie den Lagerplatz der „Orion“-Crew erreichten.

      „Ist Ihnen bekannt, Sir, daß sich Mister Stewart die beiden Goldkisten aus dem Besitz von Sir Henry angeeignet hat?“

      Sir Edward blieb stehen und blickte den Ersten entgeistert an.

      „Nein! Sind Sie sicher?“

      „Völlig sicher, Sir. Mehrere Männer und auch ich selbst haben gesehen, wie Stewart nach dem Angriff des Zweideckers mit seiner unbeschädigten Jolle zur ‚Dragon‘ pullte und die beiden Kisten aus dem Achterdeck bergen ließ. Sir Henry hatte keine Chance, sich dagegen aufzulehnen.“

      Tottenham konnte sich eines Lächelns, nicht erwehren. Der sehr ehrenwerte Duke of Battingham war bis zuletzt kreischend auf dem Achterdeck der „Dragon“ herumgehüpft, aber niemand hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, ihn zu retten.

      Einer der riesenhaften Kerle von dem fremden Zweidecker hatte den Zitternden schließlich aufgefordert, den Großmars zu räumen. Dorthin hatte sich der Hochwohlgeborene


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