Seewölfe - Piraten der Weltmeere 115. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 115 - Roy Palmer


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weiterreden, aber in diesem Moment meldete sich der Rudergänger mit einem Ruf. „Kapitän! Der Kolderstock …“

      De Romaes fuhr herum, klomm den Backbordniedergang zum Achterdeck ein Stück hoch und blickte zu dem Mann, der aufgeregt an dem klobigen Kolderstock hantierte.

      „Was ist los?“ schrie der Porugiese. „Kannst du dich nicht klar ausdrükken, Bastard?“

      Das war nicht mehr nötig. De Romaes sah auch so, was passiert war. Der Kolderstock bewegte sich locker hin und her. Das Ruderblatt gehorchte nicht mehr, der Kontakt war unterbrochen. Das Schiff lief plötzlich aus dem Ruder. Die Steuerungsanlage hatte einen Defekt.

      De Romaes begann mörderisch zu fluchen.

      Die „Isabella VIII.“ segelte durch die leichte Dünung des Gelben Meeres. Fast schien sie das Drängende zu spüren, das diese Fahrt bestimmte.

      Philipip Hasard Killigrew und seine Männer hatten die Verfolgung von Fei Yen, der „Fliegenden Schwalbe“ des Piraten Khai Wang, wiederaufgenommen.

      Mit verbissenen Mienen standen sie auf dem Achterdeck und blickten voraus: Hasard, Siri-Tong, Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Old O’Flynn und Smoky. Auf dem Quarterdeck, neben dem Ruderhaus, hatte sich der Profos Carberry aufgebaut, und nicht weit von ihm entfernt verharrte soeben auch Ch’ing-chao Li-Hsia, das als Schiffsjunge verkleidete chinesische Mädchen, dessen Name übersetzt „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ bedeutete.

      Auch auf der Back hatten sich Männer der Crew versammelt und spähten angestrengt am Bugspriet der „Isabella“ vorbei zur nördlichen Kimm. Und Dan O’Flynn, der wegen seiner scharfen Augen den Ausguck im Großmars übernommen hatte, starrte durch seinen Kieker, als wolle er hineinkriechen.

      „Mist“, murmelte er immer wieder. „So ein elender, verdammter Mist.“

      Auf dem Achterdeck ließ der Seewolf das Spektiv sinken. „Der Kerl hat zuviel Vorsprung gewonnen. Und jetzt macht uns die Dämmerung einen Strich durch die Rechnung. Wir haben ihn aus den Augen verloren.“

      „Der Teufel soll ihn holen“, sagte Ferris.

      „Ja, ist denn das zu fassen?“ Ben Brighton wandte Hasard das Gesicht zu. „Hat der Hund das Glück auf seiner Seite? Entwischt der uns jetzt ein für allemal?“

      „Nein.“ Siri-Tongs jettschwarze Augen funkelten vor Wut. „Niemals. Ich kriege ihn. Und wenn ich ihn bis ans Ende meiner Tage hetzen muß. Ich packe ihn.“

      „Ben, Ed, Pete!“ rief der Seewolf. „Wir halten den Kurs!“

      „Aye, aye, Sir!“ rief Carberry vom Quarterdeck aus zurück. „Immer stur nach Norden!“

      „Ja, denn ich rechne fest damit, daß Khai Wang an seinem ursprünglichen Vorhaben festhält“, sagte Hasard.

      Die Rote Korsarin streifte ihn mit einem wachen, erregten Blick. „Er will also immer noch nach Peking, in die Verbotene Stadt? Ja, das halte auch ich für möglich. Er hat ja noch die Mumie des Mandarins an Bord, dieser Schakal. Er will sie nach Peking schaffen und beim Großen Chan abliefern.“

      „Um diesem Chan um den Bart zu gehen“, sagte Old O’Flynn. Angewidert verzog er seinen Mund. „Das sieht so einem Halunken ähnlich.“

      „Wahrscheinlich hofft er auf den Pardon des Großen Chan“, sagte Hasard. „Er wird sich freies Geleit erbitten, die Stadt als Held verlassen und für einige Zeit seine Ruhe vor den Verfolgern haben. In letzter Zeit scheinen ihm die Kriegsdschunken des Reiches ziemlich hart zugesetzt zu haben. Selbst für einen hartgesottenen, mit allen Wassern gewaschenen Schlagetot wie ihn muß es da langsam brenzlig werden.“

      Er hob noch einmal das Spektiv ans Auge und blickte zur nördlichen Kimm. Aber die Dämmerung senkte sich bleischwer auf die See und ließ jene Linie, die das Wasser vom Himmel trennte, kaum noch erkennen. Das Eisengrau des Abendhimmels war mit rötlichen Streifen durchwirkt, und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis endgültige Dunkelheit die „Isabella“ umfing.

