Seewölfe - Piraten der Weltmeere 70. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 70 - Roy Palmer


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bist du wirklich? Ich habe deutlich gehört, daß du mit deinen Hurensöhnen von Männern eine andere Sprache sprichst. Englisch? Du Hund – du bist nicht Diaz de Veloso.“

      Hasards Miene wurde steinhart. Er hob die sächsische Reiterpistole etwas und zielte nun genau auf Lorussos Kopf. „Paß auf, wie du dich ausdrückst, Lorusso. Zügle deine Zunge, sonst vergesse ich mich doch noch und knalle dich nieder.“

      Der Pirat erblaßte. Sein breites Gesicht war jetzt kalkweiß.

      Er war ein fast sechs Fuß großer, massiv gebauter Mann, nur Knochen und Muskeln, kein Quentchen Fett auf dem Leib. Am Körper war er behaart wie ein Affe, auf dem Haupt hingegen nur spärlich. Seine blauen Augen spiegelten die ganze Grausamkeit, die in ihm steckte. Aber seine Miene hatte sich verändert, seit Hasard ihm die Faust unter die Kinnlade gerammt hatte. Lorusso wußte, daß er zum ersten Mal in seinem Leben einen Gegner gefunden hatte, der ihm haushoch überlegen war. In allem. Diese Gewißheit setzte ihm mehr als alles andere zu.

      „Also gut“, sagte der Seewolf. „Ich heiße Philip Hasard Killigrew.“

      „Verdammt“, entfuhr es dem Sizilianer. „Il lupo del mare.“

      „Ja, el Lobo del Mar, so nennen mich auch die Spanier.“

      Stille breitete sich aus. Lorusso blickte zu den Umstehenden, zu seinen Kerlen, zu den vieren, die jetzt mit erhobenen Händen den Zweimaster verlassen hatten und von Shane, Ferris, Carberry und dem Gambia-Neger in Ketten gelegt wurden – zu Iride und den anderen sieben Mädchen. Ein spöttischer Zug spielte um Irides Lippen, fiel jedoch von ihr ab, als der Blick des Anführers sie traf.

      „Der Seewolf“, wiederholte Lorusso. „Al diavolo – zum Teufel. Ich habe vernommen, du hast Uluch Ali zu den Fischen geschickt.“

      „Das stimmt.“

      „Die Algerier erzählen die haarsträubendsten Geschichten über dich …“

      „Und die syrischen Piraten werden es jetzt auch tun, denn ich habe einen ihrer Verbände völlig aufgerieben. Es ist erst ein paar Tage her.“ Hasard sagte es ohne Überheblichkeit. Es entsprach ja den Tatsachen. Im allgemeinen prahlte er nicht mit seinen Unternehmungen, aber es war gut, Lorusso noch ein wenig mehr einzuschüchtern.

      „Vor einem, der den großen Uluch Ali erledigt hat, brauche ich mich nicht zu schämen“, sagte Lorusso.

      Iride lachte auf. „Ach, so drehst du das Ganze! Um dich für die Niederlage zu rechtfertigen, erklärst du wahrscheinlich sogar noch, es sei dir eine Ehre, von dem legendären Seewolf überwältigt worden zu sein, wie?“

      „Schweig!“ brüllte Lorusso sie an. „Beweg dich nicht in meine Nähe, sonst drehe ich dir den Hals um, du Miststück!“ Er bediente sich seiner Muttersprache, aber die Seewölfe nahmen doch genügend Vokabeln auf, um den Wortsinn verstehen zu können. Spanisch und Italienisch war einander schließlich sehr verwandt.

      Lorusso wandte weiter den Kopf – und entdeckte Giuliano Salce.

      Der Malteserritter stand hoch oben auf dem terrassenförmig gestuften Westufer der Insel, inmitten der Männer der „Isabella“ und der anderen fünf befreiten weißen Sklaven.

      „Bastard!“ schrie der Pirat. „Jetzt erst sehe ich, daß auch du zurückgekehrt bist. Ich verfluche dich, elender Hund von einem Toskaner! Dir habe ich also alles zu verdanken!“

      Salce nickte ernst. „Du nahmst wohl an, nach meiner Flucht sei ich im Sturm umgekommen. Du hast dich getäuscht. Ich wurde aus dem kaputten Kaiki auf eine winzige Insel gespült. Dann schickte ich die Katze auf einem Stück Treibholz aus. Ich hatte ihr einen Rohlederstreifen mit einer Botschaft um den Hals gebunden – und die Seewölfe fanden sie.“ Zärtlich strichen seine knochigen Finger über das Fell der Katze Micia. Er hatte sie auf seinen Arm genommen.

      „Ich forderte dich zum Zweikampf heraus!“ rief Lorusso.

