Seewölfe - Piraten der Weltmeere 136. Davis J.Harbord
Hasard gab zähneknirschend noch einen Befehl.
„Weg mit dem Großsegel!“ sagte er. „Dieser verdammte Lappen fängt zuviel Wind auf und drückt die Tante nach Lee!“
„Die Tante“, das war die „Isabella“. Sie gaben ihr unzählige liebevolle Namen – je nach Wetter- oder Gefechtslage oder auch einfach nur so. Von der „schmukken Lady“ bis hin zum „Mistkahn“. Jetzt prägte der Profos einen neuen Namen: „Muschelsarg!“
Der Muschelsarg ächzte und stöhnte beleidigt und segelte nur noch mit halber Fahrt unter Besan und den Focksegeln. Die Blinde vorn am Bugspriet war bei halbem Wind wie auch am Wind sowieso witzlos, denn sie zog nicht und ließ die „Isabella“ bei Halbwind- und Am-Wind-Kursen nur nach Lee gieren. Dadurch ging Höhe verloren, und der Rudergänger mußte ständig gegensteuern, was sich wieder auf die Geschwindigkeit auswirkte. Aber die war ohnehin beim Teufel. Denn im Kielwasser schleppte die „Isabella“ einen langen Schleier von Tang und Algen hinter sich her, der dicht und zäh war und sich ständig erneuerte, wenn er mühselig gekappt worden war.
Dieses Zeug verfing sich an dem muschel- und pockennarbigen Unterwasserschiff, hing am Ruderblatt, das immer schwergängiger wurde, und webte einen schweren, glitschigen Teppich um den Rumpf.
Nach dem Bergen des Großsegels lief die „Isabella“ etwas aufrechter, aber eben leider langsamer. Die Männer blieben jetzt auf der Steuerbordseite, um mit ihrem Eigengewicht zu trimmen.
Ferris Tucker kletterte aufs Achterdeck, wo Hasard zusammen mit Ben Brighton an der Steuerbordseite lehnte.
Er grinste grimmig und sagte: „Das war buchstäblich in letzter Sekunde. Ich dachte schon, jetzt erholt sie sich nicht mehr, die verdammte Krücke.“
„Ferris“, mahnte Ben Brighton.
„Ist doch wahr! Das ist doch kein Schiff mehr. Seit Wochen predige ich, daß wir diesen Muschelmist abkratzen müßten. Aber da kann man glattweg ’ne Wand anreden …“
„Ferris, sei friedlich“, sagte der Seewolf sanft. „Morgen sind wir in Tanger und haben’s überstanden.“
„So? Sind wir das?“ Ferris Tucker gab keine Ruhe. „Und was passiert, wenn wir ein paar härtere Drücker erwischen? Wer garantiert, daß das Wetter so bleibt?“
„Niemand“, erwiderte Hasard. „Und wenn wir härtere Drücker kriegen, müssen wir eben noch mehr Segel wegnehmen.“
„Ha! Dann sind wir erst im nächsten Jahr in Tanger.“
Hasard musterte den rothaarigen Riesen.
„Bist du auf Streit aus, Ferris?“ fragte er freundlich.
„Nein, aber ich lehne jede Verantwortung für den jetzigen Zustand des Schiffes ab.“
„In Ordnung“, sagte Hasard lächelnd. „Übrigens ist mir da eben noch was durch den Kopf gegangen. Wir könnten ein bißchen vorbeugen, wenn’s happiger wehen sollte. Und weißt du, wie?“
„Nein.“
„Ich bin zwar nicht der Schiffszimmermann, der über Stabilität eine Menge zu sagen weiß“, erklärte Hasard, und etwas Spott schwang in seiner Stimme mit, „aber ich könnte mir denken, daß es vielleicht gut wäre, einigen Ballast nach Steuerbord zu trimmen, gewissermaßen als Gegengewicht zu der Krängung nach Backbord. Wir können Tanger anliegen, wenn der Wind nicht nördlicher dreht. Das heißt, wir werden die nächsten Stunden auf Backbordbug weitersegeln. Um die kleinen Drükker abzufangen, die jetzt unserer ‚Isabella‘ gefährlich werden könnten, müßte es doch genügen, wenn wir mit Ballast gegentrimmen. Was meinst du, Ferris?“
Der Schiffszimmermann hatte rote Ohren und murmelte: „Aye, aye, Sir.“
„Weißt du“, sagte Hasard, „mir fiel das ein, als wir uns vorhin so anhaltend nach Lee verneigten und das Gewicht der Männer offensichtlich ausreichte, die ‚Isabella‘ wiederaufzurichten. Und mir fiel auch ein, daß man doch dieses Gewicht beliebig vergrößern könnte – was bewirken würde, daß man dann auch das Großsegel wieder setzen kann, zwecks schnellerer Fahrt Richtung Tanger.“ Hasard rieb sich die Nase. „Ja, das fiel mir so ein, obwohl ich nicht der Schiffszimmermann bin, sondern nur der lausige Kapitän eines Muschelsargs. Ja, und an der Verantwortung trage ich so schwer, daß sie fast als Trimmballast ausreichen müßte. Oder meinst du, daß ich sie jetzt auch ablehnen darf, Ferris?“
Die roten Ohren von Ferris Tucker hatten inzwischen eine knallrote Färbung angenommen.
