Seewölfe - Piraten der Weltmeere 540. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 540 - Burt Frederick


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Händler fluchte lauthals und schleuderte den Knüppel hinter der davonhetzenden Hündin her. Doch wieder traf er nicht.

      Philip erreichte den Brunnen.

      Einer der Kerle, die Hasard hielten, hetzte los, um die graue Hündin zu verfolgen. Doch er verlangsamte seine Schritte im nächsten Moment, denn Plymmie war schon um die Ecke und in der nächsten Gasse verschwunden.

      Hasard versuchte unterdessen vergeblich, dem Beispiel seines Bruders zu folgen. Seine Gegner waren auf der Hut. Noch einen Fehler wollten sie vermeiden. Hasard wand sich in ihrem harten Griff und erreichte doch nur, daß sich ihre Finger noch tiefer in seine Armmuskeln gruben.

      Philip duckte sich hinter den Brunnenrand und suchte spähend nach der passenden Richtung, um den Kerlen ein Schnippchen zu schlagen und zu entwischen.

      Sie verlangsamten ihren Ansturm und grinsten plötzlich.

      Bevor Philip richtig staunen konnte, zuckte er zusammen.

      Mit dumpfem Laut schlug etwas in die Lehmwandung des Brunnens. Haarscharf neben seinem Gesicht. Seine Augen weiteten sich ungewollt, und er wich zurück.

      Ein schlankes Wurfmesser war es, das da mit federndem Nachschwingen im gebrannten Lehm steckte.

      Philip erstarrte und wagte nicht mehr, sich zu rühren.

      „Dreh dich um, Britenbastard!“ sagte eine Stimme in rollendem Englisch.

      Der Sohn des Seewolfs gehorchte, denn er spürte, daß es eine tödliche Gefahr war, die ihm unverhofft drohte. Der Messerwerfer würde nicht zögern, sein mörderisches Geschick darauf zu verwenden, ihn blitzschnell zu töten. Davon war Philip überzeugt.

      Er gehorchte.

      Unter dem Torbogen war der mausgraue kleine Mann einen Schritt vorgetreten. In der Rechten hielt er ein zweites Messer.

      Jäh schleuderte er es. Im Sonnenlicht, das den Innenhof erreichte, war der Klingenstahl ein flirrendes Sausen. Nur um Fingerbreite vor Philips Füßen bohrte sich der Stahl in den festgestampften Lehmboden.

      Philip erschauerte. Ihm wurde klar, welche ungeheure Wucht hinter beiden Wurfmessern gesteckt hatte. Dieser kleine Mann dort drüben war nicht so unscheinbar, wie er aussah.

      Jetzt verließ er den Torbogen und trat näher.

      Fäuste packten Philip von hinten. Er sah ein, daß er keine Chance mehr hatte, daß es unsinnig gewesen wäre, sich jetzt noch zu widersetzen.

      „Du siehst“, sagte der Mausgraue mit dünnem Lächeln, „die Klingen meiner Messer bestehen aus erstklassigem Stahl. Ich würde es an deiner Stelle nicht auf die entscheidende Probe ankommen lassen.“

      Die anderen brachten Hasard herbei.

      Der Talmi-Händler trat auf den mausgrau gekleideten kleinen Mann zu.

      „Ahmed ist tot, verdammt noch mal!“

      Der Mausgraue nickte ungerührt. „Du hast ihn umgebracht. Warum beklagst du dich über deinen eigenen Fehler?“

      „Mein Fehler?“ Der Händler heulte es, und er riß Mund und Augen weit auf. „Du willst mir die Schuld in die Schuhe schieben? Für etwas, das ich nicht ahnen konnte?“

      Der andere lächelte herablassend, obwohl er deutlich kleiner war und zu dem Araber aufblicken mußte.

      „Bei allem, was man tut, sollte man vorausschauend handeln, mein lieber Abdul. Selbst wenn der Köter nicht weggelaufen wäre, hättest du Ahmed mit deinem Knüppel ganz schön verletzen können. Im übrigen glaube ich dir nicht, daß er dir so viel bedeutet hat, wie du jetzt auf einmal vorgibst.“ Er warf einen kurzen Blick zu den beiden Gefangenen. „Fesseln und knebeln!“ befahl er mit einer geringschätzenden Handbewegung.