      Ben und die anderen Männer blickten zu ihrem Kapitän, dann zu Siri-Tong. Danach schauten sie sich schweigend an.

      Würde Hasard die Jagd jetzt abbrechen? Nein, er hatte ja angeordnet, den Kurs zu halten. Aber wie lange hielt er an dieser Order fest? Bis zum Morgen? Und dann? Wenn sie die Dschunke von Khai Wang nicht wieder entdeckten, konnte der Seewolf leicht das Interesse an dieser Verfolgung verlieren.

      Oder bildeten sie sich das nur ein?

      Bei Siri-Tong waren die Männer sicher: Sie würde nicht eher ruhen, bis sie Khai Wang, die „Geißel des Gelben Meeres“, gestellt und vor die Klinge gefordert hatte. Denn Khai Wang war es gewesen, der sie von Bord des schwarzen Schiffes entführt und nach Shanghai verschleppt hatte. Seinetwegen war die Korsarin in den Kerker der Stadt geworfen und an drei Gerichtstagen abgeurteilt worden: Tod durch das Schwert des Henkers.

      Nur Hasards tollkühnem Einsatz war es zu verdanken, daß sie der Vollstrekkung des Urteils entgangen war.

      Die Seewölfe hatten um Siri-Tong ebenso gebangt wie die Männer des schwarzen Seglers. Sie hingen an ihr, achteten und verehrten sie in einem Maß, das ihnen nie zuvor so richtig bewußt geworden war. Im stillen gaben sie der schönen Frau recht, was ihre Rachegefühle betraf. Sie folgten ihr und kämpften für sie bis zur letzten Konsequenz.

      Nur Hasard in seiner unerreichten Souveränität stand über den Dingen. Deshalb – weil er nicht unbedingt auf Vergeltung sann – kamen den Männern in diesem Augenblick leise Zweifel.

      Er wandte sich zu ihnen um. „Ich kann mir gut vorstellen, was in diesem Moment in euch vorgeht“, sagte er. „Aber ihr könnt ganz beruhigt sein. Auch ich habe nach wie vor ein reges Interesse, Khai Wang in die Enge zu treiben und zu erledigen.“

      „Arwenack!“ rief Big Old Shane. „Du hast uns aus der Seele gesprochen, Hasard!“

      Siri-Tong sah zum Seewolf, und es lagen Bewunderung und Dankbarkeit in ihrem Blick. Nur ein hauchdünner Seidenfaden hatte in Shanghai ihr Leben vom Tod getrennt – und dann waren er und seine Männer aufgetaucht. Sie wußte, daß sie ihm nie vergessen würde, was er für sie getan hatte, aber da war mehr als bloßer Dank. Jetzt, im wiedereroberten Leben, flammten ihre Empfindungen für ihn so vehement wie nie zuvor auf.

      Hasard schritt nach vorn, nahm den Backbordniedergang zum Quarterdeck und gelangte zu Carberry. „Holen wir aus unsrer Lady ’raus, was in ihr steckt, Ed. Wir setzen sämtliches Zeug.“

      „Aye, Sir. Auch mein rotes Unterhemd, wenn’s sein muß.“

      Sir John, der karmesinrote Papagei, hatte sich auf seiner linken Schulter niedergelassen. Er nickte heftig, plusterte sich auf und krähte: „Jacke vollhauen, Jacke vollhauen!“

      „Sei still, du Schrumpfhals“, fuhr ihn der Profos an. „Soweit sind wir noch nicht.“

      Hasard schaute zu Pete Ballie ins Ruderhaus, prüfte den Stand der Kompaßnadel, warf einen Blick auf die Karten und setzte dann seinen Weg zur Kuhl hin fort. Carberry und „Flüssiges Licht“ folgten ihm auf dem Fuß.

      „Männer“, sagte Hasard, als er die Kuhlgräting erreicht hatte. „Blacky, Batuti, Kutscher, Gary, Matt, Al, Jeff, Sam, Bob, Luke, Will und Stenmark.“ Er blickte zur Back. „Bill, wo steckst du?“

      „Hier, Sir!“ Der Junge streckte seinen Kopf zum Kombüsenschott heraus. „Klare die Kombüse auf, Sir!“

      „In Ordnung.“ Hasard legte den Kopf in den Nacken. „Dan, hörst du mich?“ schrie er.

      Dan und Arwenack, der Schimpanse, zeigten sich gleichzeitig am Rand der Großmarsverkleidung.

      „Aye, aye, Sir!“ rief der junge O’Flynn.

      „Gut, dann hört zu“, sagte Hasard. „Ihr habt unsere ‚Isabella‘ wieder so weit aufgeklart, daß von dem Gefecht mit Khai Wang kaum noch etwas zu sehen ist. Jetzt beweist mir, daß ihr noch die tadellosen Seeleute seid, die ihr immer wart. Wir klüsen, was das Zeug hält.


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