Seewölfe - Piraten der Weltmeere 225. John Roscoe Craig

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 225 - John Roscoe Craig


Скачать книгу
wann hast du zu bestimmen, was geschieht?“ Blacky war rot angelaufen vor Zorn. Er konnte es von anderen schon schlecht vertragen, wenn seine Vorschläge nicht akzeptiert wurden, vom Kutscher aber ganz und gar nicht.

      „Hier gibt’s weder einen Kapitän noch einen Bootsmann oder einen Profos“, erwiderte der Kutscher mit erhobenem Kopf. „Also hat der zu bestimmen, der am meisten Grips im Kopf hat.“

      „Dann bestimme ich“, sagte Hasard junior und versuchte, sich mit einer geschickten Körperdrehung aus dem Griff des Kutschers zu befreien. Der Stoff seines Kalikohemdes knirschte, hielt aber dem festen Griff des Kutschers stand.

      „Du hältst die Klappe, du kleiner Stint“, sagte Blacky. Er starrte den Kutscher wütend an. „Ich …“

      Der Schwede Stenmark unterbrach ihn. Seine Hand wies hinaus auf See.

      „Sie wollen die ‚Isabella‘ angreifen“, stieß er hervor. „Mann, seht ihr, wie viele Kerle an Bord der Karacke sind? Das sind mehr als hundert Piraten! Wenn die die ‚Isabella‘ entern, dann gute Nacht.“

      Selbst Blacky vergaß seinen Streit mit dem Kutscher. Gebannt starrte er mit den anderen auf die See hinaus, wo sich für ihr Schiff eine Katastrophe anzubahnen schien. Der Kutscher hatte Hasard losgelassen, der sich sofort mit ein paar Schritten in Sicherheit brachte, dann aber neben seinem Bruder stehenblieb und wie die anderen gespannt das Geschehen beobachtete.

      Batuti, der große, breitschultrige Neger aus Gambia, stöhnte auf, als er sah, wie die „Isabella“ zu halsen begann und plötzlich auf die Karacke der Piraten zuhielt.

      Keiner der Männer sagte ein Wort. Sie wußten, daß die Entscheidung dicht bevorstand. Sie alle glaubten daran, daß der Seewolf wie immer ein Loch finden würde, durch das er noch schlüpfen konnte, aber diesmal sah es verdammt trübe aus.

      Der Kanonendonner hallte über das Meer und erreichte die Ohren der Männer erst, nachdem sie gesehen hatten, wie die Kugeln, die von der „Isabella“ abgefeuert worden waren, in die Takelage der Karacke einschlugen und den Großmast und Besanmast knickten.

      Die Männer auf der Lichtung begannen vor Begeisterung zu brüllen. Sie hieben sich auf die Schultern, als die Karacke aus dem Ruder lief und manövrierunfähig in der aufgewühlten See lag.

      „Dad hat’s geschafft!“ rief Philip mit heller Stimme. „Jetzt wird er sie zur Hölle schicken!“

      Er hatte ausgesprochen, was alle dachten. Doch die „Isabella“ wendete nicht. Sie lief ihren Kurs, den sie nach der Halse eingeschlagen hatte, unbeirrt weiter.

      „Verfluchtes Scheiße!“ sagte Batuti inbrünstig. „Die Piraten haben geschossen Loch in ‚Isabella‘!“

      Jetzt sahen es auch die anderen. Die Krängung der Galeone konnte nicht nur daher rühren, daß sie hart am Wind lief. Eine oder mehrere Kugeln, die von der Karacke aus abgefeuert worden waren, mußten den Rumpf der „Isabella“ getroffen haben. Nur so war es zu erklären, daß der Seewolf abdrehte. Wenn sein Schiff voll Wasser lief, war es bald manövrierunfähiger als die Karakke, wenn die Piraten sich von den abgeknickten Masten befreit hatten.

      „Und wir?“ fragte Philip. „Sie können uns doch nicht einfach hier zurücklassen!“

      „Das hat uns noch gefehlt“, murmelte Matt Davies und wies mit seinem Haken an der rechten Hand zur Karacke hinunter, die vom Wind genau auf die Flußmündung zugetrieben wurde, in der vor einer halben Stunde noch die „Isabella“ vor Anker gelegen hatte.

      „Wenn die hier vor Anker gehen, reißen wir uns das Schiff unter den Nagel und segeln hinter Dad her“, sagte Hasard grimmig.

      Die Männer starrten ihn wütend an. Nur Batuti fragte grinsend: „Willst du ganz allein entern, oder soll Batuti dir helfen?“

      „Pfff“, äußerte sich Hasard, als er die grimmigen Gesichter vom Kutscher, Stenmark, Matt Davies und Blacky sah. „Und ihr wollt Männer sein.“

      Der Kutscher war mit einem Satz wieder bei ihm, und ehe Hasard sich bükken konnte, hatte die Faust des Kochs ihn wieder am Wickel. Er versuchte, sich aus dem Griff des Kutschers herauszuwinden, kassierte dafür aber eine Ohrfeige, die ihn ruhig werden ließ.