      „Was bildest du dir ein, Radjif?“ schrie Abdul, der Händler, und trat einen schnellen Schritt auf den Mausgrauen zu. Anklagend wedelte er mit den Armen auf und ab – im Takt seiner Worte. „Ich habe dich von vornherein vor dieser Hundebestie gewarnt. Aber du meintest ja, mit zwölf Männern wäre man auf jeden Fall in der Übermacht. Jetzt siehst du ein, daß du einen Fehler begangen hast, und schon tust du so, als ob ich an allem schuld wäre. Das lasse ich mir nicht bieten! Du hast nicht das Recht, dich so aufzuspielen.“

      Philip und Hasard beobachteten den kleinen Mann, der weniger wie ein Araber, sondern mehr wie ein Inder aussah. Dem Klang seines Namens nach schien er das letztere zu sein, wahrscheinlich aber ein Mischling. Während die Kerle den Jungen die Handgelenke mit Stricken auf den Rücken banden, zog Radjif verächtlich die Mundwinkel nach unten.

      „Lamentiere nicht wie ein Waschweib, Abdul. Ich persönlich habe mein Ziel erreicht. Ich habe die Ware, die ich haben wollte. Du und deine Männer, ihr habt euren Lohn erhalten. Im voraus! Was willst du also mehr, verdammt noch mal?“

      Das Gesicht des Händlers veränderte sich zu einer listigen Grimasse.

      „Du sprichst es selber aus, Radjif. Natürlich will ich mehr. Der Tote verursacht mir zusätzliche Kosten. Ich muß ihn unauffällig verschwinden lassen, und zwar so, daß er nie wieder aufgefunden wird. Um das zu erreichen, muß ich wahrscheinlich einige Leute bestechen und …“

      Radjif unterbrach ihn mit einer herrischen Geste.

      „Erzähl mir nichts, Abdul. Ich bin selber Handelsmann. Glaubst du, du kannst mich für dumm verkaufen? Du wirst Ahmeds Anteil in die eigene Tasche stecken. Und es wird dich keinen blassen Silberling kosten, die Leiche zu beseitigen, weil ihr es nämlich selbst erledigen werdet. Aber ich will nicht kleinlich sein.“ Er griff unter seine Jacke, und das leise Klimpern von Münzen war zu hören. Um das, was er zum Vorschein brachte, hielt er die Hand geschlossen.

      Es mußten zwei oder drei Münzen sein, die Abdul entgegennahm, denn es klirrte kaum hörbar, als er sich diskret abwandte, um die Zusatzeinnahme zu betrachten. Zufrieden nickend ließ er sie unter seinem weiten Gewand verschwinden.

      „Vielen Dank, Radjif“, sagte er mit einer tiefen Verbeugung. „Auch in Zukunft stets zu deinen Diensten.“

      Den Zwillingen waren mittlerweile Knebel angelegt worden. Abdul stellte vier Männer dafür ab, die Gefangenen unter Radjifs Führung an ihren Bestimmungsort zu bringen.

      Von den Eigentümern der Gebäude rings um den Innenhof ließ sich niemand blicken. Radjif schien ein Abkommen mit ihnen zu haben. Seinem Auftreten nach war er ein Mann, der in dieser Stadt viele gute Beziehungen hatte.

      Die Entführer eilten mit ihren Gefangenen durch ein Gewirr enger und engster Gassen. Sobald sie auch nur von weitem erblickt wurden, zog man sich schleunigst in die Häuser zurück. Verschleierte Frauen und runzelhäutige alte Männer gaben den Weg frei. Sogar Kinder“, bei denen man Arglosigkeit vermutet hätte, flüchteten in den Schutz der vertrauten vier Wände.

      Dieser Radjif, so stellten Philip und Hasard fest, mußte ein Erzhalunke mit Einfluß sein.

      2.

      Für den Rest des Weges wurden ihnen auch noch die Augen verbunden. Radjif wollte offenbar nicht das geringste Risiko eingehen. Und das, obwohl er doch in Sûr anscheinend großen Respekt genoß.

      Von den knochigen Fäusten abwechselnd gezerrt und gestoßen, hörten die Zwillinge nur noch den hohlen Klang ihrer eigenen Schritte, verursacht von den harten Absätzen ihrer Seestiefel. Die Ledersandalen der Entführer riefen hingegen nicht mehr als ein eiliges Scharren hervor.

      Die Gassen, in denen sie sich bewegten, mußten so eng sein wie die vorherigen. Mauern, offenbar weitgehend fensterlos, ließen keine menschlichen Stimmen herausdringen. Nur gelegentlich waren schroffe Anweisungen von Radjif zu hören, wenn er seinen Helfern die Richtung wies.

      Schließlich – eine halbe Stunde mochte vergangen sein – änderte sich der Klang der Schritte.

      Philip und Hasard waren sicher, daß sie sich in einem jener Innenhöfe befanden, wie sie für die Bauweise in diesem Teil der Welt typisch waren.


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