Seewölfe - Piraten der Weltmeere 280. Frank Moorfield
die Gegenstände gesellten sich zu dem anderen Unrat, der stets im Hafenwasser schwamm, und trieben dann an der Kaimauer entlang.
Auf einigen anderen Schiffen standen die Männer, die gerade Wache hatten, neugierig am Schanzkleid. Ihre Gesichter spiegelten teils Erstaunen, teils Schadenfreude wider. Schließlich wurde einem nicht jeden Morgen ein solches Schauspiel geboten.
Der Kutscher, der auf der im fernen Ägypten versandeten „Isabella VIII.“ als Koch und Feldscher fungiert hatte, fuhr sich mit einer verlegenen Geste durch das blonde Haar.
„Eines steht fest“, sagte er, „dem Hafenmeister haben wir das Frühstück kräftig versalzen. Er wird seine helle Freude haben, wenn er sieht, was hier passiert ist.“
Ferris Tucker schüttelte verärgert den Kopf.
„Was schert uns der Hafenmeister! Wir haben jetzt ganz andere Sorgen. Gewissermaßen stehen wir am Kai wie bestellt und nicht abgeholt. Sozusagen gleichen wir streunenden Hunden, die nicht wissen, wo sie hingehören. Oder habt ihr Dickschädel noch immer nicht begriffen, daß wir uns nun eine andere Bleibe suchen müssen?“
„Na und?“ fragte Stenmark. „Wir sind schließlich keine Hungerleider. Das, was wir in unseren Gürteln tragen, wird doch wohl für ein warmes Bett ausreichen, oder?“
Carberry kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
„Soll das etwa heißen, daß du triefäugiger Hering bei unserem lieben Freund Nathaniel Plymson Quartier nehmen willst? Ho, wenn du auf diese Schnapsidee verfallen solltest, dann ziehe ich dir eigenhändig die Haut in ganz schmalen Streifen von deinem karierten Affenarsch. Und anschließend werde ich dir …“
„Schon gut, Ed“, unterbrach Ferris Tucker die düsteren Drohungen Carberrys. Er wußte so gut wie die anderen, daß die kernigen Aussprüche ihres Zuchtmeisters stets sehr herzlich gemeint waren. „Wir können uns selbstverständlich nicht bei Plymson einmieten. Er wird zunächst einmal damit beschäftigt sein, seine Kneipe zu renovieren, denn dort dürfte in der letzten Nacht nicht viel heilgeblieben sein.“
Jeff Bowie, der eine Hakenprothese trug, weil ihm Piranhas die linke Hand zerfetzt hatten, lachte laut auf.
„Keine zehn Pferde brächten mich dazu, bei Plymson zu übernachten. Da würde ich lieber unter ein Boot kriechen, das kieloben im Sand liegt. Dort kriegt man wenigstens keine Flöhe!“
„Na, so schlimm wird’s wohl nicht sein“, meinte Ferris Tucker. „Aber es gibt ja schließlich noch genug andere Herbergen in dieser hübschen Stadt, und wir haben noch einen ganzen langen Tag vor uns. Oder will sich einer von euch faulen Stinten schon wieder in die Koje hauen?“
Die Männer grinsten. Nein, danach stand ihnen der Sinn im Moment überhaupt nicht. Aber den Kai auf und ab zu spazieren, das lag ihnen auch nicht. Irgend etwas mußten sie unternehmen. Und Ferris Tucker wußte auch schon, was.
„Ich hab’s, Leute“, sagte er und hieb Bill, dem Moses, der direkt neben ihm stand, kräftig auf die linke Schulter. „Was haltet ihr davon, Hesekiel Ramsgate einen Besuch abzustatten? Wir waren uns doch schon in Ägypten alle einig, daß nach unserer Heimkehr ein neues Schiff in Auftrag gegeben werden soll. Da könnten wir doch schon einmal mit dem alten Ramsgate in Verbindung treten. Das wäre immerhin besser, als hier im Hafen Maulaffen feilzuhalten.“
Blacky, ein dunkeläugiger, kräftiger Bursche, pfiff leise durch die Zähne.
„Das ist keine schlechte Idee“, sagte er. „Ramsgate ist ohne Zweifel der beste Schiffsbauer, der in England aufzutreiben ist. Warum sollte er nicht auch die neue ‚Isabella‘ auf Kiel legen? Bisher haben wir mit seiner Arbeit jedenfalls nur gute Erfahrungen gemacht.“
Auch bei den übrigen Männern fand der Vorschlag Ferris Tuckers lebhafte Zustimmung. Ein neues Schiff – das war der Traum eines jeden von ihnen. Sie wären dann endlich nicht mehr in drei Gruppen aufgespalten, und sie hätten es auch nicht mehr nötig, auf mehr oder weniger miserablen Kähnen in der Weltgeschichte herumzusegeln.
