Seewölfe - Piraten der Weltmeere 490. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 490 - Roy Palmer


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reichte auch den beiden Kapitänen je eine Muck mit Branntwein. Zuerst blickten sich de Mello und de Alvarez zögernd an. Dann nickte de Alvarez noch einmal – und grinste.

      „Na los“, sagte er. „Zum Wohl!“

      De Mello nahm die Muck entgegen, de Alvarez stieß mit ihm an. Sie tranken, und der scharfe Schnaps brannte in ihren Kehlen. O Gott, wenn der Alte das merkt, dachte de Mello. Er braucht nur unsere Fahnen zu riechen, dann sind wir dran.

      Die Sonne näherte sich blutrot der Kimm, bald würde sie untergehen. Die Nacht warf ihre ersten Schatten. Die Dämmerung kroch heran und schlich über die Insel East Caicos. Die „San Sebastian“, die infolge eines Ausweichmanövers in der Passage auf das Riff gebrummt war, schwamm nun endlich wieder frei. Lecks waren nicht vorhanden. Das Ganze war also noch recht glimpflich abgelaufen.

      Aber beide Kommandanten konnten nicht verbergen, daß sie verdammt schlecht auf ihren Verbandschef zu sprechen waren. Man sah ihnen an, wie gern sie mit ihm abgerechnet hätten.

      Juan de Alvarez reichte seine leere Muck an den Ersten Offizier der „San Sebastian“ zurück.

      „Besten Dank“, sagte er zu Capitán de Mello. „Nun, es bleibt mir dann wohl nichts anderes übrig, als an Bord meines Schiffes zurückzukehren.“

      „Ich habe Ihnen zu danken, Juan“, sagte de Mello.

      „Das ist doch nicht der Rede wert.“

      „Ich weiß Ihre Hilfe sehr zu schätzen.“

      „Das war völlig selbstverständlich“, entgegnete de Alvarez. „Aber die Frage ist, was wir jetzt tun.“

      „Natürlich folgen wir der ‚Sant Jago‘“, antwortete de Mello.

      „Ja, zum Teufel, ja“, brummte de Alvarez. „Aber wo sollen wir nach ihr suchen?“

      „Der einzige Anhalt ist die ursprüngliche Südwestrichtung“, erwiderte der Kapitän der „San Sebastian“. „Auf diesen Kurs sollten wir also gehen.“

      „Aber wir reißen uns kein Bein aus, wie?“

      De Mello mußte nun ebenfalls grinsen. „Einverstanden.“

      Wie zwei Verschwörer blickten sie sich an. Dann ging de Alvarez von Bord und setzte wieder zur „Monarca“ über. Er enterte an der Jakobsleiter auf, betrat das Achterdeck und gab seine knappen, klaren Befehle.

      Antigua und Bonifacio, zwei der ältesten Seeleute an Bord der „Monarca“, standen auf der Kuhl nebeneinander und blickten zu ihrem Kapitän hoch.

      „Der ist ganz schön sauer“, sagte Antigua. „Und recht hat er. Ich könnte de Campos den Hals umdrehen.“

      „Der Kerl ist total verrückt“, meinte Bonifacio.

      „Wenn er das wirklich wäre, könnte man ihn noch entschuldigen“, sagte Antigua mit ernster Miene. „Aber sein Zustand ist viel schlimmer, wenn du mich fragst. De Campos hat durch sein bisheriges Verhalten nicht gezeigt, daß er nach den Regeln guter Seemannschaft handelt.“

      „Ein kluger Spruch“, erwiderte Bonifacio. Er war ein nicht sehr großer und auch nicht sehr kompakt gebauter Mann, aber in seinem hageren Leib steckten große Energien. Die dunklen Augen in seinem verschrumpelten Apfelgesicht blickten traurig wie die eines Hundes. Er lächelte nur selten, war aber kein Miesepeter, sondern ein guter Kamerad. „Du bist ja auch der Schlauere von uns beiden“, fuhr er fort. „Kannst lesen und schreiben. Wenn du’s sagst, muß es stimmen.“

      „Das weißt du auch selbst“, sagte Antigua. Sein Haupthaar war weiß, aber immer noch dicht. Ein gestutzter Vollbart beherrschte sein Gesicht. „Das merkt ein Blinder. Auch ein Taubstummer. Man spürt es ja, wie unser Generalkapitän ist. Und er hat uns sein wahres Gesicht jetzt so richtig gezeigt.“

      „Ich bin noch nicht so lange in Havanna wie du“, sagte Bonifacio. „Aber er stinkt mir, der Señor. Und wie er mir stinkt.“

      „Trotz der Warnungen de Mellos, die er in den Wind geschlagen hat, ist er bei der Verfolgung der Engländer in die Passage gesegelt“, sagte Antigua. „Das hätte er niemals tun dürfen.“

      „Und dann dieses Wendemanöver“, murmelte Bonifacio.

