Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73 - Fred McMason


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      Bis auf ein Schiff war die Bucht leer. Und dieses Schiff sah fürchterlich genug aus. Wer diesen Segler sah, den überlief unwillkürlich ein kühler Schauer.

      Siri-Tong sah, wie sich einige Männer aus ihrer Besatzung bei dem Anblick heimlich bekreuzigten. Der Boston-Mann, Juan und Bill, the Deadhead, der dunkelblonde Mann, der um den Hals eine grobe Goldkette mit einem handtellergroßen goldenen Totenkopf trug, kannten diesen Segler noch von früher und hatten ihn schon einmal gesehen. Die anderen jedoch, die Crew die sie in Tortuga angeheuert hatte, kannten das Schiff nicht, und so war ihre Reaktion durchaus verständlich.

      Das unheimliche Schiff lag halb auf dem feinen weißen Sand der halbkreisförmigen Bucht. Das Heck lag halb im Wasser, ein Stück des mächtigen Ruderblattes ragte in die Luft.

      Ein paar Männer stöhnten leise, als sich ihre neugierigen Blicke an dem Schiff festbrannten.

      Der Rumpf war pechschwarz, die Masten waren pechschwarz und auch die in Fetzen herabbaumelnden Segel des Schiffes waren schwarz wie die Nacht. Irgendwo hätte jemand eine andere Farbe erwartet, doch es gab keine. Selbst das leicht geneigte Deck, das man von hier aus gut erkennen konnte, war schwarz geteert. Ebenso waren die Rahen rabenschwarz.

      Das Schiff strahlte eine beklemmende, vielleicht sogar tödliche Drohung aus. Wie ein Ungeheuer lag es in dem Sand und hob sich scharf davon ab. Es schien pausenlos zu knistern, zu ächzen und zu stöhnen. Jedenfalls glaubten die meisten Männer, diese Geräusche ganz deutlich zu hören.

      Das einzig Helle auf dem Hauptdeck des Schwarzen Seglers, das sich ebenfalls deutlich abhob, war ein teilweise ausgebleichtes Gerippe, an den Beinen noch mit einer vermoderten und zerschlissenen Hose bekleidet.

      Der Boston-Mann wandte den. Blick ab. Selbst er, der den Segler schon kannte, konnte den unheimlichen Anblick nicht länger ertragen, denn jedesmal fühlte er ein kaltes Ziehen im Genick.

      „Runter mit den Segeln!“ ertönte die helle Stimme der Roten Korsarin. „Klar bei Anker!“

      Diese Worte rissen die Männer aus ihrer Erstarrung. Sie waren heilfroh, etwas zu tun zu haben, und so gingen sie mit ungewohntem Eifer an die Arbeit.

      Während der Boston-Mann die Karavelle in die Bucht steuerte, wanderte der Blick Siri-Tongs weiter in der Bucht umher.

      Hinter dem Strand und einer breiten Landzunge von halbkreisförmiger Gestalt wuchsen übergangslos scharfkantige Felsen in die Höhe. Felsen standen auch weiter vorn im Wasser, drohend erhobene Riesenfinger, dunkelbraun, schwach von sanften Wellen umspült. Kein Vogel nistete in den gezackten Löchern der Felsen. Die unmittelbare Nähe des schwarzen Schiffes schien selbst sie vertrieben zu haben.

      Siri-Tong mußte den Kopf in den Nacken legen, um zu den hochwuchtenden Felsen hochzublicken.

      Stumm und drohend standen sie da, scheinbar unvergänglich, und bewachten das Geheimnis der Insel Little Cayman, das nur ganz wenigen bekannt war.

      „Fallen Anker!“

      „Aye, aye, Madame!“ klang es vom Vordeck zurück. Der Anker klatschte ins Wasser und landete gleich darauf auf Grund. Das Wasser war hier nicht sehr tief. Dwars lief der Zweimaster dem Strand entgegen, bis die Ankertrosse sich straffte und ihn festhielt. Ganz langsam kam das Schiff zur Ruhe.

      Schweigen herrschte auf der Karavelle. Es war fast körperlich spürbar, und es machte alles nur noch schlimmer. Stumm standen die Männer da und sahen zu den gewaltigen Felsen hoch, in denen sich nichts rührte, die nur vom Gluthauch der Sonne beschienen wurden, genau wie der schwarze Segler mit dem unheimlichen Passagier an Deck.

      Siri-Tongs Stimme klang verwundert, als sie sich an den Boston-Mann wandte.

