Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405 - Roy Palmer


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verlockenden Anblick.

      Wasser, dachte der Seewolf. Oder? Seinem Umfang nach war das Faß eigentlich zu klein, die Wasserbehälter an Bord von Segelschiffen waren im allgemeinen höher und bauchiger. Es bestand aber noch die Möglichkeit, daß es zu der Ausrüstung eines Beibootes gehörte, zu einer der Jollen, die das Gefecht nicht heil überstanden hatten.

      Hasard paddelte zu dem Fäßchen und holte es mit dem Riemen zu sich heran. Plötzlich fiel ihm ein, daß es auch leer sein konnte, also war die Mühe umsonst. Irrtum: Als er versuchte, es auf das Floß zu ziehen, rutschte es ihm aus den Händen und landete wieder im Wasser.

      Er selbst kippte um ein Haar außenbords und mußte mit den Armen rudern, um sich zu halten. Das Faß trieb ab und kugelte sich in den Fluten. Irgendwie hatte er den Eindruck, es grinse ihn höhnisch an.

      Sehr witzig, dachte er, die Tücke des Objekts, nicht wahr? Noch einmal arbeitete er sich darauf zu. Er hievte es „an Deck“, und die Schmerzen schienen seine Brust sprengen und zerreißen zu wollen, aber auch dieses Mal unterdrückte er ein Stöhnen. Er stellte das Fäßchen vor sich hin, schloß die Augen und atmete tief durch.

      Die Schmerzen ebbten wieder etwas ab. Er befaßte sich mit seinem Fund, suchte nach dem Korken, der das Spundloch verschloß. Ein leichter Geruch stieg ihm in die Nase – nein, es war eher ein Duft. Branntwein, dachte er und mußte unwillkürlich grinsen, zwar kein Brandy oder Whisky, aber immerhin ein ordentlicher Tropfen.

      Auch die Spanier verstanden natürlich, Schnaps zu brennen. Er hatte gelegentlich die eine oder andere Sorte probiert und mußte eingestehen, daß das Zeug schmeckte und nicht nur „zum Einreiben“ taugte, wie Mac Pellew sagte.

      Mac Pellew, der Kutscher, Carberry, Blacky, Smoky … Dan, Shane, Ferris und Ben – immer wieder mußte er an seine Kameraden denken. Er versetzte sich in ihre Lage und hatte das Gefühl, als heimlicher Beobachter unter ihnen zu sein. Sie waren überzeugt, ihn verloren zu haben. Gern hätte er ihnen irgendwie mitgeteilt, daß es nicht der Fall war, aber dazu bestand keine Möglichkeit.

      Überhaupt, wie sollte er in der Nacht ein Signal geben, damit man ihn auffischte? Er hatte kein Pulver, keinen Feuerstein und Feuerstahl, kein Öl und keine Lampe – nichts. Er konnte höchstens rufen, aber es war die große Frage, ob man ihn hörte.

      Weitermachen, dachte er, keine Zeit an unnütze Überlegungen verschwenden. Seine Lebensgeister waren zurückgekehrt. Nur an der erforderlichen Bewegungsfreiheit mangelte es wegen der Schmerzen, die ihn lähmten und behinderten.

      Er tastete seine Brust ab, senkte den Blick und versuchte, im Dunkeln etwas von der Wunde zu erkennen. Sehr viel Blut hatte er nicht verloren, wenn sein zerrissenes Hemd auch damit getränkt zu sein schien. Die Schrammen auf seiner Brust stufte er als eher unbedeutend ein. Es waren eben, wie er richtig angenommen hatte, die Rippen, die ihm zusetzten. Sie brauchten nur leicht angebrochen zu sein und bereiteten doch höllische Schmerzen.

      „Jede Fraktur“, hatte der Kutscher einmal gesagt, „tut ganz verflucht weh, und je dünner der Knochen ist, desto heikler ist die Sache.“

      Vielleicht hätte der Kutscher ihm eine Art Brustbandage angelegt. Ganz gewiß hätte er ihm Ruhe verordnet. Beides ließ sich in seiner derzeitigen Situation nicht verwirklichen. Er hatte kein Verbandszeug, keine sauberen Tücher und kein heißes Wasser zum Reinigen der Blessur. Und eine Koje, in der er sich ausstrecken konnte, gab’s auch nicht. Hinlegen konnte er sich sowieso nicht, denn er mußte ja paddeln und Treibgut einsammeln.

      Nicht sehr viel Zeit verstrich, und er sichtete wieder einen Bootsriemen. Zwei sind besser als einer, dachte er, und holte auch diesen an Bord.

