Seewölfe - Piraten der Weltmeere 310. Frank Moorfield

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 310 - Frank Moorfield


Скачать книгу
sich ebenfalls darüber im klaren, daß es zu gefährlich wäre, die Fahrt bei Dunkelheit fortzusetzen. Zum anderen war es auch wegen der ständigen Lotungen zu umständlich, weil man die Markierungen an der Lotleine mittels einer Laterne ablesen müßte. Da war es schon vernünftiger, den Anker zu werfen.

      Die entsprechenden Befehle dröhnten über die Decks der neuen, von Hesekiel Ramsgate in Plymouth erbauten Galeone. Wenig später ging die „Isabella“ in der Nähe einer der zahlreichen kleinen Inseln vor Anker.

      Die kleine Lotcrew unter dem Kommando Dan O’Flynns enterte an Bord, die Jolle wurde mit einer Vorleine ans Heck der „Isabella“ gehängt.

      Der Seewolf warf einen letzten Blick durch das Spektiv, aber vergebens. So sehr er auch die Kimm absuchte – von dem merkwürdigen „Beschatter“ war nichts mehr zu sehen.

      „Entweder wollen die ebenfalls den neuen Tag abwarten, oder sie planen für die Nacht irgendeine Teufelei“, sagte er zu Ben. „Jedenfalls sind sie verschwunden.“

      „Dann steht uns vielleicht eine neue Überraschung bevor“, meinte der Erste Offizier. „Solange es sich nur um ein Boot handelt und nicht um ein ganzes Geschwader, haben wir kaum etwas zu befürchten. Ich nehme an, daß die Kerle ebenfalls vor Anker gegangen sind. Genug Inselchen zum Versteckspielen gibt es ja. Womöglich haben sie auch ganz die Lust daran verloren, ständig hinter uns herzuschleichen.“

      Hasard zuckte mit den Schultern. „Warten wir’s ab.“

      Wenig später ließ er eine dreiköpfige Ankerwache aufziehen: Roger Brighton, Bens jüngeren Bruder, für achtern, Smoky, den Decksältesten, der schon unter Francis Drake gefahren war, für mittschiffs und Jeff Bowie, den Mann mit der Hakenprothese, für die Back.

      Vorsichtshalber ließ der Seewolf die drei Männer mit Musketen und Blankwaffen ausrüsten.

      Die Nacht verlief ruhig. Die einzigen Geräusche, die an die Ohren der Ankerwachen drangen, waren das Plätschern des Wassers, das in gleichbleibendem Rhythmus gegen die Bordwände schlug, sowie jenes geheimnisvolle Ächzen und Stöhnen im Gebälk der Galeone, das den Seewölfen längst vertraut geworden war.

      Erst der nächste Morgen bescherte der „Isabella“-Crew eine böse Überraschung.

      „Keine besonderen Vorkommnisse“, meldeten die Männer der letzten Ankerwache dem Kapitän.

      In diesem Augenblick zerschnitt ein wütender Schrei die Morgenstille. Er war aus der Kehle von Big Old Shane gekommen, der sich am Heck des Schiffes befand und nach unten deutete.

      Als der ehemalige Schmied von Arwenack-Castle einen Augenblick später die Vorleine hochhielt, mit der man am Vorabend die Jolle an der „Isabella“ befestigt hatte, da begriff jeder, was geschehen war.

      Die Leine war sauber gekappt worden.

      „Und die Jolle? Wo ist die Jolle?“ fragte Paddy Rogers, der Mann mit der prächtigen Knollennase, wenig geistreich.

      „Die Jolle ist weg!“ brüllte Big Old Shane mit Donnerstimme. „Fort ist sie! Einfach verschwunden! Geklaut!“

      Ungläubig blickten sich die Seewölfe an, und die Männer, die in dieser Nacht Wache gegangen waren, traten nervös von einem Fuß auf den anderen.

      Dazu gehörte auch Paddy, der sich nachdenklich am Hinterkopf kratzte.

      „Vielleicht treibt die Jolle in der Nähe“, meinte er.

      „Red keinen Blödsinn, Mann!“ fauchte Shane. „Mach lieber die Klüsen auf und sieh dir die Leine genau an. Sie ist nicht gebrochen, sondern von irgendwelchen Himmelhunden gekappt worden. Und die hatten es auf unsere Jolle abgesehen.“

      Dan O’Flynn, der sofort in den Mars geentert war, hielt mit dem Kieker eine Rundum-Schau.

      „Nichts zu sehen!“ meldete er.

      Philip Hasard Killigrew warf den Ankerwachen fragende Blicke zu. Doch diese zuckten nur verlegen mit den Schultern. Schließlich hatten sie höllisch aufgepaßt, keiner von ihnen konnte verstehen, daß man ihnen die Jolle gewissermaßen vor der Nase weggeklaut hatte.

