Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
war die portugiesische Küste nicht allzu fern!
Capitan Valdez zog die Tür der Kapitänskammer entschlossen hinter sich zu. Er stopfte die kleine Lederkassette unter seine Jacke und lief zur Backbordseite der Heckgalerie, wo die Vorleine des Dinghis festgezurrt war.
Der Spanier überlegte nicht mehr lange. Er schwang sich über die Galeriereling und packte die Vorleine mit beiden Händen. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen rechten Arm. Aber es gab kein Zurück mehr für ihn. Seine Füße verloren den Halt, und dann hing er zwischen Himmel und Wasser.
Er ließ sich hinabgleiten, bis seine Beine ins eiskalte Wasser des Atlantiks tauchten. Seine Pumphosen sogen sich rasch voll Wasser und zogen ihn schwer nach unten.
Angst packte den Capitan. Und diese Angst verlieh ihm neue Kräfte. Obwohl die Wellen über ihm zusammenschlugen, ließ er die Vorleine nicht los. Stück für Stück hangelte er sich weiter, bis er mit der Linken nach dem Bootsrand greifen konnte. Eine Weile konnte er den Kopf über Wasser halten. Er sog gierig die Luft in seine Lungen. Er spürte den Druck der Lederkassette auf seiner Brust, und das gab ihm neue Kraft.
Er achtete nicht auf seine Wunde, in der das Salzwasser brannte. Noch einmal holte er tief Luft, dann packte er die Bordwand mit beiden Händen und zog sich hoch. Eine Welle unterlief das Boot am Heck und hob es hoch. Für einen Moment sah es so aus, als würde das Dinghi umschlagen, doch dann wurde es von einer weiteren Welle wieder aufgerichtet.
Capitan Valdez hing mit dem Oberkörper über der Bordwand und stürzte der Länge nach in die Plicht. Mit der Hüfte prallte er auf die vordere Ducht und schrie auf. Erschrocken preßte er die Lippen zusammen. Regungslos blieb er auf den Bodenbrettern des Dinghis liegen. Er konnte nur hoffen, daß der Wind den Schrei nicht bis zu den Engländern getragen hatte.
Es dauerte Minuten, bis er sich so weit gefangen hatte, daß er damit beginnen konnte, die Vorleine von dem Boot zu lösen. Er blickte nach vorn und versuchte die rabenschwarze Nacht mit seinen Augen zu durchdringen. Aber durch die Schleier der gischtenden Wellen konnte er nur die hellen Flecken der Segel erkennen.
Mit klammen Fingern löste der Spanier die Vorleine des Dinghis.
Endlich hatte er es geschafft. Innerhalb von Sekunden war die „Isabella von Kastilien“ von der Nacht und den hochgehenden Wellen verschlungen.
Capitan Romero Valdez war allein. Allein auf einer tanzenden Nußschale irgendwo im Atlantik vor der portugiesischen Küste.
Vielleicht würde er niemals wieder Land sehen. Vielleicht verschluckte ihn der Sturm, der noch an Stärke zuzunehmen schien.
Der Spanier hob trotzig das Kinn und spuckte gegen den scharfen Ostwind. Dies war nicht der erste Sturm, mit dem er fertig werden mußte. Er würde es schaffen – und wenn nicht, dann hatte er Spanien immer noch vor einem großen Schaden bewahrt.
Er preßte die lederne Kassette enger an sich und schloß sorgfältig die oberen Knöpfe seiner Jacke. Dann nahm er die Riemen von den Duchten, schob sie in die Runzeln und begann gegen den Wind zu pullen.
Schon nach kurzer Zeit hatte Capitan Valdez jegliches Gefühl für Zeit verloren. Mit stoischem Gleichmut zog er die Riemen durch das aufgepeitschte Wasser. Er merkte nicht, daß der Sturm langsam nachließ, und als die ersten grauen Streifen an der östlichen Kimm aufzogen, drehte er sich nicht einmal um.
Seine Augen waren vom Salzwasser entzündet. Seine Hände spürte er nicht mehr. Der Verband an der rechten Hand war durch und durch rot vom Blut, das er in den ersten Stunden noch verloren hatte.
2.
Philip Hasard Killigrew krallte die rechte Hand in die Steuerbordreling der Poop und stand breitbeinig auf den vibrierenden Planken des Achterkastells. Seine eisblauen Augen blitzten. Zwei weiße Zahnreihen leuchteten zwischen den leicht geöffneten Lippen.
Hasard war in seinem Element. Das Orgeln des steifen Ostwindes war für seine Ohren Musik. Er war froh, daß der Sturm so schnell nachgelassen hatte.
