Seewölfe - Piraten der Weltmeere 225. John Roscoe Craig

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 225 - John Roscoe Craig


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sagte Hasard kalt.

      Sie konnten schon einzelne Männer an Bord der Karacke erkennen. Hasard sah, wie sie sich schon darauf vorbereiteten, die „Isabella“ zu entern. Entermesser und Säbelklingen blitzten in den Strahlen der Sonne, die sich noch einmal einen Weg zwischen zwei dunklen Wolkengebilden gesucht hatte.

      Hasard gab Ben Brighton ein Zeichen, dann lief er zur Balustrade des Achterdecks und schwang sich mit einem Satz zur Kuhl hinunter. Federnd landete er auf den Planken und war mit wenigen Schritten bei Ferris Tucker, der die beiden Culverinen auf der Backbordseite mit Sam Roskill bedienen sollte. Hasard schickte Roskill zur Steuerbordseite.

      „Lade vier Culverinen, Al!“ rief er hinüber. „Feuere aber nur zwei ab, wenn es Ben gelingen sollte, die Luvposition zu gewinnen!“

      Sie wußten alle, daß es unmöglich war, aber Hasard wollte alle Eventualitäten in seine Berechnungen einbeziehen. Zusammen mit Ferris Tukker bereitete er auch zwei weitere Culverinen auf der Backbordseite zum Feuern vor.

      „Es muß blitzschnell gehen“, stieß er hervor. „Nimm ganz kurze Lunten. Der Pirat wird wie ein Seevogel an uns vorbeifliegen. Wir müssen feuern, wenn er uns noch nicht ganz erreicht hat. Ich zuerst, dann du, klar?“

      „Aye, aye.“ Ferris Tucker tat, als sei das nahende Gefecht eine alltägliche Angelegenheit, aber Hasard wußte, daß der Schiffszimmermann genauso angespannt war wie er selbst.

      Der Pirat war fast schon auf Musketenschußweite heran. Hasard hob die Hand, und keine Sekunde später schallten Ben Brightons Befehle über Deck.

      „Klar zum Halsen!“

      Jeff Bowie und Sam Roskill bargen den Besan, Pete Ballie im Ruderhaus wirbelte das Rad nach Backbord, und Carberry ließ die Großrahen vierkant brassen. Die „Isabella“ fiel sofort ab und lief plötzlich vor dem Wind. Aber bevor sie Fahrt aufnehmen konnte, befahl Carberry, die Vorrahen anzubrassen und kurz hinterher die Großrahen. Jeff Bowie und Sam Roskill setzten den Besan schon, bevor Carberry seinen Befehl gebrüllt hatte.

      Die „Isabella“ lag jetzt mit Backbordhalsen hart am Wind. Hasard hätte Ben Brighton am liebsten beglückwünscht. Für einen Moment glaubte er, daß sie die Piraten übertölpelt hätten, doch dann sah er, daß der Kapitän auf der Karacke im letzten Moment reagierte und noch härter an den Wind ging, um die Luvposition nicht zu verlieren.

      Sie konnten es nicht schaffen. Wie ein Albatros jagte die Karacke auf sie zu. Fast schien es, als wolle sie die „Isabella“ mit ihrem Bugspriet aufspießen.

      „Tief halten!“ brüllte Hasard Ferris Tucker zu, obwohl er wußte, daß Ferris wahrscheinlich besser mit der Culverine umgehen würde als er. Er jagte den Richtkeil zwischen Geschütz und Stellbock mit ein paar Schlägen tiefer, und die Mündung der Culverine neigte sich. Das Gebrüll der Piraten drang an seine Ohren. Er wartete noch, bis der Bugspriet der Karacke fast auf gleicher Höhe mit dem Bugspriet der „Isabella“ war, dann hielt er die Pechfackel an die kurze Lunte der Culverine.

      Er sah, wie weiße Rauchwolken an Steuerbord der Karacke aufwölkten, und für einen kurzen Moment glaubte er, daß es diesmal nicht gutgehen könne; dann brüllte seine Culverine auf, schoß polternd auf den hölzernen Lafettenrädern zurück und wurde von ächzenden Brooktauen aufgefangen. Nur einen Sekundenbruchteil später jagte Ferris Tuckers Culverine ihre Kugel den Piraten entgegen.

      Hasard wollte jubeln, als er sah, wie der Großmast und wenig später der Besan der Karacke wie ein Kienspan knickte, aber da ließ ein dumpfer, mächtiger Schlag die „Isabella“ erzittern.

      Die Piraten hatten mindestens ein Dutzend Kanonen abgefeuert, aber an den Fontänen, die zwischen beiden Schiffen aufgestiegen waren, hatte Hasard gesehen, daß sie fast alle zu kurz gelegen hatten. Eine von ihnen hatte jedoch offensichtlich den Rumpf der „Isabella“ getroffen.

