Seewölfe - Piraten der Weltmeere 484. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 484 - Roy Palmer


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Weg fort. Zwei Schatten, die durch das schlafende Havanna huschten. Keiner bemerkte sie. Unbehelligt erreichten sie schließlich die Faktorei von Manteuffel.

      Der Kapitän der spanischen Kriegsgaleone „San Sebastian“, Gaspar de Mello, hatte den ehrenwerten Gouverneur Alonzo de Escobedo unter Arrest gestellt, als dieser versucht hatte, sich die Schätze des Don Antonio de Quintanilla anzueignen.

      Angeblich hatte es sich um einen Geheimauftrag des Königs gehandelt, bei dem die Schätze aus den Höhlen bei Batabanó abgeborgen und per Schiff weggeschafft werden sollten. Diego Machado, der korrupte Kapitän der Fracht-Galeone „Trinidad“, war sich in diesem Punkt mit de Escobedo schon handelseinig gewesen.

      Doch de Mello hatte nicht mitgespielt. Alles war anders gelaufen, als de Escobedo sich das ausgemalt hatte. Die Mannschaft der „Trinidad“ hatte versucht, die Schätze im Alleingang zu erbeuten. Sie war einer nach dem anderen desertiert. Machado hatte sich schließlich sogar noch mit den Deserteuren verbündet. Doch sie alle hatten mit dem Leben bezahlen müssen – bis auf ein paar Kerle, die inzwischen ebenfalls als Gefangene an Bord der „San Sebastian“ waren.

      Die „San Sebastian“ mit den Gefangenen und de Escobedo befand sich jetzt auf der Reise nach Havanna. De Mello war unbestechlich und unbeirrbar. Er würde den Gouverneur den Gerichten übergeben.

      Hasard und Roger schauten sich aufmerksam nach allen Seiten um, ehe sie die Hinterhofmauer der Faktorei überkletterten. Hasard schickte Roger vor. Roger landete mit sicherem Sprung auf dem Pflaster des Hofes, ließ die Perlensäcke zu Boden sinken und blickte zu dem Seewolf auf, der bereits oben auf der Mauer kauerte. Dann ließ sich auch Hasard fallen. Federnd setzte er auf und grinste seinem Begleiter zu.

      „So, das wäre geschafft“, sagte der Seewolf. „Ein Gläschen Wein hätten wir uns jetzt wohl verdient.“

      „Achtung“, sagte Roger. Er deutete zu dem Schuppen, wo er soeben eine Bewegung registriert hatte.

      „Jörgen?“ fragte Hasard. „Oder Isabella?“

      Jussuf trat grinsend auf sie zu. „Zweimal falsch getippt, Sir. Ich bin’s.“

      „Schau mal an“, sagte Hasard. „So eine Überraschung. Du bist also schon wieder im Lande? Wie ist alles gelaufen?“

      Jussuf schüttelte den beiden Männern herzlich die Hände, dann erklärte er fröhlich: „Alles bestens. Die Brieftaubenroute ist eingerichtet. Es wird mit der Verständigung wieder alles großartig klappen, ihr braucht euch nicht zu sorgen.“

      „Wann bist du zurückgekehrt?“ fragte Roger Lutz.

      „Vor zwei Tagen“, entgegnete Jussuf. „An Bord der ‚Persante‘, der ehemaligen ‚Confidence‘, unter dem Kommando von Kapitän Oliver O’Brien und Renke Eggens. Sechs Brieftauben haben wir mit zurückgebracht.“

      „Die ‚Persante‘ liegt noch im Hafen?“ fragte Hasard.

      „Ja, an der Pier“, erwiderte Jussuf. „Aber warum stehen wir hier draußen herum, wenn wir es drinnen viel gemütlicher haben?“

      Sie betraten das Innere der Faktorei. Jussuf weckte Arne von Manteuffel. Arne ging mit seinem Vetter, mit Roger und Jussuf ins Kontor, und hier entkorkte er eine Flasche vom besten Rotwein. Kurz darauf erschienen auch Jörgen Bruhn und Isabella Fuentes.

      Nun berichtete Hasard, was sich an der Bucht bei Batabanó zugetragen hatte.

      Arne, Jörgen, Jussuf und das Mädchen hörten mit gespannten Mienen zu. Manchmal gaben sie knappe Kommentare ab, sie konnten ihr Erstaunen und ihre Begeisterung nicht zurückhalten. Als Hasard mit seiner Schilderung am Ende angelangt war, sprang Jussuf auf und klatschte in die Hände.

