Seewölfe - Piraten der Weltmeere 113. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 113 - Roy Palmer


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bevor wir etwas unternehmen.“

      „Was hast du vor?“

      „Ich will mit diesem Mandarin reden.“

      „Mit dem aufgeblasenen Gockel?“ rief der Wikinger. „Den würde ich am liebsten mitsamt seiner verdammten Sänfte ins Wasser befördern.“

      Carberry war gleichfalls auf dem Achterdeck erschienen. Er tat ein paar Schritte auf die Männer zu, blieb stehen und reckte sein Rammkinn vor. „Du hast recht, Thorfin. Sir, ich bitte um den Befehl, den Zopfheini aus seinem Tragekasten rütteln zu dürfen.“

      „Abgelehnt“, erwiderte der Seewolf. „Ben, gib dem Mandarin bitte ein Zeichen, er wird es schon verstehen.“ Er trag dicht vor den Nordmann und den Profos hin. „Und ihr zwei haltet jetzt mal die Luft an und hört mir gut zu, klar?“

      „Aye, Sir“, sagte Carberry. Er kannte seinen Kapitän und wußte, daß der Punkt erreicht war, an dem der Seewolf das Herumdiskutieren satt hatte.

      „Bei einer sofortigen Blitzaktion stehen unsere Chancen für den Sieg eins zu hundert“, sagte Hasard. „Seht euch doch die Kriegsdschunken an, die hier im Hafen vertäut liegen. Ich bin sicher, daß sie bereits klar zum Gefecht sind. Wir würden scheitern, ganz abgesehen davon, daß mir hier auch zu viele Unbeteiligte herumlaufen, die verletzt oder getötet werden könnten. Auch das läuft mir gegen den Strich, aber in erster Linie müßt ihr einsehen: eine einzige Unbesonnenheit genügt, und wir sehen Siri-Tong nicht mehr wieder. Erst einmal müssen wir Zeit gewinnen.“

      „Der Mandarin wartet“, meldete Ben Brighton.

      Hasard nickte, nahm dabei aber den Blick nicht von Thorfin Njal. Carberry zu bremsen, war keine große Schwierigkeit, denn als Hüter der Borddisziplin tat der narbengesichtige Stockmeister natürlich nichts, was sein Kapitän nicht akzeptierte. Aber der Wikinger, der sah immer noch so aus, als würde er jeden Augenblick explodieren. Hinter seiner drohend umwölkten Stirn arbeitete es unaufhörlich.

      Schließlich aber glätteten sich seine Züge etwas.

      „Gut“, sagte er. „Ich sehe ein, daß wir hier mit Gewalt nichts erreichen. Wir müssen verhandeln. Und vor allem – wie kriegen wir sonst heraus, wo Siri-Tong steckt und was mit ihr geschieht?“

      „Danke, Thorfin“, entgegnete Hasard. „Ich wollte nur, daß du es wirklich einsiehst. Wir verstehen uns also.“

      „Bei Odin, ja.“

      Hasard wandte sich zum Gehen. Ben Brighton war neben ihm und meinte: „Du solltest das Schiff nicht allein verlassen. Sie könnten dich festnehmen und entführen – und wir stünden völlig machtlos da.“

      „Ich gehe allein. Das schindet mehr Eindruck, Ben.“

      „Und ‚Flüssiges Licht‘?“

      „Der Mandarin hat selbst seinen Dolmetscher. Ich will, daß das Mädchen vorläufig nicht gesehen wird, denn das könnte nur verfänglich für uns werden.“

      Ben zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Aber wir halten uns bereit, sofort an Land zu stürmen, wenn dir etwas passiert.“

      Hasard verließ das Achterdeck, erklomm auf der Kuhl die Laufplanke, die das Schiff mit der Pier verband und schritt an Land. Sein Blick war auf die Menschenmenge gerichtet. Das Schnattern und Gestikulieren ebbte ein wenig ab und wurde zu einer Art aufgeregtem Gebrummel.

