Seewölfe Paket 22. Roy Palmer

Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer


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Bootsmann zog die Schultern hoch.

      „Wüßte nicht, was ich Ihnen zu erzählen hätte.“

      „Wir müssen an unsere Zukunft denken, Mister O’Leary. Jeder von uns hat sicher andere persönliche Interessen. Im Augenblick aber sitzen wir alle in einem Boot.“

      „Hoffentlich tun wir’s bald“, sagte O’Leary knurrend, „damit wir bald weg sind von dieser verdammten Insel.“

      „Nur, um auf eine andere Insel zu gelangen?“ Sir Robert schüttelte den Kopf. „Nein, damit können wir uns nicht begnügen. Mit der Zukunft meine ich auch das, was uns erwartet, wenn wir nach Hause zurückkehren. Was wollen Sie denn Ihren Freunden erzählen, Mister O’Leary, wenn die sagen: ‚Was? Du warst in der Neuen Welt, wo man Gold und Silber fast von den Bäumen pflücken kann, und du kehrst mit leeren Händen zurück? Wahrscheinlich warst du gar nicht da. Bestimmt flunkerst du uns was vor.‘ Habe ich recht? Mit solchen Fragen müssen Sie rechnen, Mister O’Leary.“

      Der Bootsmann blickte sein Gegenüber betroffen an. Daß Sir Robert nichts anderes bezweckte, als seine schlummernde Gier ans Tageslicht zu holen, ging ihm nicht auf. Denn der Falschspieler traf genau den richtigen Ton. O’Leary konnte sich regelrecht bildlich vorstellen, wie er den Kerlen in der Schenke gegenübersaß und sie sich über ihn amüsierten. Verdammt, ja, es würde schon ein großer Mist sein, mit nichts als leeren Händen aus der Karibik heimzukehren.

      „Stimmt haargenau.“ Er senkte den Kopf. „Aber im Moment geht’s doch wohl ums Überleben, Sir Robert. Wie stellen Sie sich das vor mit dem Mammon? Soll ich mit bloßen Händen eine spanische Galeone angreifen? Oder“, ein Lauern trat in seine Augen, „erwarten Sie etwa, daß ich diesem Stewart die beiden Goldkisten abnehme?“

      Sir Robert Monk winkte entrüstet ab. So etwas hatte er nun wiederum nicht bezweckt.

      „Nicht doch, Mister O’Leary. Die beiden Kisten hat sich Mister Stewart sehr redlich angeeignet. Seien sie ihm also gegönnt. Außerdem ist es doch nichts gegen das, was man wirklich an Land ziehen könnte. Ich denke da ganz besonders an die Ladung der ‚Lady Anne‘.“

      Der Bootsmann riß die Augen weit auf.

      „Die ist futsch, Sir Robert. Da ist nichts mehr zu machen.“

      „Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn ich einen Weg finden würde, um die ‚Lady Anne‘ doch noch zu erwischen – würden Sie mich unterstützen?“

      „Darauf können Sie Gift nehmen“, erwiderte O’Leary begeistert.

      „Na fein. Dann tun Sie mir einen Gefallen und schildern Sie mir genau, was sich ereignet hat, als Sie diesen englischen Piraten und dem schwarzhaarigen Teufelsweib in die Hände fielen.“

      O’Leary nickte grimmig. In der Erinnerung an das Geschehen trat ein seltsames Leuchten in seine Augen.

      „Das ist vielleicht ein Weib“, sagte er heiser. „Mann, die würde ich mir gern noch mal genauer ansehen und …“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als sei ihm bewußt geworden, daß der kumpelhafte Ton unpassend war. „Verzeihung, Sir. Sollte sich nicht so anhören, als ob ich Sie für meinesgleichen halte.“

      Sir Robert winkte gönnerhaft ab.

      „Schon gut, Mister O’Leary. Wenn wir unter uns sind, brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also fangen Sie an. Die ganze Crew der ‚Lady Anne‘ stand wohl ziemlich unter Alkohol, wenn ich richtig gehört habe.“

      „Kann man wohl sagen“, erwiderte O’Leary und grinste. Dann begann er zu berichten, wie man vor Anker gegangen wäre in der Hoffnung, „nackte Indianerweiber“ aufzustöbern. Das nackte Weib, das man dann prompt in einer Lagune entdeckt hätte, wäre natürlich keine Indianerin, sondern die verdammte Piratin gewesen. Und wenn man nicht zu tief in die Humpen geschaut hätte, wäre man in eine solche Falle natürlich nicht getappt. Aber so hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen, und die gesamte Mannschaft einschließlich Sir John Killigrew wäre von dem Seewolf und der Korsarin gefangengenommen worden.

