Seewölfe - Piraten der Weltmeere 406. Roy Palmer
unruhig“, sagte er. „Kein Wunder. Die Karavelle ist jetzt überfällig.“
„Das war ein feiner Schlag“, sagte Matt. „Und ein Trost dafür, daß uns die Schaluppe mit dem ehrenwerten Oberhundesohn Don Antonio entwischt ist. Immerhin, mit dem Abgang dieser beiden Kähne ist die Kampfkraft der Dons weiterhin erheblich geschwächt worden.“
„Was du nicht sagst.“ Ein ironischer Zug spielte um Ribaults Lippen. „Dann sind wir uns also einig, daß das Kräfteverhältnis jetzt eindeutig auf seiten des Bundes der Korsaren liegt?“
„Klar doch. Aber das könnte sich ändern.“
„Wer sagt das?“
„Donegal zum Beispiel.“
„Hör auf“, sagte Ribault und ließ das Spektiv sinken. Er blickte Matt strafend an. „Fang du jetzt nicht an, den Teufel an die Wand zu malen. Das fehlte noch.“
„Ich tu’s ja auch nicht. Kannst du keinen Spaß mehr verstehen?“
„In dem Punkt nicht.“
„Don Juan hat gesagt, daß der Verband keine Nachhut hat, und das ist sicher.“
„Und darauf wollen wir’s auch beruhen lassen“, sagte Ribault. „Das Fazit der Schlacht ist für uns ohnehin schlimm genug. Hasard ist weg, verdammt noch mal, und wir wissen nicht, ob er es überlebt hat.“
„Er lebt, das habe ich dir schon mal gesagt“, brummte Matt. „Er ist zu zäh zum Sterben, glaub es mir.“
„Wir werden nach ihm suchen“, sagte Ribault mit ernster, verschlossener Miene. „Sobald diese verfluchten Kähne endlich verschwunden sind. Ich hoffe, daß Cubera sich bald verzieht. Er muß begreifen, daß es für ihn keinen Zweck mehr hat.“
„Er kapiert es, keine Sorge“, sagte Matt grimmig. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit.“
2.
Aber noch an diesem Nachmittag änderte sich das Kräfteverhältnis doch schlagartig und brachte eine völlig neue, unerwartete Situation. Etwas Unvorhergesehenes trat ein. Jean Ribault und Matt Davies glaubten kaum, ihren Augen zu trauen, und doch mußten sie das Ungeheuerliche als drohende Tatsache hinnehmen.
Ihr Augenmerk war nach wie vor auf die Bucht von Grand Turk gerichtet. Eigentlich war es mehr ein Zufall, daß Matt sich einmal umdrehte und einen Blick durch den Kieker über den ostwärts liegenden Seebereich warf. Plötzlich hockte er wie erstarrt da.
„Jetzt trifft mich der Schlag“, flüsterte er.
„Was ist los?“ fragte Ribault, ohne den Blick von der Bucht zu nehmen.
„Wir erhalten Besuch. Ich sehe Mastspitzen.“
„Was?“ Ribault fuhr zu ihm herum und richtete das Spektiv zum Atlantik, als Matt es ihm mit einer hastigen Bewegung überreichte.
„Verdammt, du hast recht“, sagte dann auch er. „Hol’s der Henker. Mastspitzen an der östlichen Kimm. Sie sind noch hauchdünn und nadelfein, aber doch unverkennbar.“
„Der Teufel soll sie holen.“
„Ich kann jetzt mehr sehen“, sagte Ribault nach einer Weile. „Es sind sechs. Sechs Galeonen, Matt!“
„Beim Donner, verschon mich mit weiteren Einzelheiten.“
„Schiffe in Kiellinie“, murmelte Ribault. „Allem Anschein nach Spanier – und keine Handelsgaleonen.“
„Und ihr Kurs?“
„Ist fast genau auf die Turks-Inseln gerichtet, das hast du doch selbst gesehen“, erwiderte Ribault. „Oder hast du noch irgendwelche Zweifel?“
„Das wirkt fast so, als wüßten sie, daß Cubera hier festsitzt und Unterstützung braucht. Oder?“
„Jetzt nicht unken, Matt.“
„Es sind Kriegsgaleonen, vergiß das nicht!“
Ribault erhob sich und warf Matt das Spektiv wieder zu. Dieser fing es geschickt mit seiner gesunden Hand auf.
