Seewölfe - Piraten der Weltmeere 150. Fred McMason
„Das hat sich mittlerweile auf allen Meeren herumgesprochen“, erwiderte Ribault. „Aber das werden wir ebenfalls nachher alles erzählen.“
Dem Seewolf gingen eine Menge Gedanken durch den Kopf.
„Sind die Schätze auf der Schlangeninsel sicher?“ wollte er noch wissen.
„Absolut sicher, sei unbesorgt. Sie ruhen wie in Abrahams Schoß.“
Die beiden Kerle wollten ihn ein wenig auf die Folter spannen, das merkte er schon, aber er stieß sich vom Schanzkleid ab und sah die Männer an.
„Da ist irgend etwas im Gange“, sagte er, „sonst würdet ihr nicht so grinsen.“
Er sah auf Carberrys breiten Rükken. Der Profos breitete die Arme aus und schlug gewaltig auf einen unsichtbaren Gegner ein. Und die Satansbraten umringten ihn, nickten zustimmend und begeisterten sich immer mehr an seinen Worten, die jetzt auch zu Hasard, Ribault und von Hutten herüberdrangen.
„… räumen wir seinen Saftladen aus, wischen mit ihm den Fußboden auf und trocknen ihn mit seiner Perücke. Danach legen wir die ganze Bude flach, daß es nur so wackelt.“
Zustimmendes Gebrüll begleitete seine Worte, jeder gab seinen Senf dazu und malte aus, was sie noch alles in der Kneipe anstellen würden.
Hasard seufzte.
„Es geht wieder mal um Plymsons Kneipe“, sagte er, „davon faseln diese Kerle schon seit Cadiz. Sie haben sich auch lange nicht mehr so richtig ausgetobt, und diesmal, fürchte ich, werde ich sie nicht mehr halten können. Plymson ist wie ein rotes Tuch für sie, schon der Name versetzt sie in helle Aufregung.“
„Ich glaube nicht, daß der Profos Streit anfängt“, versuchte Jean den Seewolf zu beruhigen.
„Nein, ganz sicher nicht. Ed geht aber auch keinem Streit aus dem Weg, und irgendein lausiger Kerl ist in jeder Kneipe dabei, der sich mit uns anlegen will. Ich sehe schwarz für Plymouth und die Kneipe Plymsons.“
„Die „Blonde Mary“, das war schon immer die Kneipe, die ihnen ein heimlicher Dorn im Auge war. Wenn es sich bis zum dicken Plymson herumsprach, daß die Seewölfe hier waren, und das würde mit Sicherheit nicht lange dauern, dann konnte der Dicke getrost schon im voraus zittern, denn er kannte das Resultat längst. Die „Bloody Mary“ würde sich wieder einmal in einen Trümmerhaufen verwandeln.
Hasard nahm sich vor, seine Crew etwas fester an die Kandare zu nehmen, und sie vor allem nur in wirklich kleinen Grüppchen an Land zu lassen, damit in Plymouth nicht wieder der Teufel los war.
Er hatte selbst keine guten Erinnerungen an den dicken Plymson, denn vor dessen Kneipe war er vor Jahren an Bord der „Marygold“ gepreßt worden. Dabei hatte der Dicke seine schmierigen Hände unmittelbar in der Sache gehabt.
Plymson arbeitete mit Tricks und Raffinessen, war ein elender Halsabschneider und Schnapphahn und verschacherte bewußtlose Leute an Preßgangs, die regelmäßig auf der Suche nach Mannschaften waren.
Zuvor pflegte der dicke Plymsom seine Opfer mit seinem ganz speziellen Schlummertrunk zu behandeln.
„Man kann deine Gedanken an deiner Stirn ablesen, Hasard“, sagte der Franzose lächelnd. „Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht stimmt. Du denkst an deinen ersten Besuch in der Kneipe.“
„Ja, als sie mich damals schnappten, und an die Katze, die von dem Schlummertrunk umfiel.“
„Und natürlich an mich“, sagte der junge O’Flynn, „denn ich war auch dabei, wir haben schließlich zusammen angefangen.“
„Von der Schlägerei spricht man noch heute“, sagte Ribault. „Das geht immer noch in England ’rum, und jeder dichtet etwas hinzu.“
Er wollte noch etwas sagen, doch auf dem gegenüberliegenden Kai standen plötzlich Menschen. Wie aus dem Nichts waren sie erschienen und gafften herüber. Allerdings schienen sie sich nicht näher heranzutrauen. Sie guckten sich die Augen aus, starrten das Schiff an und musterten die Seewölfe. Einige von ihnen winkten zaghaft.