      „Verstehst du das, Boston-Mann? Es scheint niemand hier zu sein. Früher sah man doch zumindest einen der Wächter ganz oben in den Felsen. Ich habe jedoch nichts bemerkt.“

      „Ich habe auch niemanden gesehen, Madame. Die Insel scheint wie ausgestorben zu sein.“

      „Wächter?“ stammelte ein schwarzhaariger Mann, der jetzt dicht neben dem Boston-Mann stand. „Was für Wächter, Boston-Mann?“

      „Die Wächter am Auge der Götter“, sagte die Korsarin, als der Boston-Mann keine Antwort gab, sondern nur mit unruhigen Augen die Felsen absuchte.

      „Am Auge der Götter“, hauchte der Mann.

      Siri-Tong sah, wie die braune Haut in seinem Gesicht blaßgrau wurde und eine Gänsehaut über seine Arme lief.

      „Später wirst du das verstehen.“

      Doch der Mann verstand gar nichts. Er schlich sich leise davon, nachdem er noch einen scheuen Blick auf das schwarze Schiff geworfen hatte. Schien es ihm nur so oder hatte sich auf dem schwarzen Segler etwas verändert? Lauerten da nicht die Geister jener Toten, die sich fraglos außer dem einen Gerippe noch an Bord befanden? Seine Kopfhaut zog sich zusammen. Trotz der sengenden Sonne fror ihn plötzlich.

      Die meisten erwarteten jetzt eine langatmige Erklärung. Aber weder der Boston-Mann noch Siri-Tong dachten daran, etwas zu erklären. Der Korsarin war selbst einiges unerklärlich, so die Tatsache, daß sich keiner der Wächter zeigte, und daß der Mann, der sie hierher beordert hatte, ebenfalls noch nicht da war.

      Das war jedoch nicht weiter verwunderlich. Er konnte ja noch im Laufe des Tages eintreffen. Die Abwesenheit der Wächter beunruhigte sie viel mehr.

      Was mochte am Auge der Götter passiert sein? Hatten fremde Piraten Wind von dem Geheimnis gekriegt, die Wächter überfallen und den See geplündert? Eine Vorstellung, die ihr einfach nicht in den Kopf wollte.

      Die Wächter ließen kaum jemanden heran, und selbst eine Meute wilder Piraten hätten sie abgewehrt. Dabei wäre allerdings der ganze Berg in sich zusammengestürzt, denn die Wächter hatten für solche Fälle konsequent vorgesorgt.

      „Ich werde hinaufsteigen, Boston-Mann, und am Auge der Götter nachsehen. Dort muß etwas passiert sein. Wie es aussieht, scheinen wir auf der Insel ganz allein zu sein.“

      „Verzeihen Sie, Madame, daß ich widerspreche, aber ich an Ihrer Stelle würde da nur in Begleitung hinaufgehen.“

      Ihre Hand fuhr unwirsch durch die Luft. Sekundenlang glomm es in ihren nachtschwarzen Augen ärgerlich auf.

      „Du weißt genau, daß kein Fremder lebend oben ankommen würde, selbst du nicht, Boston-Mann, auch Juan nicht.“

      „Das stimmt, Madame.“

      „Also werde ich allein gehen, verstanden?“

      „Wir sind nur um Sie besorgt, Madame“, erwiderte der Boston-Mann.

      Für zwei Sekunden tönte ihr helles Lachen durch die Bucht.

      „Wie schön“, sagte sie spöttisch. „Daß jemand um mich besorgt ist, schmeichelt mir direkt. Bring mir meinen Degen, Juan!“

      Juan, ein Klotz von einem Kerl, himmelte die Rote Korsarin an. Er war der Bootsmann, anderen gegenüber allerdings nicht immer ganz ehrlich, und er liebte es, Leute aus der Crew aus nichtigen Anlässen mitunter grundlos zu verprügeln. Dennoch konnte sich Siri-Tong unbedingt auf ihn verlassen.

      Er brachte ihr den Degen und das Wehrgehänge, dabei schielte er in ihre rote Bluse, bis der Boston-Mann ihm einen eiskalten Blick zuwarf. Juan wandte sich verlegen ab. Er war zwar der Bootsmann, aber vor dem Boston-Mann hatte er einen unerklärlichen Respekt. Dem Kerl war nicht beizukommen, und er hatte sich mit diesem Mann auch noch nie angelegt, weil er instinktiv spürte, daß er bei einer Schlägerei sehr schlecht abschneiden würde.

      Inzwischen wurde das Beiboot abgefiert. Leichtfüßig sprang die Rote Korsarin hinein, nachdem der Boston-Mann im Boot Platz genommen hatte, um es an den Strand zu rudern.

      Bevor es knirschend auf den Sand lief, warnte er sie noch einmal: „Überlegen Sie es sich gut, Madame. Auf der Insel ist irgend etwas passiert, was wir noch nicht wissen. Es droht Gefahr.“

      „Du predigst ja wie ein Bordgeistlicher“,


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