Seewölfe - Piraten der Weltmeere 109. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 109 - Roy Palmer


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Brighton, der dem Seewolf gefolgt war, traf ebenfalls auf dem Vordeck ein und sagte: „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Was hat denn das zu bedeuten?“

      „Da fragst du mich im Moment zuviel“, erwiderte Hasard.

      „So ein plötzliches Manöver, das ist doch sonst nicht Siri-Tongs Art“, meinte nun auch Smoky, der Decksälteste. „Jedenfalls ändert sie nie den Kurs, ohne sich vorher mit uns zu verständigen.“

      Begeistert war der Seewolf von dem Verhalten der Roten Korsarin auch nicht gerade, aber er gab sich Mühe, gelassen zu bleiben. „Sie ist voll Zorn gegen die fremden Piraten. Wahrscheinlich hat sie in der Zwischenzeit einiges zusammenkombiniert. Sie kennt sich in diesem Seegebiet ja auch sehr gut aus und weiß also, was sie tut.“

      Das hoffe ich jedenfalls, dachte er.

      Er folgte der Fahrt des „Eiligen Drachens“ mit dem Kieker. Ja, der neue Kurs des Viermasters war klar nach Norden ausgerichtet. Jetzt war es an ihm, eine Entscheidung zu fällen. Entweder blieb er bei Siri-Tong – oder er ging seiner eigenen Wege.

      Nach einigem Zögern drehte er sich um und rief: „Abfallen! Wir folgen dem schwarzen Schiff in seinem Kielwasser!“

      „Abfallen!“ brüllte Carberry zurück. „Aye, Sir!“

      Breitbeinig stand der Profos auf der Kuhl in der Nähe des Großmastes, als Old Donegal Daniel O’Flynn aus dem Achterkastell stiefelte. Ed Carberry bemerkte den Alten erst, als dieser dicht neben ihm stehenblieb. Fast hätte er ihm aus Versehen eine Ohrfeige verpaßt, denn er hob gerade schwunghaft die rechte Pranke und unternahm eine Gebärde zu Matt Davies hin.

      „Matt, du Riesenroß, schrick weg den verdammten Tampen, willst du wohl spuren? Du Stinkstiefel, hast du das immer noch nicht gelernt?“

      Matt Davies ließ die Steuerbordschot des Großsegels durch seine Hände gleiten und zuckte dabei mit den Schultern.

      „Wann lernt dieser Hornochse endlich, daß er uns nicht mehr anzubrüllen braucht?“ murmelte er nur.

      „Nie“, erwiderte Gary Andrews, der links von ihm stand, grinsend. „Außerdem, wer brüllt, der ist gesund.“

      Matt schnitt eine Grimasse. „Ja, und bellende Hunde beißen nicht. Alles bekannt. Aber allmählich kann ich das ewige Gemotze nicht mehr hören. Immer wieder die gleiche Litanei …“

      „Matt, du Rübenschwein, was hast du da zu quatschen?“ dröhnte die Stimme des Profos’ an seine Ohren.

      „Nichts“, erwiderte Matt mit ödem Grinsen. „Ich meine nur – könnte sein, daß das Wetter bald umschlägt.“

      „Zum Teufel mit dem Wetter“, knurrte Edwin Carberry. Er ließ die Hand wieder sinken und stellte überrascht fest, daß Dans Vater mit grimmiger Miene an seiner Seite stand.

      „Paß auf“, sagte der Alte. „Du bewegst deine Flossen wie Windmühlenflügel.“

      „Was ist los, Donegal? Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?“

      „Schon lange.“

      „Fang nicht wieder mit der Spökenkiekerei an.“

      „Ich sag, was mir paßt“, erklärte der Alte störrisch. „Und ich schwöre dir, in diesem beschissenen Teil der Welt ist der Hund erfroren und das Walroß ersoffen. Hier ist vorne hinten und hinten vorn, und links ist rechts und umgekehrt. Weißt du noch, wie der Kompaß plötzlich verrückt gespielt hat?“

      „Ja“, erwiderte Carberry mit großer Beherrschung. „Ja, zum Henker, das weiß ich noch.“

      „Nach Norden geht’s“, sagte O’Flynn. „Wer sagt dir, daß das wirklich Norden ist? Vielleicht segeln wir genau umgekehrt – nach Süden.“

      „Du bringst mich durcheinander“, sagte der Profos drohend.