      „Jetzt hör mal zu, mein Junge“, sagte der Kutscher mit einer scharfen Stimme, die auch die anderen aufhorchen ließ. „Bis jetzt war für dich alles nur Spaß. Daß du vorhin durch deine vorlaute Klappe das Bergschaf verscheucht hast, das unseren Speisezettel mal wieder ein bißchen abwechslungsreicher hätte aussehen lassen, habe ich noch hingenommen, aber hier und jetzt ist Schluß mit deinen Mätzchen, verstanden? Jetzt geht es um mehr, Freundchen. Du hast gesehen, daß die anderen uns nicht mehr an Bord nehmen konnten. Dein Vater erwartet von uns, daß wir noch am Leben sind, wenn er zurückkehrt, um uns hier abzuholen. Wenn die Piraten hier an Land gehen, werden sie mindestens zwei Tage bleiben, um ihre beiden Masten wieder in Ordnung zu bringen. Das heißt, sie werden die Insel durchstreifen. Wenn sie uns sehen, werden sie uns gefangennehmen, und wenn sie kapieren, daß wir zur ‚Isabella‘ gehören, was wohl nicht schwer zu merken ist, werden sie uns die Hälse durchschneiden, bevor wir einen Ton über die Lippen bringen. Ab sofort haltet ihr beide die Klappe, verstanden? Jetzt reden nur noch die Erwachsenen. Jedesmal, wenn du deine Luke aufreißt, fängst du eine, Hasard, ist das klar?“

      In jeder anderen Situation hätte Hasard die richtige Antwort auf so viele Belehrungen gewußt, aber er spürte, daß es dem Kutscher und auch den anderen Männern ernst war. Wahrscheinlich meinten sie alle, sie müßten auf ihn und Philip aufpassen. Verdammt, wann würden die Kerle endlich begreifen, daß sie keine Kinder mehr waren?

      Ausgepumpt und keuchend lagen sie in Deckung und starrten auf die Karakke, die nur noch die Fock gesetzt hatte und vom stürmischen Wind in die Flußmündung gedrückt wurde.

      Sie hatten es gerade noch geschafft, das Boot stromaufwärts zu schleppen und zu pullen und es zwischen dichten Büschen zu verstekken, nachdem sie es über das sandige Flußufer gezerrt hatten. Es war ihnen nur unvollständig gelungen, die Spuren im Sand zu verwischen. Sie konnten nur hoffen, daß die bald eintretende Flut das Ufer überspülte und alle Zeichen auslöschte, die den Piraten verraten konnten, daß sich jemand auf der Insel aufhielt.

      Von ihrem Versteck aus konnten sie deutlich die finsteren Burschen an Bord der Karacke erkennen. Es mußten tatsächlich über hundert Mann sein.

      Auch der kleine Hasard war ein bißchen blaß um die Nase geworden. Er sah ein, daß gegen diese Übermacht selbst Tollkühnheit und Mut nichts ausrichten konnten.

      Laute Stimmen wehten zu ihnen herüber. Auf dem Achterdeck der Karacke stand ein Mann, der alle anderen überragte. Sein Haar hatte er mit einem roten Kopftuch zusammengehalten, das im Nacken verknotet war. Sein Oberkörper war bloß. Nur ein Bandelier, in dem mehrere Messer und eine Pistole hingen, schlang sich von der rechten Schulter zur linken Hüfte um den Brustkasten. Dicke Muskelstränge spielten unter der bronzefarbenen Haut. Er fuchtelte mit der rechten Hand herum, in der er einen Krummsäbel hielt, und brüllte seine Männer an, die sich in der Kuhl darum bemühten, das Deck aufzuklaren.

      „Wie redet der denn?“ fragte Hasard den neben ihm liegenden Matt Davies leise.

      „Das ist ein Schneckenfresser“, erwiderte Matt Davies grollend. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Mit den Kerlen ist nicht gut Kirschen essen.“

      „Warum nicht?“ fragte Philip, der auf der anderen Seite von Matt Davies lag.

      „Die meisten von ihnen mögen uns Engländer nicht“, sagte Matt. „Sie haben uns den Hundertjährigen Krieg noch nicht vergessen.“

      „Mann, hundert Jahre?“ Hasard pfiff durch die Zähne. „Bist du auch noch dabeigewesen?“

      „Nee, der ist schon über hundert Jahre aus“, sagte Matt.

      „Meinst du, daß das Bukaniere von Espanola sind, von denen Dad uns erzählte?“ fragte Hasard.

      Matt schüttelte den Kopf. „Die Bukaniere jagen die wilden Rinder und Schweine auf Espanola“, erwiderte


Скачать книгу