      Hasard jagte Ferris Tucker los, er selbst lief zum Achterdeck, nahm den schmalen Niedergang hinauf und starrte zur Karacke hinüber, die voll aus dem Ruder gelaufen war. Der Großmast war aufs Deck geschmettert. Die Piraten waren damit beschäftigt, Wanten, Stage und Taue zu kappen. Es herrschte Zustand, das war sogar auf diese Entfernung zu erkennen.

      Ben Brighton schaute Hasard fragend an.

      Hasard wußte, was Ben wollte. Sicher, die Gelegenheit, den Piraten den Rest zu verpassen, war günstig, aber erst mußte er wissen, wie schwer der eigene Schaden war.

      Ferris Tuckers Gesicht war bedenklich verzogen, als er auf dem Achterdeck erschien.

      „Ich kann das Leck nicht während der Fahrt abdichten“, sagte er zerknirscht. „Wir müssen so schnell wie möglich an Land, wenn wir nicht absaufen wollen.“

      Hasard verlor ein wenig Farbe aus dem Gesicht. Er wußte, was das bedeutete. Sie konnten die kleine Insel, auf der sie fünf Männer und die Zwillinge hatten zurücklassen müssen, nicht anlaufen. Wahrscheinlich würden die Piraten mit ihrer Karakke dort vor Anker gehen, um ihren Schaden in der Takelage auszubessern. Hasard hatte die Mannschaftsstärke der Karacke nur grob überschlagen, aber er war davon überzeugt, daß sie über hundert betrug. Gegen hundert Piraten konnten sie nicht kämpfen. Das würde ihrer aller Tod bedeuten.

      Hasard gab Befehl, Kurs auf die größere Insel zu nehmen, die sie am vorigen Tag passiert hatten. Dort würde es wahrscheinlich Eingeborene geben, aber auch verschwiegene Buchten, in denen sie das Leck der „Isabella“ ausbessern und die sie gut gegen alle Angriffe von Land aus verteidigen konnten.

      Hasard sah an Ben Brightons Gesicht, daß auch dieser an die Männer und die Zwillinge dachte. Sie konnten nur hoffen, daß Matt Davies, der Kutscher, Stenmark, Blacky und Batuti klug genug waren, sich vor den Piraten zu verbergen.

      Hasard konnte sich eines unguten Gefühles trotzdem nicht erwehren. Er schalt sich einen Narren, weil er wieder einmal den beiden Quälgeistern nachgegeben hatte. Er kannte seine beiden Söhne zur Genüge. Wenn die Männer die Geduld aufbrachten, sich ein paar Tage vor den Piraten zu verbergen, Hasard und Philip würden vor Neugierde fast platzen. Der Seewolf hoffte nur, daß Matt Davies und die anderen Manns genug waren, die beiden Bengel im Zaum zu halten.

      „Wie lange wirst du brauchen, das Leck abzudichten?“ fragte Hasard den Schiffszimmermann.

      Ferris Tucker druckste ein wenig herum.

      „Mindestens drei Tage“, murmelte er.

      „Also eineinhalb“, erwiderte Hasard. Er wandte sich an Ben Brighton. „Nimm Kurs auf Anegada“, sagte er. „Ich möchte die Insel möglichst erreicht haben, bevor wir abgesoffen sind.“

      „Aye, aye“, sagte Ben Brighton und dachte still bei sich: Da bist du nicht der einzige, der sich das wünscht, Sir.

      2.

      Sie brüllten sich die Seele aus dem Leib, aber die Entfernung von der kleinen Lichtung auf der Anhöhe, von der sie zum Fluß hinunterblikken konnten, bis zum Schiff war zu groß.

      Matt Davies und die anderen konnten es nicht begreifen, was sie sahen, bis der Kutscher auf die See deutete und sagte: „Deshalb also.“

      Jetzt sahen auch die anderen die schnelle Karacke, die vierkant vor dem Wind segelte, genau auf die Flußmündung zu, in der die „Isabella“ Anker geworfen hatte.

      Sie wußten plötzlich, daß dem Seewolf keine andere Wahl geblieben war, als ankerauf zu gehen und die See zu gewinnen, wenn er nicht ein Opfer von beutehungrigen Piraten werden wollte, von denen es zwischen den Inseln über dem Winde zur Zeit nur so zu wimmeln schien.

      „Sie werden die Hunde zu den Fischen schicken und zurückkehren, um uns zu holen“, sagte Blacky grimmig. „Laßt uns schon mal zum Fluß runtermarschieren, damit wir rechtzeitig beim Boot sind, wenn die ‚Isabella‘ wieder auftaucht.“

      Die anderen nickten.

      Der Kutscher, der den Zwilling Hasard am Schlafittchen hielt und immer noch zur „Isabella“ hinunterschaute, wie sie den Fluß hinuntertrieb und


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