Er blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo Ben Brighton und drei andere Männer die Fock wieder setzten. Nach seinen Berechnungen mußten sie Kap Sao Vicente bereits hinter sich gelassen haben, und niemand von den lausigen Spaniern, denen sie die „Isabella“ aus dem Hafen von Cadiz gekapert hatten, würde sie jemals wieder einholen.
Das Herz lachte Hasard im Leibe, als er an die dreißig Tonnen Silber im Laderaum des Schiffes dachte. Mit diesem Geld konnte man neue Schiffe bauen und den Spaniern noch mehr Verluste beibringen.
Hasard hob den Kopf. Der Wind hatte auf Südost gedreht. Er wollte gerade einen Befehl hinunter aufs Hauptdeck brüllen, da sah er, daß Ben Brighton schon von sich aus die Rahen so braßte, daß sie auf ihrem Nordwestkurs blieben. Die „Isabella“ lag jetzt platt vorm Wind. Der schwerfällige Rumpf tauchte seine Nase in tiefe Wellentäler, und Gischtschleier wehten über die Back und das Vorkastell.
Philip Hasard Killigrew beobachtete Ben Brighton. Der Bootsmann der „Marygold“ enttäuschte ihn nicht. Er war wirklich so gut, wie Hasard vermutet hatte. Hasard konnte sich auf Brightons seemännische Fähigkeiten voll verlassen. Das einzige, was ihn an dem Mann störte, war seine unerschütterliche Ruhe. Aber bisher hatte er auch reagiert, wenn es hart auf hart ging und eine blitzschnelle Entscheidung verlangt wurde.
Der Seewolf zog die Lippen von den Zähnen. Ben Brighton war schon in Ordnung. Alles in allem hatte er gute Seeleute an Bord. Vielleicht mit Ausnahme des Kutschers, der ebenfalls in Plymouth gepreßt worden war und behauptete, nichts mehr zu hassen als Schiffe und die See. Dabei hatte er sich dennoch bereits Seebeine wachsen lassen.
Hasard grinste. Der arme Kerl würde seinen Lord wohl nicht so schnell wiedersehen. Sicher war sein Job inzwischen schon von einem anderen Mann besetzt.
Neben Ben Brighton stand Donegal Daniel O’Flynn und schlug das Geitau der Fock um die Nagelbank. Die Augen des schlaksigen Jungen leuchteten. Für ihn war diese Prise das größte Abenteuer, das er bisher erlebt hatte. Die langen blonden Haare hingen ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, und als Brighton etwas zu ihm sagte, brüllte er sein „Aye, aye, Sir“ so laut übers Deck, daß Hasard es gegen den Wind auf der Poop hörte.
Hasard trat noch ein paar Schritte nach vorn und blickte aufs Quarterdeck hinab.
„Ferris!“ rief er hinunter.
Der rothaarige Riese, der sich an der Lafette der kleinen Kanone an Steuerbord des Quarterdecks zu schaffen machte, drehte den Kopf.
„Ja?“
„Übernimm die Wache, Ferris“, sagte Hasard. „Ich werde mich ein paar Stunden aufs Ohr legen. Ich glaube, daß der Wind seine Stärke jetzt beibehält.“
„Aye, aye“, sagte Ferris Tucker. Er kletterte auf die Poop, während Hasard im Niedergang verschwand und auf die Kapitänskammer zusteuerte. Vor der Offizierskammer hockte Batuti auf der Erde. Der riesige Neger sprang auf die Beine.
„Alles in Ordnung, Batuti?“ fragte Hasard.
„Aye, aye, Sir!“
Der schwarze Herkules aus Gambia grinste über beide Ohren.
Hasard trat an die verriegelte Tür der Offizierskammer und schob den Balken aus der Halterung.
„Mal sehen, ob unser hoher Gast noch einen Wunsch hat“, sagte er. „Schließlich müssen wir ihm dankbar sein, daß er die wertvolle Ladung für uns von Westindien hierhergeholt hat.“
Philip Hasard Killigrew stieß die Tür auf.
In der Kammer war es dunkel. Mit der Linken griff Hasard nach hinten und Batuti reichte ihm die Öllampe.
Hasard sah das herausgebrochene Fenster und wußte sofort, was los war. Abrupt drehte er sich um. Er knallte dem Schwarzen die Laterne vor die Brust und rief im Laufen: „Hol alle Männer an Deck! Der Spanier ist aus seiner Kammer ausgebrochen!“
Wie der Blitz fegte Hasard auf das Oberdeck, raste über das