Seewölfe - Piraten der Weltmeere 540. Burt Frederick
ließ den Dolch auf das Steinpflaster fallen. Die Klinge schepperte und gelangte zur Ruhe.
Kurz und kraftvoll trat Hasard mit dem Stiefelabsatz darauf.
Zwischen zwei Kopfsteinen zerbrach die Klinge in zwei Teile, und auch das Griffstück brach ab.
Der Araber sperrte den Mund auf und holte tief Luft.
Philip wandte sich ihm grinsend zu. Hasard setzte das gleiche wölfische Grinsen auf, und Plymmie knurrte leise und warnend.
„Bevor du dich weiter aufbläst“, erklärte Philip in der Sprache des Arabers, „laß dir gesagt sein, daß wir unsere einfaltspinselige Methode haben, eine Ware auf ihre Qualität zu prüfen. Und du darfst Allah danken, du schlitzohriger Sohn einer räudigen Hündin, wenn wir dich nicht spüren lassen, wie gut richtiger Blankwaffenstahl ist.“
Demonstrativ legten beide die Rechte auf den Griff ihrer Entermesser. Die Wolfshündin fletschte die Zähne und verstärkte ihr Knurren. Sie sah jetzt furchterregend aus.
Der Araber erschauerte vor Entsetzen.
„Siehst du“, sagte Hasard grinsend, „wir sind zwar ein paar Jahre jünger als du, aber doch um Erfahrungen reicher. Setze niemals etwas voraus, von dem du dich nicht vorher vergewissert hast.“
Der Araber rang die Hände und verneigte sich so tief, als wollte er das Steinpflaster küssen.
„Seid gnädig mit mir, junge Herren!“ jammerte er. „Ich habe doch nicht wissen können, daß ihr unsere Sprache sprecht. Wie, in aller Welt, sollte ich das ahnen?“
Die Zwillinge hatten sich schon abgewandt.
„Niedertracht auch nur in Gedanken zu äußern, ist schon ein schlechter Charakterzug“, sagte Philip, indem er sich noch einmal umdrehte. „Allah wird wissen, wie er einen Lumpenhund wie dich bestraft.“
„Wir machen uns an einem Gauner wie dir jedenfalls nicht die Finger schmutzig“, fügte Hasard hinzu.
Gleich darauf waren die beiden im Gewühl verschwunden.
Sie sahen nicht mehr, wie der mausgraue kleine Mann auf den Talmi-Händler zutrat und ihn in ein Gespräch verwickelte.
Die Jungen merkten sich jene Gassen, in denen es vor allem Frischfleisch und erntefrisches Gemüse und Obst zu kaufen gab. Mit diesem Auftrag hatte ihr Vater, der Seewolf, sie losgeschickt. Die „Santa Barbara“ lag im Hafen von Sûr an einer Pier, und der Kutscher und Mac Pellew warteten darauf, ihre Kombüsenvorräte ergänzen zu können.
„Zeit, umzukehren“, sagte Philip, als sie das Ende einer der letzten Basar-Gassen erreichten. „Mac Pellew, der alte Griesgram, wird sonst wieder behaupten, daß auf uns kein Verlaß sei.
„Und daß man alles selber erledigen müsse, wenn es klappen soll“, fügte Hasard junior hinzu.
Lachend entschieden sie sich für den Rückweg durch die weniger belebten Gassen von Sûr, Mac Pellew und der Kutscher, die beiden Kombüsenstinte, wie Ed Carberry sie gelegentlich zu nennen pflegte, waren bestimmt schon ungeduldig. Sie legten immer besonderen Wert darauf, Abwechslung in den Küchenzettel zu bringen.
Die Männer an Bord der „Santa Barbara“ wußten das durchaus zu schätzen, was sie allerdings nicht daran hinderte, Mac und den Kutscher von Zeit zu Zeit gewaltig auf den Arm zu nehmen, indem sie nach allen Regeln der Kunst am Espen herummäkelten.
Solche vorgetäuschte Kritik nahmen die beiden Kombüsenmänner stets ernst, und jeder verstand es letztlich als ein deutliches Zeichen dafür, wie verdammt genau Mac und der Kutscher ihrer Aufgabe nachgingen.
Nur widerstrebend hatten sie den Zwillingen den Erkundungsgang überlassen. Aber sie hatten keine andere Wahl gehabt. Die Vorbereitungen für das Backen und Banken wollten sie schließlich noch viel weniger an Philip und Hasard abtreten. Also hatten die Jungen versprochen, rechtzeitig zur Mittagsmahlzeit wieder dazusein, damit man anschließend die Frischversorgung aus der Stadt herbeischaffen konnte.
