Seewölfe - Piraten der Weltmeere 280. Frank Moorfield

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 280 - Frank Moorfield


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der Kutscher zu sagen. „Ich dachte nur gerade – äh – ich dachte beispielsweise an den dicken Plymson.“ Er atmete erleichtert auf, weil ihm noch rechtzeitig ein geeignetes Objekt eingefallen war.

      „Da hast du allerdings recht“, gab Carberry zurück. „Und wenn der schöne Nathaniel sein winziges Spatzenhirn nicht mittels einer Perücke warmhalten würde, wäre es längst vertrocknet.“

      Die tiefsinnige Betrachtung wurde von Hesekiel Ramsgate unterbrochen.

      „Willkommen auf meiner Werft!“ rief er. Dann schüttelte er den Männern ebenso kräftig wie herzlich die Hände. „Was für eine Überraschung! Es ist Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Doch – wo sind die anderen? Ich meine, wo ist Sir Hasard? Und Mister Brighton ist auch nicht dabei. Gibt es auch noch den alten Mister O’Flynn?“ Sein freudiges Gesicht wirkte plötzlich besorgt.

      „Keine Bange, Mister Ramsgate“, sagte Ferris Tucker. „Es gibt sie alle noch. Die Crew mußte sich nach einem schlimmen Eréignis in Ägypten lediglich in drei Gruppen aufteilen, weil es so leichter war, sich bis nach England durchzuschlagen. Wir sind zufällig als erste Gruppe hier angelangt, doch wir erwarten unseren Kapitän und Mister Brighton täglich.“

      „Ein schlimmes Ereignis? In Ägypten?“ Die hellen Augen Hesekiel Ramsgates blickten Ferris Tucker fragend an. „Nun, wenn es die gesamte Crew noch gibt, muß sich Ihre Bemerkung auf das Schiff beziehen. O heiliger Jakobus, soll das etwa heißen …?“

      Ferris Tucker nickte.

      „Die ‚Isabella VIII.‘ gibt es nicht mehr. Sie liegt unter Bergen von Wüstensand begraben.“

      Der alte Ramsgate zog ein Gesicht, als habe man ihm die Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen überbracht. Kein Wunder, er war mit Leib und Seele Schiffsbauer, und er sah in all den stolzen Seglern, die in seiner Werft Form und Gestalt angenommen hatten, eine Art Kinder.

      Der schmächtige Mann schüttelte den Kopf.

      „Das verstehe ich nicht. Die ‚Isabella‘ liegt unter Bergen von Wüstensand? No, Sir! Das verstehe ich auf meine alten Tage nun wirklich nicht.“ Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, als müsse er eine lästige Fliege verscheuchen.

      „Das ist eine lange Geschichte, Mister Ramsgate“, sagte Ferris Tucker. „Wenn Sie einmal Zeit erübrigen können, werden wir sie Ihnen erzählen. Nur eins sei vorweg gesagt: Das Unglück ist nicht auf die ‚Isabella‘ selbst zurückzuführen, o nein, die alte Lady hätte sich schon noch eine Weile gehalten. Sie war zäh und unbeugsam, solange sie die Weltmeere befuhr. Aber diese Unmengen von Sand – das war zuviel auf ihre alten Tage.“

      „Ich muß ihre Geschichte hören“, sagte Ramsgate mit bewegter Stimme, „sonst würde ich nachts kein Auge mehr zutun. Und machen Sie sich keine Gedanken über die Zeit. Wenn Sie sich hier auf meiner Werft umsehen, werden Sie selbst feststellen, daß es an Zeit nicht fehlt. Darf ich die Gentlemen in mein Haus bitten? Sie haben sicher auch noch nicht gefrühstückt.“

      Die Seewölfe folgten dem Schiffsbauer zu dem alten Wohngebäude hinüber, dessen rotbraune Ziegelsteine sich kräftig vom Grau der Umgebung abhoben.

      Daß Ramsgate im Moment wenig Aufträge hatte, war unverkennbar. Er war bekannt dafür, daß er sehr moderne Schiffe baute. So modern, daß die königliche Flotte seine Konstruktionen ablehnte, weil den hohen Herrschaften ganz offenbar die Weitsicht fehlte, die einen Fachmann wie Ramsgate auszeichnete. Der alte Mann wußte, was er wollte, deshalb ließ er sich auch durch die etwas stiefmütterliche Behandlung des Hofes nicht von seiner modernen Bauweise abbringen.

      Die Seewölfe konnten diesem Mann nur einstimmig bestätigen, daß er damit goldrichtig lag. Sie hatten bisher genug Erfahrung mit seinen Schiffen auf allen Meeren der Welt sammeln können, deshalb stand für sie unverrückbar fest, daß Hesekiel Ramsgate der beste Schiffsbauer war, den England zur Zeit hatte. Man konnte nur hoffen, daß man irgendwann damit beginnen würde, die verstaubten Vorstellungen, die gerade auf dem Schiffbausektor am Hofe Ihrer Majestät, Elisabeth I., herrschten, über Bord zu werfen.