      Er begann jetzt, die Leinen kreuz und quer über das Floß zu spannen, damit ihm seine „Fundsachen“ nicht wieder verlorengingen. Er klemmte sie darunter, richtete alles so funktionell und sicher wie möglich ein und ruhte sich dann wieder ein wenig aus.

      Er sann nach und vergegenwärtigte sich die letzte Position der „Isabella“. Bevor das Gefecht begonnen hatte und er über Bord gegangen war, hatte er noch einmal kurz einen Blick auf die Seekarte geworfen. Die „Isabella“ hatte etwa an die fünfundzwanzig Meilen nördlich der Bahia de Nipe gestanden, an der Nordostküste von Kuba also.

      Er wandte seinen Blick in die südliche Richtung. Weit entfernt kann sie also nicht sein, die Küste, dachte er. Sie zu erreichen, wäre nicht das größte Problem, aber was ist mit den Dons?

      Die Überlebenden der beiden Galeonen pullten zur Küste, und zwar auf den Punkt zu, den sie am schnellsten erreichen konnten. Selbst wenn sie sich ins Landesinnere zurückzogen, mußte er, Hasard, immer noch damit rechnen, daß Posten aufgestellt waren. Auch konnten Schaulustige eingetroffen sein, die die Explosionen gehört und aus der Entfernung verfolgt hatten.

      Bei dem Pech, das er zur Zeit hatte, konnte es ihm gut passieren, daß er gestellt und festgenommen wurde. Dann hatte es keinen Zweck, sich als Spanier auszugeben. Sie konnten ihn leicht entlarven, er war zu bekannt. Die Folge war, daß sie ihn vor ein Gericht stellten und entweder am nächsten Baum aufhängten oder standrechtlich erschossen.

      Nein, dachte er, das Risiko darfst du auf keinen Fall eingehen. Aber welche anderen Möglichkeiten boten sich noch an? Er rief sich die Karte ins Gedächtnis zurück. Welche Insel lag in seiner Nähe? Gab es kein Eiland, auf dem er landen konnte?

      Santo Domingo, dachte er. Das war eine Insel an der südlichen Spitze der Columbus-Bank. Dort konnte er verholen und an Land gehen, sich mit frischem Proviant versorgen, und – besser ausgerüstet als jetzt – die mühselige Fahrt fortsetzen. Er brauchte wenigstens ein bißchen Trinkwasser und Früchte oder Kokosnüsse, um den schlimmsten Hunger und Durst zu stillen, die sich früher oder später einstellen würden.

      Erst danach konnte er daran denken, sich von Insel zu Insel in Richtung Osten zu den Caicos-Inseln vorzuarbeiten. Lange würde es dauern, er würde Tage benötigen, vielleicht zwei Wochen, weil er nicht unausgesetzt paddeln, wriggen oder pullen konnte. Er mußte mit seinen Energien haushalten und durfte sich nicht verausgaben. Wenn er vor Erschöpfung zusammenbrach, war er endgültig verloren.

      Er dachte wieder nach und gelangte zu dem Schluß, daß es besser war, zunächst diese Nacht abzuwarten. Auf dem Kurs, auf dem er sich mit seinem Notfloß befand, mußten noch die Freunde folgen, denen Ribault und er mit der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ vorausgesegelt waren: der Schwarze Segler, die „Tortuga“, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“.

      Vielleicht, so dachte er, entdecken sie mich und fischen mich auf. Diese Hoffnung stärkte ihn zusätzlich. Sie konnten noch nicht vorbei sein, er hätte sie sehen müssen. Noch stand ihre Ankunft bevor, und wenn er auch nur ein schwaches Licht sah, würde er zu rufen beginnen.

      Er konnte inzwischen keine Trümmerteile mehr in seiner unmittelbaren Nähe entdecken. Was das bedeutete, hielt er sich jetzt vor Augen. Der Nordostwind hatte ihn vom ursprünglichen Kurs abgetrieben und schob ihn immer weiter nach Südwesten. Er mußte auf seine bisherige Position zurückkehren, wenn er eine Chance haben wollte, von den vier Schiffen gesichtet zu werden.

      Rasch knüpfte er aus einer der Leinen eine Schlaufe, die er an einer Kante des Floßes belegte. Dann schob er einen der beiden Riemen hindurch und begann, in Richtung Norden zu wriggen. Es klappte – sein Untersatz nahm Fahrt auf und glitt zu dem Schauplatz des kurzen, blutigen Gefechts zurück.

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