      Nein, „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ durfte in Shanghai noch nicht in Erscheinung treten. Hasard hatte sie im Achterkastell versteckt, denn trotz der Tatsache, daß sie sich als chinesischen Schiffsjungen verkleidet hatte, war es nicht ausgeschlossen, daß der Mandarin oder einer seiner Begleiter sie erkannte, sobald sie auf dem Oberdeck erschien.

      Ch’ing-chao Li-Hsia, wie „Flüssiges Licht“ in ihrer Muttersprache hieß, hatte in Xiapu dem Flußgott Ho Po geopfert werden sollen. Die Bevölkerung hatte sich damit vor der Pest schützen wollen. Offiziell war der Brauch zwar von der Regierung verboten worden, aber es gab immer wieder Menschen, die darauf zurückgriffen.

      „Flüssiges Licht“ befürchtete nun, daß man sie in Xiapu als vermißt gemeldet hatte und der unplanmäßige Abschluß der Opferfahrt auf dem Floß bekanntgeworden war. Die Leute, die sie auf das Floß gefesselt hatten, mußten jetzt befürchten, denunziert zu werden. Sie konnten daher erklärt haben, „Flüssiges Licht“ sei von zu Hause weggelaufen – ohne das Ritualopfer mit einer Silbe zu erwähnen.

      Wenn es von „Flüssiges Licht“ eine Tuschezeichnung gab, wurde jetzt wahrscheinlich in allen chinesischen Provinzen nach ihr gefahndet. Hasard mußte also darauf achten, daß man auf das Mädchen nicht aufmerksam wurde. Im übrigen hielt er es schon für verfänglich genug, daß sie, die „fremden Teufel“, einen Schiffsjungen an Bord hatten, der sich bei genauerem Betrachten als hübsches kleines Chinesenmädchen entpuppen mußte.

      Hasard steuerte über die Pier auf die Menschentraube zu. Sie versperrte ihm den Weg zum Kai. Grünseiden gekleidete Soldaten hatten jetzt eine Kette gebildet und hielten die Meute Neugieriger davon ab, zu nahe auf die Schiffe zuzutreten, aber dennoch war die gesamte Pier nach wie vor belagert, und es schien keinen Durchlaß zu geben.

      Hasard fixierte die Soldaten – sie trafen keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Entweder hatte der Mandarin ihnen die Anweisung gegeben, den Kapitän der großen Dreimast-Galeone passieren zu lassen, oder sie hatten überhaupt keinen entsprechenden Befehl und waren im Augenblick zu verdutzt, um eine eigene Initiative zu ergreifen.

      Soldaten waren im allgemeinen keine großen geistigen Leuchten, und in China schätzte man sie nicht sonderlich. Ein Sprichwort sagte: aus gutem Eisen schmiedet man keinen Nagel, ein guter Mensch wird nicht Soldat.

      Unverdrossen hielt der Seewolf auf die Masse zu. Er maß diese Gesichter mit festem Blick, fragende, unverhohlen neugierige und argwöhnische Gesichter mit weit aufgerissenen Mandelaugen und teils offenen Mündern.

      Das Murmeln der Menge war nur noch ein Summen. Das Gestikulieren setzte fast ganz aus. Hasards Auftritt beeindruckte. Die Bewohner von Shanghai begriffen, daß er ein sehr mutiger Mann war, denn wie leicht konnte man ihn angreifen und aus purem Fremdenhaß über ihn herfallen.

      Sie wichen vor ihm zurück. Hasard schritt durch die Lücke, die sich vor ihm öffnete. Er marschierte an Soldaten und Zivilisten vorbei und sah nun wieder den Mandarin, den Würdenträger, der sich inzwischen in seiner Sänfte niedergelassen hatte. Die Diener hielten die Vorhänge immer noch geöffnet, und so konnte der Seewolf das Erstaunen in den Zügen des Mandarins erkennen. Chinesen waren Meister in der Kunst der Beherrschung des Mienenspiels, aber in diesem Moment konnte er seine Verblüffung wirklich nicht verbergen.

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