      Umständlich begann O’Leary zu beschreiben, was zu dem Duell zwischen Sir Andrew und Philip Hasard Killigrew geführt und dann ein so verrücktes Ende genommen hatte.

      Sir Robert winkte jedoch ab.

      „Diese Einzelheiten sind für uns nicht so wichtig. Viel wichtiger ist etwas anderes: In welche Richtung haben sich die Piraten gewandt, von denen die ‚Lady Anne‘ übernommen wurde?“

      O’Leary zögerte. Er begriff sehr wohl, daß dies der springende Punkt war. Was, wenn man diesem aalglatten Sir nun doch nicht trauen konnte? Wenn er doch mit seiner Clique unter einer Decke steckte und auch in diesem Fall ein falsches Spiel im Sinn hatte?

      Sir Robert spürte, welche Bedenken dem Bootsmann durch den Kopf gingen.

      „Wir müssen uns gegenseitig klaren Wein einschenken“, sagte er daher. „Ich kann verstehen, daß Sie daran nicht so recht glauben wollen, Mister O’Leary. Deshalb erkläre ich es ganz deutlich: Wir sollten gemeinsam versuchen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren und die Goldbeute zurückzuerobern. Natürlich werden wir das Gold nicht der Krone übereignen, sondern unter uns aufteilen. Genauso, wie das Sir John vorgehabt hat.“

      O’Leary begann zu grinsen. Eben dies war genau nach seinem Geschmack.

      „Wenn das so ist“, sagte er gedehnt, „sind wir uns natürlich einig, Sir Robert. Also, ich habe leider nur gesehen, wie die ‚Lady Anne‘ mit einem Teil von diesen Halunken losgesegelt ist.“ Umständlich begann er zu beschreiben, wie die Karavelle nach Südosten gesegelt sei und damit einen Kurs entlang der Atlantikseite der Bahama-Inseln aufgenommen habe. O’Leary hatte indessen nur eine ungefähre Vorstellung von den Bahamas. Das Kartenmaterial, über das Sir John Killigrew verfügt hatte, war alles andere als das Beste gewesen, was es derzeit für Navigationszwecke in der Karibik gab.

      „Ihr Bericht gibt Anlaß zur Hoffnung“, sagte Sir Robert im Tonfall eines Schulmeisters, der einen besonders willigen Zögling lobt. „Ich kann also davon ausgehen, daß Sie und Ihre Crew mit von der Partie wären, wenn wir die erforderliche Ausrüstung zusammenhaben?“

      „Klar doch“, sagte O’Leary großspurig. „Wir sind alle dabei. Das Wichtigste, was wir brauchen, wären wohl Waffen, denke ich.“

      „Womit Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben“, erwiderte Sir Robert. „Ich möchte Sie allerdings bitten, über unser Gespräch vorerst Stillschweigen zu bewahren. Wir müssen Unruhe vermeiden. Denken Sie an die Crew der ‚Dragon‘.“

      O’Leary nickte eifrig. Er genoß es, so vollständig ins Vertrauen gezogen zu werden. Dieser Monk war schon ein raffinierter Bursche. Wenn es einer schaffte, die ‚Lady Anne‘ zurückzuholen, dann vermutlich er. Denn mit dem alten Killigrew konnte man wohl kaum mehr rechnen.

       4.

      Als er mit dem Bootsmann zur großen Lichtung zurückkehrte, stellte Sir Robert Monk fest, daß Charles Stewart von seinem Kontrollgang offenbar noch nicht zurückgekehrt war. Die Stimmung in seiner Crew schien ihn nicht im mindesten zu interessieren.

      Vor sich hin lächelnd ging Sir Robert auf den Trampelpfad zu, der zum Strand führte. Wenige Minuten später erreichte er das offene Sandgelände. Die Sonnenglut traf ihn mit der Wucht eines Hiebes. Augenblicklich spürte er, wie die Schweißperlen auf seiner Stirn hervorzutreten begannen. Am liebsten wäre er sofort wieder ins Dickicht geflüchtet, wo er immerhin vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt war.

      Aber das Ziel, das er ins Auge gefaßt hatte, ließ ihn durchhalten.

      Er sah, daß Stewart mit seinem einfältigen Leibwächter palaverte. Wahrscheinlich erhielt das Monstrum neue Verhaltensmaßregeln. Die Sorge um die beiden Goldkisten schien das einzige zu sein, was bei dem ehemaligen Kommandanten der „Dragon“ eine Rolle spielte.

      Sir Robert blieb am Rand des Dickichts stehen und mußte grinsen.


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