      „Einfach unglaublich“, sagte der Weißhaarige. „Seine Kerle haben es glatt verpatzt.“

      In der Tat – die „Sant Jago“ war achteraus getrieben, als der Mannschaft das Wendemanöver mißlungen war. Dies wiederum hatte zur Folge gehabt, daß de Mello mit seiner „San Sebastian“ ausweichen mußte. Andernfalls hätte er die „Sant Jago“ – logisch – gerammt. Daß die „San Sebastian“ also auf ein Riff gelaufen war, war nur die Konsequenz des Ausweichens. Dennoch war es in den Augen von de Campos de Mellos Schuld, daß sich alles so entwickelt hatte.

      „Ein dicker Hund“, murmelte der Mann mit dem verschrumpelten Gesicht. „So was von wahnwitzig. Nein, ich werde das nicht wieder vergessen. Aber das hundsgemeine an der Geschichte ist, daß sich der Señor Generalkapitän nicht mal die Mühe bereitet hat, uns aus der Patsche zu helfen.“

      Auch das war ein „feiner Zug“ von de Campos gewesen. Statt gemeinsam mit der „Monarca“ die „San Sebastian“ vom Riff zu ziehen, hatte der Generalkapitän sich weiter durch die Passage schleppen lassen. Er wollte sie unbedingt bewältigen, um sofort den „Piraten“ nachsetzen zu können.

      Den Verbandsführer trieb die Ruhmsucht, den Seewolf zur Strecke zu bringen. Aber sein Schleppmanöver war gleichfalls ein Fehlschlag geworden, denn mit sechs Jollen war der schwere Brocken von Flaggschiff nicht auf Dauer durch die Passage zu ziehen. Die Kräfte der Bootsgasten – das hatte auch de Campos schließlich zähneknirschend einsehen müssen – reichten dazu nicht aus.

      So war de Campos mit seiner „Sant Jago“ wieder umgekehrt – dieses Mal unter Segeln. Er entdeckte die vorbeisegelnde „Empress of Sea“. An Bord dieses kleinen, aber wendigen Schiffes befand sich der „Verräter“ Don Juan de Alcazar mit einer halbnackten Wilden. Auch diesen Hund mußte man stellen, denn er war ein Feind und eine Schande der spanischen Nation!

      So hatte de Campos sofort den Befehl gegeben, die Verfolgung der flinken Dreimast-Karavelle aufzunehmen. Als er bei dieser neuen Jagd die „Monarca“ und die „San Sebastian“ passierte, brüllte er nur hinüber: „Mir folgen, wenn die ‚San Sebastian‘ wieder frei ist!“

      So lautete also der letzte Befehl von Don Diego de Campos. An diesen Befehl waren Don Gaspar de Mello und Juan de Alvarez gebunden – leider, wie sie einhellig meinten. Denn sie wußten ja nur, daß die „Sant Jago“ hinter der kleinen Karavelle her nach Südwesten gebraust waren. Beide Schiffe waren längst außer Sicht. Von Sicht konnte auch keine Rede mehr sein, es wurde jetzt zusehends dunkler.

      Ferner: Beide Kommandanten konnten auch nur die Köpfe schütteln, denn die kleine schnittige Karavelle war dem Flaggschiff an Geschwindigkeit und Wendigkeit haushoch überlegen. Dieser Idiot von einem Generalkapitän jagte einem Phantom nach! Wo also jetzt nach der „Sant Jago“ suchen, noch dazu bei Dunkelheit? De Mello hatte recht: Man konnte sich nur nach Südwesten wenden, eine andere Möglichkeit gab es nicht.

      Die „San Sebastian“ und die „Monarca“ gingen auf Kurs. Sie blieben auf Sichtweite nebeneinander. Der Wind wehte nach wie vor aus Nordosten. Daß sie vom Westufer der Insel East Caicos bei ihrem Manöver beobachtet wurden, ahnten die Spanier nicht. Die Ausgucks der Galeonen konnten den schwarzen Mann, der in den Dünen lag, nicht entdecken. Er verstand es zu gut, sich zu tarnen.

      Dennoch war es für ältere, erfahrene Seeleute wie Antigua und Bonifacio klar, daß es noch ein übles Nachspiel gab.

      „Diese Engländer werden uns noch die Zähne zeigen“, sagte der Weißhaarige. „Paß nur auf. Vielleicht kehren wir nie wieder nach Havanna zurück.“

      Bonifacio bekreuzigte sich. „Hör bloß auf. Beschwör’s nicht noch herauf.“

      „He, ihr beiden“, sagte de Alvarez. „Was habt ihr denn zu


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