      Hasard tat einen Schritt auf ihn zu, und er verstummte augenblicklich.

      „Schluß jetzt“, sagte Hasard. „Wir haben uns dein Gekläff lange genug angehört. Schweig.“

      „Warum duellierst du dich nicht mit dem Seewolf?“ fragte Iride ihren Geliebten. „Du traust dich jetzt wohl nur noch an so abgezehrte Gestalten wie den Toskaner heran, was?“

      „Teufelshure!“ stieß Lorusso hervor.

      Hasard beschrieb eine Gebärde mit der Pistole. Beide preßten nun die Lippen zusammen und äußerten kein Wort mehr.

      In die lähmende Stille fiel der Ruf Dan O’Flynns. „Hasard – die ‚Isabella‘! Verdammt, sie macht sich selbständig!“

      Der Seewolf fuhr herum und blickte zu den beiden Schiffen. Die jähe Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb. Wirklich, seine Galeone hatte sich von dem Zweimaster, an dessen Backbordseite sie vertäut gewesen war, gelöst.

      Sie dümpelte in die Kaldera hinaus.

      Plötzlich ging alles sehr schnell. Eine ganze Kette von Ereignissen nahm ihren Lauf.

      Hasard wollte sich von Lorusso abwenden, über den Laufsteg an Bord des Zweimasters stürmen und dann auf die „Isabella“ hinüberjumpen – er wollte! Kaum hatte er sich aber ganz umgedreht, fühlte er sich an den Beinen gepackt.

      Lorusso! Der heimtückische Kerl nutzte seine Chance und unternahm einen Angriff. Er hatte sich einfach nach vorn geworfen und mit beiden Armen zugegriffen. Hasard fluchte unter der Umklammerung. Er versuchte, sich loszureißen, aber es gelang nicht. Lorusso hielt ihn wie mit Eisenzangen. Hasard geriet aus dem Gleichgewicht und schlug hin.

      Er prallte mit dem Bauch auf. Es tat höllisch weh. Aber keine Sekunde vergaß er seine Pistole. Er hielt sie fest und paßte auf, daß sie ihm nicht entglitt.

      Nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte Edwin Carberry, der Profos, mit offenem Mund dagestanden. Jetzt aber löste sich ein Fluch aus seiner Kehle: „Himmel, Arsch und Zwirn, so ein verfluchter Mist!“ Er duckte sich als erster, jagte wie der Blitz quer über den hölzernen Anleger und nahm die Gangway zum Piratenschiff mit zwei Sätzen.

      Wer Carberry nicht genau kannte, traute ihm dieses Tempo keineswegs zu. Er war ein schwerer, bulliger Mann, aber er konnte laufen wie – ja, wie ein aufgebrachter Keiler, den man aus der Suhle aufgescheucht hat.

      Hasards Männer schrien und richteten die Waffen auf Lorusso. Nur Ferris, Shane und Batuti, die jetzt ebenfalls die Pistolen gezückt hatten, paßten bei der Pier darauf auf, daß es keinem der Gefangenen einfiel, es dem Sizilianer gleichzutun. Die meisten waren schon mit Ketten versehen, aber zwei, drei standen noch frei.

      „Hölle, warum haben wir den Hund Lorusso nicht als ersten in Eisen gelegt?“ schrie Big Old Shane. „Oh, ich könnte mir vor Wut in den Hintern beißen!“

      Hasard unternahm trotz seiner Schmerzen einen zweiten Versuch, um sich aus Lorussos Griff zu befreien. Er bewegte sich ruckend, robbte praktisch über die Pier. Wieder hatte er keinen Erfolg. Der Sizilianer hielt ihn fest und zog ihn schließlich sogar zu sich heran.

      Er warf sich mit der ganzen Wucht, die in seinem Sechs-Fuß-Körper steckte, auf den Seewolf. Hasard drehte sich und trachtete, den Schurken von sich zu wälzen, aber Lorusso war zäh. Schwer landete er auf seinem Todfeind.

      „Hund, ich erdrossle dich“, stieß er aus.

      Der Profos hatte die Kuhlgräting des Piratenschiffes passiert. Er bereitete sich schon auf den gewaltigen Sprung vor, den er zur wegtreibenden „Isabella“ hin vollführen wollte – da krachte es explosionsartig. Gleichzeitig blitzte es grellrot vor ihm auf.

      Carberry verfügte über ausgezeichnete Reflexe. Er ließ sich fallen. Er landete wie Hasard auf dem Bauch, fing sich aber mit den Händen ab. Etwas orgelte über ihn weg und fauchte auf die Pier zu.

      Carberry brüllte, daß die Planken des Zweimasters zu vibrieren begannen: „O Hölle und Verdammnis, diese Ratten, diese Mistfresser, diese dreimal verfluchten, hinterhältigen Hurensöhne – sie haben


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