Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603 - Fred McMason


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Die beiden Fischer standen wegen ihres Erlebnisses im Mittelpunkt, und das schmeichelte ihnen. Natürlich erhoben sie sich auch selbst zu Helden, die unerschrocken mit der Aalgabel auf den Satan losgegangen waren.

      Nach ein paar weiteren Schnäpsen und Bier war aus einem harmlosen Schiff ein weltbedrohendes Ungeheuer geworden, das die Küsten nach ahnungslosen Opfern abgraste und alles verschlang, was sich auf seinem Kurs befand.

      Später, als die beiden schon so viel gekümmelt hatten, daß sie kaum noch auf den Beinen stehen konnten, war aus dem Nebelschiff ein Dämon geworden, der zweifellos vorhatte, den gesamten Norden zu verschlingen.

      Ein ganz Schlauer wußte auch zu berichten, daß die alten Wikinger nach jahrhundertelangem Schlummer wieder zum Leben erwacht wären. Natürlich hatte der Teufel das bewirkt, und Knut, der alles durcheinanderbrachte, entsann, sich jetzt auch, einen Wikinger an Bord gesehen zu haben.

      Damit lag er, unbeabsichtigt, fast auf dem richtigen Kurs.

       2.

      „Eiliger Drache über den Wassern“, der viermastige Schwarze Segler, im Jahre 1560 in China unter dem Großen Chan aus Harthölzern erbaut, wirkte auf die meisten, die ihn zum ersten Male sahen, wie ein Schock.

      Das Schiff, eine gelungene Kombination zwischen einer Dschunke und einer Galeone, war schwarz wie die Nacht. Schwarz war der Rumpf, pechschwarz die Masten und Rahen, und schwarz waren die Segel, auf die feuerspeiende Drachenköpfe und andere unheimliche Gestalten genäht waren.

      Der nordische Riesenschrat, Thorfin Njal, hockte auf dem Achterdeck in seinem „Sesselchen“. So jedenfalls pflegte er in liebevoller Verzärtelung jenen thronartigen gewaltigen Sitz zu nennen, der in den Planken verbolzt war und einem nordischen Götterthron glich.

      Auch sein sogenanntes „Messerchen“ hing an seinem Gürtel. Das Ding war über ein Yard lang und wog knapp einen Zentner. Dieses Messerchen, von den meisten anderen kaum zu handhaben, pflegte Thorfin bei einer Auseinandersetzung mit einer Hand zu schwingen.

      Der Nordmann wischte mit einer Hand über seinen rötlichgrauen Bart. Der Bart war feucht wie ein großer Lappen, denn der Nebel hatte seine Feuchtigkeit darin hinterlassen, und so schimmerten immer wieder kleine Perlen in dem gewaltigen Gestrüpp.

      Der Nebel war so dicht, daß er von seinem Sesselchen aus nicht einmal das Vorschiff sah. Sein Blick reichte gerade bis zur Kuhl, wo alles in bizarren Formen und Umrissen wie in einer Waschküche verschwamm.

      Den Mann, den alle den Wikinger nannten, juckte der Nebel nicht. Von seinem Sesselchen aus gab er Ruderkommandos auf seine ganz besondere eigenwillige Art, die den Rudergänger schier zur Verzweiflung trieb.

      Zur Zeit stand der Stör am Ruder. Er hatte den Steuermann Barba abgelöst und fühlte sich in der dicken Suppe höchst unbehaglich, zumal er absolut nichts sah.

      Der Stör, einer der fünf Wikinger, wurde so genannt, weil er ein so endlos langes Gesicht wie ein Stör hatte. Er hieß nur der Stör. Seinen wirklichen Namen kannte keiner.

      Der Stör hatte zur Zeit die traurige Aufgabe, auf Thorfins gewaltigen Daumen zu peilen, den der Nordmann augenblicklich senkrecht in die Höhe hielt. Senkrecht hieß soviel wie: Kurs so halten. Gut so!

      Bewegte sich dieses gewaltige Ding von einem Daumen jedoch plötzlich nach links oder rechts, bedeutete dies einen Kurswechsel nach Backbord oder Steuerbord, der jedes Mal von einem kurzen energischen Pfiff begleitet wurde.

      Wer bei Thorfin am Ruder stand, konnte also beruhigt eine Weile vor sich hindösen. Der Pfiff weckte ihn, denn er war durchdringend und grell, und dann sah er immer noch rechtzeitig die Daumenbewegung. Allerdings döste niemand bei der Ruderwache, denn darin verstand der Nordmann keinen Spaß.

      Der Stör zuckte entnervt zusammen, als der schrille Pfiff erklang und der Daumen nach links zeigte. Er legte Backbordruder, bis der Daumen wieder nach oben wies.

