Seewölfe - Piraten der Weltmeere 406. Roy Palmer
der Helder Camaro teilnahm. Er hatte bislang immer nur auf kleineren Schiffen gedient, die vor den spanischen Küsten den höchst langweiligen und meist ereignislosen Patrouillendienst fuhren. Daß er dazu auserkoren worden war, an Bord dieser Galeone nun zu einer wichtigen Mission auszulaufen, war für ihn bereits eine Auszeichnung.
Daß Don Gonzalo die Rationen radikal gekürzt hatte, war für Helder gut und richtig. Es mangelte nicht am Proviant, aber die Mannschaften und Soldaten mußten systematisch zur Härte erzogen werden. Wer nicht streng zu sich selbst sein konnte und seinen inneren Schweinehund in jeder Lage zu besiegen verstand, der taugte nichts für diesen Dienst.
Kämpfe erwarteten die Männer des spanischen Kriegsverbandes. Sie mußten auf alles vorbereitet sein. Helder malte sich in seinen Gedanken aus, wie es sein würde, wenn sie gegen die Freibeuter, die Schnapphähne und all das Lumpenpack und Gesindel der Karibik ins Gefecht zogen. Dann hieß es, die Zähne zusammenzubeißen und sich wie ein Teufel zu schlagen.
Er führte ein asketisches Leben. Er verachtete Wein und Branntwein und rührte keinen Schluck davon an. Wer trank, war in seinen Augen ein Schwächling. Auch mit Frauen hatte Helder wenig im Sinn, und er verachtete Kerle, die sich mit Hafenhuren einließen. Krankheiten konnte man sich dabei wegholen, und wer krank war, faulte innerlich und war nichts mehr wert. Nur in einem gesunden Körper konnte ein gesunder Geist wohnen.
Wenn er wollte, konnte er tagelang auf das Essen verzichten und nahm nur ein wenig Wasser zu sich. Manchmal hungerte er absichtlich, um sich selbst zu prüfen. Bei Freiwache hockte er im Schneidersitz auf seiner Koje und beteiligte sich nicht an den Gesprächen und Spielen seiner Kameraden. Würfel haßte er genauso wie das Feilschen um Geld. Dies waren seine Prinzipien, und er war sicher, daß sie mit den Lebensgrundsätzen des Don Gonzalo de Vallejo übereinstimmten.
Helder Camaro war der typische Einzelgänger und Eigenbrötler. Im Januar 1572 war er in Badajoz, Estremadura, in außerordentlich ärmlichen Verhältnissen zur Welt gekommen. Er hatte fünf Brüder und zwei Schwestern. Seine Eltern hatten ihn nicht ernähren können, darum hatten sie ihn einem Onkel, der in Rota bei Cadiz lebte, übergeben, als er noch ein Kleinkind gewesen war.
Der Onkel, selbst verwitwet und kinderlos, hatte ihn wie einen eigenen Sohn großgezogen. Als er gestorben war, hatte Helder sein einziges Eigentum übernommen – ein Fischerboot. Zwei Jahre lang hatte er sich damit sein Brot verdient, dann war es in einem Sturm gesunken, und er war als Schiffbrüchiger an Land getrieben.
Inzwischen war er alt genug gewesen, um zur Marine gehen zu können. Man hatte ihn aufgenommen, und er verschrieb sein Leben der glorreichen Armada. Tief in seinem Herzen schwor er sich, den „verfluchten Engländern“ die Niederlage von 1588 heimzuzahlen, wenn er jemals die Gelegenheit dazu erhielt.
Diese Engländer trieben auch in der Karibik ihr Unwesen, hatte er vernommen. Sie verbündeten sich mit wilden Kannibalen und versuchten, Spaniens Vormachtstellung in der Neuen Welt zu erschüttern. Die Karibik war zu einem Tummelplatz der Piraten aller Herren Länder geworden, man mußte ihren blutigen Raubzügen endlich Einhalt gebieten.
Heiß war es in der Karibik, und es sollte von Haien, Giftschlangen, Raubkatzen und Mörderfallen nur so wimmeln. Helder ließ sich durch die Erzählungen, die er vernommen hatte, nicht verwirren. Vieles davon mochte übertrieben sein, die Seeleute dichteten ja sowieso immer noch etwas zur Wahrheit hinzu.
Wie es dort wirklich zuging, würde er bald erfahren, denn sie hatten ihr Ziel nun fast erreicht. Während er seinen Routinedienst versah und einen der schweren Siebzehnpfünder auf dem Hauptdeck blitzblank polierte, sah er wieder sehnsüchtig zum Achterdeck. Bis dahin war es noch ein weiter Weg, aber eines Tages würde auch er dort oben stehen, an der Schmuckbalustrade wie Don Gonzalo de Vallejo, der Generalkapitän und Führer des Kriegsverbandes.
Tod den Piraten und Korsaren, dachte Helder Camaro, ich schaffe es.
