Seewölfe - Piraten der Weltmeere 265. Fred McMason
erschüttert aufs Meer hinaus, wobei ihre Schultern zuckten, und die Ohren wackelten. Einige husteten ständig, und der Bootsmann krümmte sich am Schanzkleid zusammen. Er hatte schon seit fast einem Monat ständiges Bauchgrimmen, und das, obwohl die Kerle alle kerngesund aussahen.
„Aber, Sir“, sagte einer der Hands überlegend. „Es heißt doch auch in der Bergpredigt: ‚Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.‘ Das haben Sie selbst gesagt, Sir.“
„Zum Donnerwetter!“ brüllte Cribbs jetzt. „Es heißt geistlich arm und nicht geistig arm, ihr Schafe! Und das ist ein Unterschied. Wenn ihr das nicht kapiert, dann höre ich für heute auf.“
„Bitte nicht, Sir“, bat der Bootsmann. „Sie werden uns doch nicht wieder der Arbeit überlassen“, fügte er so leise hinzu, daß Cribbs es nicht verstehen konnte. „Lesen Sie bitte weiter, Sir. Und predigen Sie doch ein wenig über die falschen Propheten aus der Bergpredigt. Die Stelle gefällt uns so gut, wo man bittet und empfängt, und welcher unter den Menschen ist, so ihn sein Sohn um Brot bittet, und er ihm aber einen harten Schiffszwieback, Verzeihung, Sir, einen Stein bietet.“
„Das ist nichts für euch“, sagte Cribbs etwas schroffer als sonst. „Ihr sollt auch nicht immer nur ans Essen denken. Und weil wir gerade von der Bergpredigt sprechen: Jesus hat auch einmal viertausend Menschen mit nur sieben Broten und ein paar Fischlein gespeist.“
„Ja, Sir“, sagte Roger andächtig, „solche Wunder geschehen selbst hier bei uns an Bord. Wir alle müssen auch immer von sehr wenig satt werden.“
Das hinterhältige Grinsen in den Gesichtern sah Cribbs nicht. Sie hatten ihm schon oft auf dem Umweg über die Bibel versteckt vorgeworfen, daß die Verpflegung verdammt knapp und Cribbs ein elender Geizkragen sei, aber auf dem Ohr hörte der Master gar nichts, und er wechselte dann auch immer schnell das Thema und zog über die Sünde vom Leder. Er schimpfte über den Suff und die fleischlichen Begierden, und als ihm jetzt das Thema zu heikel wurde, da ging es erneut los.
Eine halbe Stunde lang wetterte er gegen fleischliche Sünden. Die nächste Viertelstunde verwandte er darauf, den Suff zu verfluchen, und als er gerade beim Thema war, stand der Feldscher auf und brachte eine Flasche aus der großen Arzneikiste mit, weil die meisten der Kerle schon wieder unter dem merkwürdigen Bauchgrimmen litten. Der Feldscher drückte jedem die Flasche fast mit Gewalt in die Hand und ermahnte ihn mit ernsten Worten, ja kräftig davon zu trinken. Sie tranken nur widerwillig und mit verzerrten Gesichtern, und Cribbs hörte ein wenig auf zu predigen.
„Was ist das eigentlich für ein Zeug, Feldscher?“ fragte er. „Müssen die Leute es denn trinken? Es bereitet ihnen offensichtlich Qualen.“
„Ja, Sir, das stimmt“, erwiderte der Feldscher mit frommem Augenaufschlag. „Aber was sein muß, das muß sein. Wir wollen doch alle gesund und bei Kräften bleiben. Und sehen Sie, Sir, bei den meisten läßt das Bauchgrimmen schon nach.“
„Es müßte eigentlich schon längst nachgelassen haben“, meinte der Master nachdenklich. „Sie trinken es doch jeden Tag.“
Er nahm die Flasche, schnupperte daran und stellte sie angeekelt wieder zurück.
„Das riecht ja so übel wie Fusel“, sagte er.
„Ja, Sir, das riecht wirklich fast so wie dieses widerwärtige Zeug. Aber es ist Rübensaft, ich habe ihn selbst hergestellt aus Rüben, die wir noch von England an Bord haben. Es ist ein sehr bewährtes Heilmittel und hat noch die guten Eigenschaften, daß es einem das Saufen verleidet und man gar nicht mehr an fleischliche Sünden denkt. Wenn man genug davon getrunken hat, vergeht einem einfach alles, Sir.“
Nun, der Feldscher mußte es ja wissen, dachte Cribbs, der hatte sein Handwerk ja nicht umsonst gelernt und wußte eine ganze Menge.
Archibald Cribbs wunderte sich nur darüber, daß manche danach leicht glasige Augen kriegten, und bei dem Jüngsten an Bord war es ganz besonders schlimm. Der Kerl wurde immer ganz steif danach, und sie mußten ihn nach dem Genuß des Zeugs stets wie ein Brett nach unten tragen.