„Ich hab’s begriffen, Sir“, sagte er, und es klang ziemlich gequetscht. „Bitte um Entschuldigung.“
Hasard lächelte fröhlich. „Nichts da! Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, Ferris! Außerdem weißt du genau, daß du unersetzbar und der beste Schiffszimmermann Englands bist. Im übrigen hattest du mich, was den Muschelbewuchs betrifft, lange genug gewarnt. Der jetzige Zustand der ‚Isabella‘ geht also zu meinen Lasten. Und wenn du sauer bist, dann verstehe ich das. Alles klar, Ferris?“
„Aye, Sir, alles klar.“ Ferris Tucker starrte auf seine Fußnägel, denn er ging wie alle anderen auch barfuß – nicht um Sohlen zu sparen, sondern weil’s bei dem Klima angenehmer war. Die langschäftigen Seestiefel würden sie früh genug wieder anziehen müssen, wenn sie weiter nördlich segelten. „Hm“, brummte er, „ich war nur sauer, weil mir das mit dem Trimmen nicht selbst eingefallen ist. Manchmal hat man ein Stück Kielholz vorm Schädel.“
„Hatte ich ja auch“, sagte Hasard, „dabei hätte mir einfallen müssen, daß ich bereits als Junge mein Gewicht einsetzte, wenn ich mit der kleinen Jolle von Sir John in den Buchten von Cornwall segelte. Ich hockte mich bei Am-Wind-Kursen auf die Luvkante, und wenn Böen einfielen, hing ich fast außenbords, um sie abzufangen. Wenn wir jetzt mit festen Gewichten trimmen, wird das so eine Art Balanceakt. Ein Zuviel an Trimmgewicht nach Steuerbord könnte schon wieder gefährlich sein.“
„Ich hab’s“, sagte Ferris Tucker, und jetzt hatte er keine roten Ohren mehr.
„Na?“
„Wir fummeln das mit den acht Culverinen auf der Steuerbordseite hin“, erklärte Ferris Tucker. „Ganz einfach. Wir fahren sie aus wie bei Klarschiff zum Gefecht. Das bringt insgesamt eine Menge Gewichtstrimm nach Luv – vor allem mit den überlangen Rohren – und gibt uns außerdem die Möglichkeit, mittels der Brooktaue die Culverinen je nach Bedarf zu verschieben. Ich meine, mit den Kanönchen können wir auf diese Weise exakt und ohne viel Mühe oder Zeitaufwand trimmen.“
„Genial“, sagte Hasard.
Der rothaarige Riese strahlte und wandte sich um, um zur Kuhl hinunterzusteigen. Er prallte mit Carberry zusammen, der den Niedergang hochwalzte, als habe er die Absicht, eine Mauer einzurennen.
„Ich hab ’ne Idee!“ verkündete er mit seiner Donnerstimme und warf Ferris Tucker einen verächtlichen Blick zu. Dann blickte er Hasard an.
„Ah“, sagte Hasard, „und welche?“
„Wir trimmen Eisen nach Steuerbord, Kugeln, Ketten und so. Auch Fässer, die Anker, alles Schwere!“ Carberry verschluckte sich fast vor Eifer.
„Und Schatztruhen aus den Laderäumen, wie?“ fragte Hasard mit harmloser Miene.
Ben Brighton und Ferris Tucker begannen zu grinsen.
„Ja, genau, die auch“, sagte Carberry begeistert und ignorierte die beiden grinsenden Männer neben Hasard. „Das wird ’n Alle-Mann-Manöver, Sir. Soll ich die Sache in die Hand nehmen? Ich mein, die Kerls müssen mal wieder auf Trab gebracht werden. Die lümmeln am Steuerbord-Schanzkleid ’rum, pulen in den Nasen und klauen dem lieben Gott die Zeit.“
„Hm.“ Hasard kratzte sich am Kinn. „Eine tolle Idee, Ed …“
„Nicht wahr?“ Carberry dehnte den breiten Brustkasten. Ein Lächeln glitt über sein wüstes Narbengesicht mit dem Rammkinn. Wenn Carberry lächelte, konnte es einen