Auch die Seewölfe waren auf die unerwarteten Besucher aufmerksam geworden, die wie eine Mauer dastanden. Unter ihnen befanden sich auch einige Frauen.
Carberry winkte zurück, dann Tucker, und schließlich hob die gesamte Crew die Arme.
Die Leute brüllten jetzt lauter, und man konnte aus der Entfernung deutlich einige Stimmen unterscheiden.
„Der Seewolf“, drang es herüber. „Der Seewolf ist zurückgekehrt, Leute. Seht den Namen, und seht euch die Männer an!“
Die Meute schrie jetzt und tobte, und immer wieder ertönte der Ruf: „Der Seewolf!“
„Das wird nur der Anfang sein“, meinte Ribault. „Ihr seid einfach von einem geheimnisvollen Hauch umgeben, ihr seid so etwas wie eine Wirklichkeit gewordene Legende.“
„Ja, fast sieht es so aus“, erwiderte Hasard. Er kam nicht mehr dazu, Ribault nach Einzelheiten zu fragen, denn jetzt lösten sich einige Menschen aus der Masse, umgingen die hölzernen Lagerhallen und näherten sich der „Isabella“.
Anfangs verhielten sie sich neugierig-ängstlich, doch schon sehr bald wurden sie kühner und drangen auf die Pier vor, um die legendären Seewölfe aus der Nähe zu sehen.
Eine ganze Schar folgte den ersten, und nun brandeten sie wie eine riesige Woge heran, murmelnd, staunend und fast ehrfürchtig blickten sie auf die Crew.
Hurrageschrei setzte ein, einige Frauen drängten nach vorn, bis sie das Schiff berührten.
Carberry und die anderen Seewölfe standen ausnahmslos am Schanzkleid der Kuhl und grinsten.
„Mann, ist das ein Empfang“, sagte der Profos mit glänzenden Augen, „und seht euch nur die vielen Weiber an. Die sind schon ganz verrückt auf uns, merkt ihr das, ihr aufgedockten Bilgenwanzen?“
„Und ob!“ Matt Davies warf sich in die Brust, und sonnte sich in dem Gefühl, bewundert zu werden, genau so wie die anderen auch.
Der Tumult wurde so laut, daß keiner mehr sein eigenes Wort verstand.
Auch der Kutscher grinste in die Menge, die die „Isabella“ jetzt vom Bug bis zum Heck umlagerte.
Und immer wieder wurden sie gemustert, angegafft, angestarrt, genau fixiert. Aber alle verhielten sich trotz des Tumultes fast ehrfürchtig und andächtig.
Die sagenumwobenen Gestalten standen wie aus Erz gegossen an Deck. Da war Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister von der Burgfeste Arwenack, da stand der rothaarige Schiffszimmermann in imponierender Größe neben dem mächtigen Profos. Ben Brighton, Smoky, der Decksälteste und der titanenhafte Gambia-Neger Batuti, und all die anderen.
Die Zwillinge, Hasards Söhne, die natürlich keiner kannte, wurden bestaunt. Gelächter galt dem Schimpansen Arwenack, der wie ein Wilder über das Deck fegte, in die Wanten enterte und blitzschnell bis in den Topp des Schiffes hangelte.
Ein weiteres buntes Bild bot der Aracanga-Papagei Sir John, der von Mast zu Mast segelte, dann krächzend über die Menge Neugieriger strich, und sich schließlich bei seinem Liebling, dem narbengesichtigen Profos, auf die Schulter setzte. Es war, als würde der bunte Papagei die Bewunderung genießen, denn sobald sich die Menge beruhigte, begann er unflätig zu fluchen und zu lästern, bis das brausende Gelächter wieder einsetzte.
Immer noch strömten Leute herbei. Nachdem sie die Mannschaft gemustert hatten, galt ihr Blick dem schwarzhaarigen Mann mit den langen Haaren, dem sonnenverbrannten Gesicht und den eisblauen Augen.
Der Seewolf!
Immer wieder drang leises Raunen durch die Menge, bis Hasard sich mit zuckendem Gesicht abwandte.
„Ich fühle mich wie das Ausstellungsstück einer Gauklertruppe“, sagte er zu von Hutten, der immer wieder den Kopf schüttelte.
„Hörst du, was sie sagen?“