Aber Medizin hatte ja bekanntlich recht oft so unangenehme Begleiterscheinungen.
Nie wäre Archibald Cribbs auf die Idee verfallen, daß der Feldscher zusammen mit dem Koch ganz ungeniert Rübenschnaps destillierte. Deshalb stank es manchmal auch so entsetzlich an Bord. Und erst recht wäre ihm nie eingefallen, daß die Kerle den Schnaps direkt unter seinen Augen soffen, wenn er lauthals dagegen wetterte. Sie hielten eisern wie ein Mann zusammen. Es gab keine Schlägereien an Bord, weil Cribbs ständig Friedfertigkeit predigte, und so glaubte er, er hätte eine ein wenig einfältige Mannschaft an Bord, denen er alle Lumpereien abgewöhnt hatte.
Hingegen dachte die Mannschaft, sie hätten einen recht einfältigen Kapitän an Bord, was schon eher seine Richtigkeit hatte. Aber sie kamen prächtig miteinander aus. Daß der Jüngste allerdings ständig umkippte, beunruhigte Cribbs ein wenig, denn der Moses war immer der erste, der stockbesoffen war, aber das führte Cribbs auf seine Magerkeit zurück. Der Kerl war einfach noch zu jung, und der Feldscher versicherte, ihm fehle rein gar nichts, das hätte er von seinem Vater geerbt, der auch öfter mal umfiel. Das läge bei manchen so in der Familie.
Sie mußten Archibald noch einiges erklären, und es gab Tage, da begriffen die Kerle kaum etwas oder interpretierten die Sprüche völlig falsch. So ein Tag war auch heute wieder, aber sie stellten Fragen, und das war die Hauptsache, überlegte Archie. Das zeigte zumindest, daß sie lernbegierig waren. Er war mit seiner Mannschaft sehr zufrieden.
Er schrak leicht zusammen, als der Kutscher zum Essen rief.
„Was – schon wieder Mittag?“ fragte er ungläubig. „Ihr habt doch eben erst gegessen. Habe ich denn so lange gepredigt?“
„Ja, Sir, es war wunderschön“, sagte der Bootsmann mit leuchtenden Augen. „Wir können gar nicht genug davon hören. Vielleicht könnten Sie uns heute nach dem Essen noch ein wenig vorlesen?“
„Gut“, sagte der fromme Archie. „Aber denkt an die Völlerei! Wer zuviel ißt, wird dick und krank.“
Dabei blickte er auf seinen eigenen, ziemlich dicken Bauch. Das muß am Trinkwasser liegen, dachte er, vielleicht trank er zu viel davon, oder?
Roger war zweifellos der intelligenteste Mann an Bord der „Arethusa“. Er war auch beileibe nicht faul, aber er verstand es geschickt, Archies Schwächen auszunutzen, und so konnten sie sich alle öfter mal einen guten Tag machen, während sie den Kapitän dazu animierten, ihnen aus der Bibel vorzulesen, was Archie auch mit großem Wohlwollen tat.
Aber faul waren die Kerle tatsächlich nicht, und Roger ganz besonders nicht. Im Gegenteil, denn er hatte keine leichte Jugend gehabt. Schon sehr früh war er mit seinem Vater und seinen Brüdern auf der Nordsee zum Fischen gefahren und hatte dem Meer mühsam genug seinen Lebensunterhalt abringen müssen. Dabei hatte er noch das Handwerk des Seilers und Ropemakers gelernt und war heute Takelmeister. Und die Arbeit am laufenden und stehenden Gut brachte zwangsläufig mit sich, daß man immer alle Hände voll zu tun hatte.
Roger war zäh und konnte hart zupacken, und ihm lag das Abenteuer im Blut.
Als die Fischerei dann kaum noch etwas einbrachte, und sein Vater längst auf dem Meer geblieben war, da hatte er sich auf die „Arethusa“ verdingt, und auf diesem Schiff fuhr er jetzt unter dem frommen Archibald Cribbs seit eineinhalb Jahren. So hatte er auch einen großen Teil der Welt kennengelernt.
Am Nachmittag predigte Archie Friedfertigkeit, ein Thema, das allen gründlich zum Hals heraushing, und dessen umwerfende Neuigkeiten sie bis zum Erbrechen kannten. Diesmal wurde es richtig langweilig, und bei dem Thema „Liebet einander!“ fiel Rogers Blick auf die Bewaffnung an Deck der „Arethusa“.
Die war nicht nur spärlich, sondern direkt bescheiden, ja erbärmlich. Vier Neunpfünder standen auf der Kuhl, diskret unter Segelleinen verborgen, und so klein, daß sie damit bestenfalls Haie kitzeln konnten. Aber merkwürdig war das schon: Trotz dieser kleinen lächerlichen Stücke hatte sie noch niemand angegriffen. Folglich mußte an Archies Ansicht doch etwas Wahres dran sein. Er ging von der