      „Beim Barte des Propheten!“ rief er. „Das war das Werk Allahs! Zur Hölle mit den Dons, Scheitan wird sie schmoren lassen! Allah straft die Bösen und belohnt die Guten!“

      „Nicht so laut“, sagte Arne grinsend. „Es könnte draußen jemand hören.“

      Jussuf ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. „So ein Beutezug! Ich kann’s noch gar nicht fassen!“

      Roger wollte ihm ein Glas Wein anbieten, aber Jussuf lehnte kopfschüttelnd ab.

      „Selbst ein solcher Sieg macht mich nicht schwach“, erklärte er stolz. „Ein gläubiger Muselman trinkt keinen Alkohol.“

      „Toll“, sagte Roger. „Du bist wirklich überzeugt, was?“

      „Allah ist mein Zeuge, daß ich noch nie Wein, Bier oder Rum zu mir genommen habe“, erwiderte Jussuf.

      „Schon gut“, sagte Jörgen. „Zurück zu dem Schatz. Er wird also zur Zeit aus den Höhlen abgeborgen?“

      „Ja“, entgegnete der Seewolf. „Und die ‚San Sebastian‘ ist hierher unterwegs, wie ich eben schon sagte.“

      „Ein gutes Ende“, sagte Arne von Manteuffel. „Ich gratuliere euch zu diesem Erfolg. Der immense Schatz des Don Antonio gehört nun dem Bund. Besser hätte es nicht kommen können. Nur die Gegenseite hat Federn lassen müssen.“

      Jussuf rieb sich die Hände. „Das geschieht ihm recht, diesem Schakal von einem Gouverneur! Zerspringen soll er! Ich wünsche es ihm.“

      Hasard mußte lachen.

      „Ich möchte auf jeden Fall die Rückkehr der ‚San Sebastian‘ abwarten“, sagte er dann.

      „Um zu erfahren, was mit dem schurkischen Alonzo de Escobedo geschieht?“ fragte Isabella. „O ja. Das interessiert auch mich. Dieser Lüstling. Ich kann ihn nicht ausstehen.“

      „Das Schicksal von de Escobedo ist ein wichtiger Punkt für uns alle“, sagte Arne. „Denn er wird das Gouverneursamt ja nicht mehr ausüben.“

      „Aber wer dann?“ fragte Jörgen.

      „Das ist noch die große Frage“, sagte Jussuf, der nachdenklich geworden war. „Welcher neue Halunke wird diese Stadt und diese Insel verwalten? Ich mag gar nicht daran denken.“

      Arne von Manteuffel war ebenfalls ernst geworden. „Anders ausgedrückt, Havanna und damit Kuba ist ohne Gouverneur im gewissen Sinn führungslos.“

      „Eine seltene Situation“, sagte Roger Lutz.

      „Könnte sie nicht machtpolitisch irgendwie wahrgenommen werden?“ erkundigte sich Jörgen Bruhn.

      „Von wem?“ fragte Arne.

      „Nun, von England beispielsweise“, sagte der Seewolf. „So man dort wüßte, daß die Insel zur Zeit ein überreifer Apfel ist, den man nur zu pflücken braucht.“

      Arne stieß einen leisen Pfiff aus. „Ja – wenn man das in England wüßte, wäre jetzt vielleicht was fällig. Es wäre überhaupt nicht auszumalen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden.“

      „Das würde ich den Spaniern gönnen“, sagte Jussuf. „Sie hätten es verdient, daß ihnen mal jemand eine große Lektion erteilt. Können wir das nicht so einrichten?“

      „Wie denn?“ fragte Roger grinsend. „Willst du etwa eine Brieftaube nach England schicken?“

      Jussuf musterte den Franzosen kühl. „Meine gefiederten Lieblinge würden auch das schaffen.“

      Jörgen lachte. „Aber vielleicht würden sie nach Frankreich oder sonstwohin fliegen, statt nach England.“

      Jussuf wollte aufbrausen, aber Arne stoppte die beginnende Diskussion durch eine Handbewegung. „Halt, ihr geht da wohl zu weit. Das ist alles nur Utopie. Hasard denkt seestrategisch und seiner Zeit voraus. Ist es nicht so, Hasard?“

      „Ja“, erwiderte sein Vetter. „In England ist man noch nicht soweit. Und keiner würde dort begreifen, was der Besitz von Kuba als Schlüsselposition im karibischen Raum bedeuten könnte.“

      Arne nickte. „Vermutlich würde Spaniens Macht in der Neuen Welt aus den Angeln gehoben.“


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