Es zahlte sich wie immer aus, daß die Männer des Bundes der Korsaren ihr Seegebiet um die Caicos- und Turks-Inseln bestens kannten. Der Bucht auf der Ostseite von Grand Turk gegenüber – wo zur Zeit noch Don Garcia Cuberas Restverband vor Anker lag – befand sich eine noch kleinere Insel. Der Abstand betrug etwa sechshundert Yards. Wiederum an der Ostseite dieses Eilandes konnte man ungesehen ankern und von einer Anhöhe aus die Bucht von Grand Turk beobachten.
Am Nachmittag des 28. Juli 1594 war die „Empress of Sea II.“ wieder zur Stelle und ankerte in der kleinen, geschützten Bucht, die ihr als Versteck diente. Old Donegal Daniel O’Flynn und seine Mannen – Martin Correa, Nils Larsen, Sven Nyberg, die Zwillinge mit Plymmie, Jean Ribault, Don Juan de Alcazar, Dan O’Flynn und Matt Davies – hatten diesen vorgeschobenen Posten bereits am Vortag eingenommen, ihn aber kurzfristig verlassen müssen, weil sich Don Antonio de Quintanilla an Bord der letzten Schaluppe abgesetzt hatte.
Die „Empress“ hatte den dicken Gouverneur und dessen Begleiter, eine Gruppe von Deserteuren, verfolgt, jedoch nicht gefunden, weil sich der Kerl offenbar eines Tricks bedient hatte, um etwaige Verfolger abzuschütteln.
Old O’Flynn und seine kleine Crew hatten aber doch Erfolg gehabt, auf andere Weise: Zufällig waren sie der Kriegskaravelle begegnet, die ihrerseits nach der verschwundenen Schaluppe suchte. In einem Gefecht war es ihnen gelungen, sie zu versenken.
Somit hatte Don Garcia Cubera jetzt nur noch zwei Schiffe – die „San José“ und die andere Kriegsgaleone, die die Schlacht um die Schlangen-Insel überstanden hatte. Welche weiteren Schritte würde Don Garcia unternehmen, wenn die Gefechtsschäden auf beiden Schiffen behoben waren? Konnte er es überhaupt noch wagen, einen neuen Angriff zu segeln?
Wie auch immer, er mußte überwacht werden. Jean Ribault und Matt Davies setzten mit dem Beiboot der „Empress“ an Land über und stiegen zu dem Beobachtungsstand hinauf, den sie auf der Anhöhe eingerichtet hatten. Die anderen blieben an Bord der „Empress“ und warteten ihre Meldungen ab.
Die Anhöhe hatte sich als ideal für die Beobachtung der Bucht erwiesen. Ihr Strauchbestand bot gute Deckungsmöglichkeiten. Mit dem Spektiv konnte man die Bucht von Grand Turk so nah heranholen, daß auch die kleinsten Einzelheiten an Bord der Schiffe verfolgt und registriert werden konnten.
Ribault warf als erster einen Blick durch das Rohr und sagte: „Sie reparieren immer noch.“
„Und du bist sicher, daß sie uns auch diesmal nicht gesehen haben?“
„Haben sie nicht. Nichts läßt darauf schließen“, erwiderte Ribault. „Die Dinge nehmen ihren normalen Lauf. Wir haben ja auch wieder weit genug nach Osten ausgeholt, um nicht entdeckt zu werden.“
„Gut, gut“, brummte Matt. „Die Hauptsache ist eben, daß sie nicht rüberkommen, um uns mal kurz guten Tag zu sagen. Ich glaube auch nicht, daß dieser Cubera so dumm ist, überhaupt keinen Wachtposten oder Ausguck aufzustellen, auf der Insel, meine ich.“
„Er hat es inzwischen getan“, sagte Ribault.
„Was sagst du da? Zeig mal her!“
„Nicht so laut.“ Ribault reichte ihm das Spektiv, und Matt spähte selbst hindurch. „Schau dir mal die Kuppe des Hügels nahe der Bucht an“, sagte Ribault. „Da bewegt sich was, und der Teufel soll mich holen, wenn es nicht ein Don ist.“
„Richtig, ich kann ihn erkennen.“
„Der Kleidung nach dürfte er ein Seemann sein.“
„Richtig, und er ist auf einen Baum geklettert und glotzt sich die Augen aus“, sagte Matt. „Er äugt aber nicht zu uns rüber, sondern nach Westen.“
Ribault mußte unwillkürlich lächeln. „Das ist logisch und auch nur zu verständlich. Er sucht die westliche Kimm ab, weil sie auf die Rückkehr ihrer Karavelle warten.“
Matt grinste. „Aber da wird ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Also, er sucht die Kimm immer augenfälliger ab, dieser Kamerad von einem Don.“
„Cubera wird es noch bereuen, daß er den Deserteuren die Karavelle nachgejagt hat.“
„Aber noch ahnt er nicht, daß wir sie im Morgennebel versenkt