      „Hier ist schon alles durcheinander.“

      Carberry fuhr zu dem alten Donegal herum. „Hör zu, und wenn wir dem Teufel geradewegs in seinen mickrigen Rachen segeln – wir reißen die Lady vorher hart nach Backbord und rasieren dem Gehörnten das rechte Ohr ab, klar? Was ist los, du alter Meckerbeutel? Sitzt dir der Kalk in den Knochen und im Hirn? Ist dein Holzbein angeknackst?“

      „Ach Quatsch“, sagte der Alte rüde. „Du weißt ganz genau, daß ich wohlauf bin. Mir ist diese Gegend nur nicht geheuer. Denk mal an die Insel der Drachen zurück, wie du da die Hosen voll hattest wegen des verdammten Viehzeugs.“

      „Da hat sich schnell herausgestellt, daß die Drachen viel kleiner waren, als wir gedacht hatten – und überhaupt nicht blutrünstig waren.“

      „Mag sein“, sagte Old O’Flynn. „Aber ich habe so eine Ahnung, daß wir diesmal nicht mit heiler Haut davonkommen. Irgend etwas ganz Gemeines wartet auf uns. Ich spür’s in meinem Beinstumpf, Ed, ich schwör’s dir.“

      „Mann“, brummte der Profos. „Ganz so schwarz, wie du ihn malst, ist der Teufel nun doch wieder nicht.“

      „Du mit deinem Teufel …“

      „Hasard!“ schrie O’Flynns Sohn in diesem Augenblick hoch über ihren Köpfen. „Wir kriegen Ärger mit dem Wetter!“

      Die Männer blickten außenbords, und Batuti, der schwarze Goliath aus Gambia, rief: „Verdammich – große See und viel Wind aus Südost.“

      Grollend türmten sich die Wogen auf, der Wind heulte in den Luvwanten und Pardunen. Ganz plötzlich erfolgte dieser Umschwung.

      Carberry blickte Old O’Flynn an. Der nickte wissend. Carberry schaute zu Matt Davies, und der grinste und sagte: „Hab ich nicht recht gehabt?“

      „Wißt ihr, was ihr alle offen habt?“ brüllte der Profos.

      Sir John, der karmesinrote Aracanga, streckte den Kopf aus Carberrys Wamstasche hervor. Er wollte der Crew gerade Aufschluß darüber geben, was Carberry meinte, da meldete sich wieder Dan aus dem Großmars.

      „Der schwarze Segler ist hinter der Kimm verschwunden! Ich kann ihn nicht mehr sehen!“

      „Damit war zu rechnen“, sagte der Seewolf auf der Back. „Ben, wir halten den Kurs, segeln vor dem Südost her und versuchen, im spitzen Winkel wieder auf ‚Eiliger Drache‘ zu stoßen.“

      „Aye, Sir. Hast du gesehen, wie er zuletzt dahingejagt ist?“

      „Wie ein Rachegott, oder?“

      „Und trotz des schlechten Wetters und schwerer Seen“, sagte Ben Brighton.

      „Siri-Tong ist wie besessen von dem Plan, die Piraten einzuholen und zu erledigen“, meinte der Seewolf. „Das kann ich verstehen, aber sie hätte uns wenigstens die Chance geben müssen, zu ihr zu stoßen.“

      Eine knappe Stunde später hatte er die Fühlung zum schwarzen Schiff endgültig verloren. Noch zweimal waren die Mastspitzen von Siri-Tongs Segler für kurze Zeit vor ihnen an der nordwestlichen Kimm aufgetaucht, aber jetzt war „Eiliger Drache“ verschwunden, als hätte ihn die aufgewühlte See verschlungen.

      Hasards Ärger wuchs, aber er zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Er sagte sich, daß er sich in Siri-Tongs Lage vielleicht nicht anders verhalten hätte. Immer wieder versuchte er, sich in ihren Gemütszustand, ihren unbändigen Zorn hineinzuversetzen.

      Nur langsam beruhigte sich die See wieder.

      Der Seewolf ging allmählich mit der „Isabella“ auf Nordkurs und segelte mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend dem Ungewissen entgegen.

      Wie angewurzelt war Fong-Ch’ang am Hang der hügeligen, kargen Küste stehengeblieben. Er hielt Tsao, seinen toten Sohn, auf den Armen und blickte entrückt auf die See hinaus, zu den Inseln hinüber, die dem Festland vorgelagert waren.

      Mehr als eine Stunde lang stand er so da. Über dem unendlichen Wasser ballten sich unheilvoll schwarze Wolkengebilde zusammen und formierten sich zu


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