„Auf was warten wir noch?“ knurrte Ed. „Die Werft des alten Ramsgate liegt drüben in Rame Head. Bis zum nächsten Glasen schaffen wir das zu Fuß.“
Ferris Tucker nickte.
„Aber zwei Mann sollten auf jeden Fall hier im Hafen bleiben. Es könnte ja sein, daß Ben und Hasard mit ihren Leuten eintreffen. Sie werden bestimmt nichts dagegen haben, von einigen Arwenacks begrüßt zu werden. Wie wär’s mit dir, Luke, und mit dir, Bill?“
Luke Morgan und Bill, der Moses, hatten nichts dagegen einzuwenden. So setzte sich der Rest der kleinen Crew auf Schusters Rappen in Bewegung und nahm Kurs auf Rame Head.
Selbst Sir John konnte seinen Elan kaum noch bremsen.
„Hopp, hopp, ihr lahmen Säcke!“ rief er mit seiner Reibeisenstimme. „Hurtig, hurtig, ihr krummen Heringe!“
Obwohl die Seewölfe von ihrem frechen Papagei schon einiges gewohnt waren, legten sie angesichts dieser unmißverständlichen Aufforderungen einen Schritt zu. Und hätte Sir John grinsen können, in diesem Augenblick hätte er es gewiß getan.
Es war längst heller geworden, als die Werft des alten Hesekiel Ramsgate hinter einer Landzungen auftauchte. Die letzten dunklen Wolken verzogen sich, um dem neuen Sommertag genügend Platz einzuräumen. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis die Sonne das Wasser des Plymouth Sounds mit gleißendem Licht überschüttete.
Die Seewölfe begegneten so früh am Tage nur wenigen Menschen. Außer einigen Bettlern, die man wohl von ihren Schlafplätzen verscheucht hatte, erblickten sie fast ausschließlich Bauern, die ihre zweirädrigen Karren, beladen mit Obst und Gemüse, zum Marktplatz zogen.
Doch für einen Besuch bei Ramsgate war es nicht zu früh. Die Arwenacks wußten nur zu gut, daß der schmächtige Mann mit dem grauen Seemannsbart morgens der erste war, der das Werftgelände betrat.
Das Gesicht Ferris Tuckers drückte Erstaunen aus, als er das Reich des alten Ramsgate überblickte.
„Ich glaube kaum, daß wir ungelegen aufkreuzen“, sagte er. „Es sieht hier nicht gerade danach aus, als ob Ramsgate in Arbeit ersticken würde.“
Tatsächlich herrschte nur wenig Betrieb auf der Werft. Das einzige Schiff, das den Seewölfen ins Auge fiel, war ein kleiner Zweimaster, den man aufgeslipt hatte, um ihn von dem hartnäckigen Muschelbewuchs zu befreien. Nur wenige Männer waren mit dieser Knochenarbeit beschäftigt, und sie schienen nicht gerade vor Tatendrang zu bersten.
Weiter hinten, auf dem Lagerplatz, standen noch zwei Männer, die offenbar die Holzvorräte begutachteten. Einer davon war Hesekiel Ramsgate. Er deutete gerade auf einen hohen Stapel von Eichenstämmen, der sich neben einem Werkzeugschuppen auftürmte.
Jeder dieser Baumstämme war mehr als hundert Jahre alt, denn jüngeres oder frisches Holz hatte die unangenehme Eigenschaft, sich zu werfen und dann zu splittern, wenn man es zu Planken verarbeitete. Selbst die mächtigen Eichenstämme mußte man nach dem Fällen über einen größeren Zeitraum hinweg der Witterung aussetzen, um sie abzulagern.
Hesekiel Ramsgate schenkte dem kleinen Trupp von Seewölfen zunächst keine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich nahm er an, daß es sich um Arbeitssuchende handelte, die er sowieso wieder wegschicken mußte. Erst als sich die Männer näherten, blitzte es in seinen hellen Augen überrascht auf.
„Die Seewölfe!“ stieß er hervor. Über sein faltiges Gesicht huschte ein freudiger Zug. „Mein Gott, sie sind es tatsächlich.“ Er ließ den anderen Kerl einfach stehen und eilte den Männern entgegen. Dabei schwang er strahlend die Krummaxt, die er in der rechten Hand hielt.
„Ho!“ entfuhr es Edwin Carberry. „Der alte Holzwurm wird uns doch wohl nicht mit der Axt das Gehirn vierteilen wollen?“
Der Kutscher konnte einen Lacher nicht mehr rechtzeitig unterdrükken.
„Das wäre verdammt schlimm“, meinte er. „Vor allem für Leute, die sowieso nur noch ein kleines Viertelchen davon haben.“
Ed