      Was die Kursänderungen sollten, war dem Stör absolut nicht klar, denn Thorfin sah in dieser Nebelsuppe auch nicht weiter als bis zur Kuhl. Dort war die Welt endgültig zu Ende, und es schien nicht mal ein Vorschiff zu geben. Der Wikinger aber bewegte sich in diesem zähen Brei so sicher, als sei die Sicht bis zur Kimm frei.

      „Weiter so“, sagte der Poltermann mit seiner Donnerstimme. „Du bleibst jetzt auf diesem Kurs, bis du Land siehst. Verstanden? Und wenn du um Haaresbreite aus dem Kurs läufst, dann fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz.“

      „Fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz“, wiederholte der Stör, weil es eine lausige Angewohnheit von ihm war, oftmals Thorfins letzten Satz nachzuquatschen.

      „Dir“, brüllte der Wikinger erbost. „Nicht mir! Außerdem habe ich dir schon tausendmal gesagt, daß du nicht immer alles nachquasseln sollst, du gelabsalbter Stint. Ich will jetzt essen und dabei nicht gestört werden.“

      Das Essen brachte Arne, der andere Wikinger. Zubereitet hatte es Cookie, das schmierig wirkende Köchlein an Bord. Er traute sich nicht, dem Poltermann das Essen aufs Achterdeck zu bringen, denn er hatte Angst davor, daß die Riesensandalen des Wikingers wieder in seinem Achtersteven landeten, wenn Thorfin mit dem Fraß nicht zufrieden war.

      Arne schleppte eine riesige Platte herbei. Darauf lagen drei sehr knusprig gebratene Hühner, eine armlange Hartwurst, ein halber Laib Brot, ein halbierter Käselaib, eine große Kumme mit Butter und ein riesiges Speckstück.

      „Mehr Hühner hatten wir leider nicht“, sagte Arne. „Hier ist auch noch etwas zu trinken.“ Er stellte die Kanne neben das monströse Sesselchen. Sie enthielt eine knappe Gallone Dünnbier.

      „So ist es recht“, sagte der Nordmann.

      Dann begann er genüßlich zu essen. Die Hühnchen riß er auseinander, von der Hartwurst schnitt er daumenstarke Stücke ab, ebenso vom Speck. Das Brot schnitt er in riesige Würfel, packte fingerdick Butter darauf und legte Käsescheiben darüber.

      Der Stör stand weiterhin am Ruder und duckte sich, wenn die abgenagten Hühnerknochen heranflogen. Die meisten sausten haarscharf an seinem Kopf vorbei.

      „Aufpassen!“ knurrte der Wikinger.

      Der Stör bezog das auf die Knochen, und er gab acht, damit ihn ja keiner traf, denn sie flogen fast so schnell wie Musketenkugeln.

      Aber dann traf ihn doch einer ziemlich schmerzhaft, und er verzog ärgerlich und beleidigt das lange Gesicht.

      „Aufpassen, habe ich gesagt“, grollte Thorfin wütend. „Hast du keine Augen in deinem verdammten Schädel?“

      „Ich kann nicht jedem Knochen ausweichen“, maulte der Stör.

      „Ich sprach nicht von den Knochen. Du sollst auf den kleinen Kahn aufpassen und ihn nicht untermangeln.“

      Der Stör sah keinen kleinen Kahn und starrte finster in den Nebel.

      „Da drüben, an Backbord, du Blindfisch! Da hocken zwei Fischer in einem Torfkahn. Halte etwas weiter ab! Oder glaubst du, ich werfe dir die Knochen aus Spaß an den Schädel?“

      Der Stör sah immer noch nichts. Erst als sich Thorfins Gesicht verfinsterte und er Anstalten traf, sich aus seinem Sesselchen zu erheben, erkannte der Stör etwas – einen kaum sichtbaren Schatten, der auf dem Wasser zu schweben schien.

      Die anderen, die ebenfalls an Deck standen, der Boston-Mann, Juan, Mike Kaibuk, der Kreole Tammy und Pedro Ortiz, sahen ebenfalls nichts und stierten ausdruckslos in die zäh wabernden Schleier.

      Dann sah der Boston-Mann das Fischerboot ebenfalls für einen winzigen Augenblick ganz deutlich. Auch der Stör entdeckte schließlich das Boot mit den zwei wie erstarrt wirkenden Männern. Aber schon wieder verschwand es im allesverschlingenden Nebel.

      Der Stör schluckte hart und wich dem „Torfkahn“ aus. Thorfin Njal aß in aller Seelenruhe weiter. Die drei Hühner waren verputzt, und jetzt war der schäbige Rest an der Reihe. Die Kanne mit dem Dünnbier war auch bereits zur Hälfte leer.


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