„Ich pulle jetzt erst zu den anderen rüber und gebe ihnen Bescheid“, sagte der Franzose. „Dann sehen wir weiter. Bleib du hier auf dem Posten.“
„Worauf du dich verlassen kannst“, sagte Matt. Er hatte den Kieker bereits wieder ans Auge gehoben und spähte mit verdrossener Miene zu den auf segelnden Schiffen. „Kriegsschiffe. Verdammter Dreck. Wir können bloß noch hoffen, daß sie sich verirrt haben oder zufällig hier aufkreuzen.“
„Und daß sie nach Möglichkeit auf ein feines kleines Riff brummen“, sagte Ribault, dann war er zwischen den Büschen verschwunden.
Sie waren beide völlig überrascht, versuchten ihre Bestürzung aber zu überspielen. Was ihnen drohte, wenn der Sechserverband aus reinem Zufall Grand Turk anlief und zu Cubera stieß, konnten sie sich beide leicht ausrechnen, es gehörte keinerlei Scharfsinn dazu.
Ribault arbeitete sich durch das Gestrüpp und rutschte fast auf dem Hosenboden den Hang hinunter, so eilig hatte er es plötzlich. Seine vordringliche Aufgabe war es jetzt, die Kameraden an Bord der „Empress of Sea II.“ zu alarmieren. Er erreichte das Boot, warf die Leine los, kletterte hinein, setzte sich auf die mittlere Ducht und begann wie der Teufel zu pullen.
Der alte O’Flynn, sein Sohn, die Zwillinge und die anderen standen bereits am Schanzkleid der „Empress“ und blickten ihm mit gemischten Gefühlen entgegen.
„Beim Wassermann“, murmelte der Alte. „Es gibt Neuigkeiten, aber keine guten, wie mir schwant.“
„Dir schwant immer nur Übles“, sagte Dan.
„Kannst du mir mal einen Gefallen tun und dein Maul halten?“
„Aye, Sir.“
Ribault hatte die „Empress“ erreicht, ging mit der Jolle längsseits und richtete sich auf.
„Kriegsgaleonen im Anmarsch“, sagte er. „Spanier.“ Er berichtete, was Matt und er gesichtet hatten – und die Kameraden begannen zu fluchen.
„Schöne Bescherung!“ stieß der Alte hervor. „Los, schmeißt mir mal einen Kieker rüber!“
Hasard junior reichte ihm das Messingrohr. Er zog es auseinander und richtete es nach Osten. Seine Miene war verkniffen, und er hörte nicht mehr auf zu fluchen.
„Ich kann sie schon schwach mit dem bloßen Auge erkennen“, sagte Dan.
„Dann wird’s Zeit!“ stieß der Alte aus. „Bewegt euch, ihr Triefnasen! Wir müssen hier weg!“
„Willst du wirklich abhauen?“ fragte Nils entgeistert.
„Willst du, daß die Dons uns hier entdecken?“ fauchte der Alte ihn an.
„Das nicht – aber es gibt noch andere Möglichkeiten.“
„Zum Beispiel?“ fragte Jean Ribault.
„Wir können in den Seitenarm der Bucht verholen“, entgegnete Nils. „Da finden wir genug Deckung. Ich meine, es wäre glatt ein Fehler von uns, jetzt das Weite zu suchen. Und ehe wir uns verzogen haben, können uns die Ausgucks des Verbandes ebenfalls gesichtet haben.“
Old O’Flynn spuckte über das Schanzkleid ins Wasser, dann brummte er: „Das leuchtet auch mir ein. Aber wir müssen uns höllisch beeilen – darauf kommt’s an. Alles klar?“
Sie waren sich einig: Von einem gut gesicherten und getarnten Versteck aus konnten sie die Stellung halten und abwarten, was sich weiter ereignete. Wichtig war, daß sie jetzt nicht unruhig wurden. Mit verhaltener Stimme gab der Alte seine Befehle, und an Bord des kleinen Dreimasters setzte emsige Betriebsamkeit ein.
Binnen weniger Minuten hatten sie die „Empress“ in den kleinen Seitenarm der Bucht verholt, den sie schon am Vortag