      „Ich bin die erste Wache auf dem Achterdeck gegangen“, sagte Roger Brighton. „Aber ich habe nichts gehört und nichts gesehen. Während meiner Wache kann das unmöglich passiert sein.“

      „Während meiner auch nicht“, erklärte Bill. „Ich hatte die letzte Wache achtern. Aber ich bin doch nicht verrückt! Wenn ein Boot weggepullt worden wäre, dann hätte ich das todsicher bemerkt.“

      „Gar nichts hast du bemerkt!“ schnaubte der bullige Paddy. „Du mußt glatt gepennt haben! Warum habe ich Esel nur das Vorschiff bewacht? Hätte ich achtern aufgepaßt, dann hätten die verdammten Bootsdiebe wenigstens was auf die Finger gekriegt. Aber auf die grünen Jungs ist ja kein Verlaß, jawohl!“ er warf Bill einen strafenden Blick zu.

      Aber das ließ sich Bill, der seine Laufbahn als Moses bei den Seewölfen begonnen hatte und mittlerweile zu einem kräftigen jungen Mann herangewachsen war, nicht gefallen. Sein Gesicht lief rot an, seine Hände ballten sich zu Fäusten.

      „Sag das noch mal, du Walroß!“ stieß er wütend hervor. „Die Jolle kann genausogut vor meiner Wache geklaut worden sein, merk dir das!“

      Auf Paddys Gesicht braute sich ein Gewitter zusammen.

      „Oho, der junge Spund wird auch noch frech! Dir muß man wohl wieder einmal den Achtersteven versohlen, wie? Du hast jedenfalls die letzte Wache gehabt. Und hättest du auch nur ein einziges Mal über das Schanzkleid gespuckt, dann wäre dir aufgegangen, daß keine Jolle mehr da ist!“

      Bill wurde noch fuchtiger. Mit erhobenen Fäusten ging er einen Schritt auf Paddy Rogers zu.

      „Dieses Liedchen kenne ich bereits!“ sagte er wütend. „Den letzten beißen bekanntlich die Hunde. Aber da bist du bei mir an der falschen Adresse, Mister Knollennase. Mit mir kannst du das nicht machen. Ich werde dir …“

      „Hört auf zu streiten!“ unterbrach ihn der Seewolf. „Gegenseitige Anschuldigungen bringen uns nicht weiter. Und die Jolle kehrt davon auch nicht zurück.“

      „Er hat mich einen grünen Jungen genannt, Sir!“ beschwerte sich Bill.

      „Und ich laß mich von dem Stint nicht Walroß und Mister Knollennase nennen“, grollte Paddy.

      Hasard grinste.

      „Wie ich die Lage beurteile, seid ihr jetzt quitt“, entschied er, „Ich bin davon überzeugt, daß jeder, der in dieser Nacht Ankerwache gegangen ist, aufgepaßt hat. Deshalb möchte ich auch nicht, daß jemand grundlos beschuldigt wird. Die Leine muß von einem oder mehreren Schwimmern gekappt worden sein, die sich dann rasch mit unserer Jolle verholt haben. Offensichtlich ging das Ganze sehr schnell, weil niemand etwas bemerkt hat.“

      „Aber die Jolle ist weg! Einfach futsch!“ Paddy konnte sich schwerlich beruhigen.

      „Wir werden den Verlust verkraften“, sagte der Seewolf. „Wir haben ja noch eine.“

      „Und wenn man die auch noch klaut?“ fragte Paddy.

      „Dann haben wir keine mehr“, erwiderte Hasard zur Belustigung der übrigen Männer.

      Die Arwenacks konnten schon wieder lachen, auch wenn die Sache mit der geklauten Jolle noch so ärgerlich war. Im Grunde genommen ging es ihnen auch gar nicht so sehr um den Verlust des Bootes, sondern um die Tatsache, daß es neue Schwierigkeiten geben würde. Die Kerle, die die Jolle geklaut hatten, mußten damit etwas bezweckt haben. Niemand konnte sich vorstellen, daß man das Boot nur um seiner selbst willen entwendet hatte.

      Doch die Seewölfe waren Schwierigkeiten gewohnt. Ihre Fahrten durch alle Weltmeere hatten sie abgeschliffen und gelehrt, wie man selbst die schwierigsten Situationen meistern konnte.

      Die Stimmung an Bord normalisierte sich langsam wieder. Sir John, der bunte Aracanga-Papagei, verscheuchte auch noch den letzten Rest von Mißstimmung. Er trippelte munter auf seinem Lieblingsplatz,


Скачать книгу