      Dem kleinen Kontor und der Wohnung Ramsgates sah man an, daß er nicht gerade zu den Reichen des Landes gehörte. Aber er hatte es bisher trotzdem immer wieder verstanden, sich – nicht zuletzt durch seine Bescheidenheit und Genügsamkeit – über Wasser zu halten.

      Als wenig später ein einfaches, aber kräftiges Frühstück auf dem Tisch stand und das Sonnenlicht, das durch die Fenster in den Raum drang, bizarre Muster auf den Fußboden zeichnete, da fingen die Seewölfe an, zu erzählen.

      Hesekiel Ramsgate unterbrach sie nur selten. Seine Augen waren meist stumm auf die Lippen der Männer gerichtet, die auf der „Isabella VIII.“ zweimal die Welt umsegelt hatten. Ihre Schilderungen rissen ihn heraus aus dem grauen Alltag und ließen ihn teilhaben an vielen Stürmen und Abenteuern, an tausend Erlebnissen und Gefahren, denen sie als Korsaren der englischen Königin in allen Teilen der Welt begegnet waren.

      Die Seewölfe berichteten von ihrer abenteuerlichen Reise durch das Mittelmeer, von ihrer Fahrt nilaufwärts bis zum ersten Katarakt, von den gewaltigen Pyramiden und von den uralten Kanälen, die sich vom Nil aus bis zu den Bitterseen hinzogen, die wiederum ins Rote Meer mündeten.

      Sie verschwiegen auch nicht, daß sie auf die Betrügereien des Schlitzohrs Ali Abdel Rasul hereingefallen waren, weil sie gehofft hatten, einen neuen Seeweg zum Indischen Ozean zu finden. Und schließlich erzählten sie vom Ende der „Isabella VIII.“, die einem Sandsturm zum Opfer gefallen war, von der Aufteilung in drei Gruppen und der gefahrvollen Heimreise bis zum Hafen von Plymouth.

      Natürlich vergaßen sie nicht, dem alten Ramsgate von der Karavelle zu erzählen, die erst am frühen Morgen vor ihren Augen auf Tiefe gegangen war. Sie war ja der eigentliche Grund, warum sie nach Rame Head aufgebrochen waren.

      Hesekiel Ramsgate schwieg eine Weile, nachdem die Seewölfe ihren Bericht beendet hatten. Er würde noch Tage brauchen, um das, was ihm diese sturmerprobten Männer ohne jede Schönfärbung erzählt hatten, zu verarbeiten.

      Ferris Tucker riß ihn schließlich aus seinem Schweigen heraus und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.

      „Der Grund, warum wir Sie aufgesucht haben“, sagte er, „liegt klar auf der Hand. Wir brauchen ein neues Schiff, und Sie, Mister Ramsgate, sind selbstverständlich derjenige, der es bauen soll. Mit dem Auftrag wollen wir zwar abwarten, bis auch unsere restliche Crew eingetroffen ist, aber wir dachten, daß es nicht schaden kann, sich vorab etwas zu informieren.“

      Diese Eröffnung trieb Hesekiel Ramsgate regelrecht von seinem Stuhl hoch.

      „Ein neues Schiff? Und ich soll es bauen?“ Seine Augen begannen zu leuchten. „Ich hab’s geahnt, ja, bei Gott, ich habe es gefühlt. Als ich heute früh aufgestanden bin, wußte ich, daß dieser Tag ein besonderer Tag werden würde.“

      Einen Augenblick später eilte Ramsgate zu seinem Kontor hinüber und kehrte gleich darauf mit einigen Bauplänen zurück. Mit einer geradezu fieberhaften Begeisterung breitete er sie vor den Arwenacks aus. So konnte es auch nicht ausbleiben, daß seine Begeisterung auf die Männer übergriff.

      Besonders Ferris Tucker, der als Schiffszimmermann am meisten von den Zeichnungen verstand, war tief beeindruckt. Einige Einzelheiten und Verbesserungsvorschläge, die er vorbrachte, wurden von Ramsgate sofort festgehalten. Das Gesicht des Schiffsbauers hatte sich vor Eifer gerötet, als er nach einiger Zeit die Pläne wieder zusammenrollte.

      „Am liebsten würde ich die neue ‚Isabella‘ gleich auf Kiel legen“, erklärte er. „Auf jeden Fall aber kann ich Ihnen zusagen, daß ich mich sofort an die Arbeit begeben werde, wenn auch die übrigen Seewölfe in Plymouth eingetroffen sind.“

      Man sah es Hesekiel Ramsgate an, daß es ihm gewaltig in den Fingern juckte. Das Bauen von Schiffen – das war sein Leben. Und er verstand eine ganze Menge von diesem Geschäft.

      Er trat an einen uralten Schrank und holte eine Flasche sowie eine Anzahl Becher heraus. Schwungvoll stellte er den Schnapsbehälter auf den Tisch.

      „Er


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