In Gedanken schon auf der „Santa Barbara“, betraten die Söhne des Seewolfs eine enge Gasse, die von hohen weißen Mauern gesäumt wurde. Auf der Sohle der Gasse herrschte Halbdunkel, der obere Teil der Mauer zur Rechten leuchtete jedoch im gleißenden Sonnenlicht.
Es geschah, als sie ein Tor passierten, das weiß gestrichen war und sich deshalb kaum von dem angrenzenden Mauerwerk abhob.
Selbst für Plymmie geschah es zu überraschend. Sie hatte keine Vorwarnung abgeben können.
Die Kerle schnellten aus dem Schatten eines Innenhofes hervor.
Eine Übermacht.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen sahen sich die Zwillinge von wallenden weißen Gewändern umringt. Knochige Fäuste zuckten vor, und in gebräunten Gesichtern funkelten triumphierend dunkle Augen.
Philip und Hasard wehrten sich vergeblich gegen die überlegene Kraft von mehr als zehn Kerlen. Sie konnten nicht verhindern, in den Innenhof gezerrt zu werden.
Aber Plymmies heiseres Knurren war in ihrer Nähe. Diese Hoffnung gab es noch. Und Genugtuung erfüllte die beiden Jungen, als sie einen Schrei hörten. Ganz nahe.
Einer der Kerle wankte zurück. Sein Schrei steigerte sich zum Schmerzensgebrüll.
Die Wolfshündin hing an seinem rechten Arm, der bereits stark blutete. Verzweifelt versuchte der Mann, sich von ihr zu befreien. Doch je mehr er zerrte und ruckte, um die Hündin abzuschütteln, desto tiefer gruben sich ihre scharfen Reißzähne in die Wunde.
Der Mann verschlimmerte seine Schmerzen selbst, ohne es zu begreifen.
Für einen Moment wurden die anderen von der Attacke der Wolfshündin aus der Fassung gebracht.
Philip spürte, wie sich die insgesamt sechs Fäuste, die ihn hielten, ein wenig lockerten. Die Aufmerksamkeit der Kerle war abgelenkt. Denn noch immer brüllte ihr Kumpan, und jetzt war er kurz davor, von der Wolfshündin zu Fall gebracht zu werden.
Philip sammelte seine Kräfte, spannte seine Muskeln und steigerte seinen eisernen Willen wie zu einer Explosion.
Er riß sich los.
Die Kerle fluchten lästerlich und versuchten, ihn sofort wieder zu packen. Doch er war zu schnell für sie. Er sprang in die Mitte des von weißen Mauern umgebenen Hofes, an Plymmie und dem Brüllenden vorbei. Aus den Augenwinkeln sah er seinen Bruder, der weniger Glück hatte als er.
Hasard wurde von vier Kerlen gehalten, und sie wichen grinsend mit ihm zurück in einen Mauerwinkel.
Alle anderen stürmten hinter Philip her.
Der Sohn des Seewolfs lief auf einen Brunnen zu. Er hatte noch kein Fluchtziel vor Augen und wußte nicht, wohin er sich wenden sollte.
Unter einem Torbogen sah er einen mausgrauen kleinen Mann, der gelassen dastand und das Geschehen beobachtete, als handele es sich um eine Vorführung, die für ihn persönlich inszeniert wurde.
Im Laufen wandte Philip sich um. Die Verfolger waren nur zwei oder drei Schritte hinter ihm. Wut hatte ihre Gesichter verzerrt. Wilde Entschlossenheit, ihren Fehler auszubügeln, beflügelte sie.
Plymmie schaffte es. Der Mann, den sie gepackt hielt, stürzte. Seine Schmerzen mußten sich dadurch ins Unerträgliche steigern, denn sein Gebrüll verstärkte sich zu schrillen Lauten, die fast nichts Menschliches mehr an sich hatten.
Der Wolfsinstinkt in Plymmie brach durch. Sie schickte sich an, dem Mann an die Kehle zu gehen.
Einer der Verfolger kreiselte herum. Er hielt einen Knüppel in der Rechten. Philip erkannte ihn sofort. Es war der Talmi-Händler. Und was er mit dem Knüppel vorhatte, brauchte man nicht erst zu raten.
„Plymmie!“ schrien die Söhne des Seewolfs nahezu gleichzeitig.
Die Wolfshündin schnellte von ihrem Opfer weg – gerade noch rechtzeitig.
Der sausende Knüppelhieb traf nicht sie.