Seewölfe - Piraten der Weltmeere 439. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 439 - Burt Frederick


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      Das Schott wurde geöffnet, und blakendes Lampenlicht kroch in die Düsternis der Vorpiek. Obwohl es nur ein schwacher Lichtschein war, schloß Carrero geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er Pellew, der die mit einem Tragegriff ausgestattete Essenskiste vor ihn hinstellte. Der Aufpasser war nicht zu sehen. Er wartete offenbar ein Stückchen vom Schott entfernt und mußte gelangweilt sein, weil sich der Gefangene nun ja endgültig zur „guten Führung“ durchgerungen hatte.

      „Vielen Dank, Señor Pellew“, sagte Carrero und nahm den Napf, der einen deftigen Eintopf aus Bohnen, Speck und Dörrfleisch enthielt. Ein Segen war es, daß fast jeder an Bord Spanisch sprach, denn er war des Englischen nicht mächtig.

      Mac Pellew nickte, brummte mürrisch und setzte sich in zwei Schritten Abstand auf eine Kiste. Die Öllampe stand im offenen Schott. Vorschrift war es, daß derjenige, der das Essen brachte, den Gefangenen während der Mahlzeit beaufsichtigte. Hasard legte Wert auf solche Vorsichtsmaßnahmen. Es sollte schon Leute gegeben haben, die sich das Essen in den falschen Hals stopften und einen Erstickungsanfall vortäuschten, um sich eine Befreiungschance zu verschaffen.

      „Darf ich Sie etwas fragen, Señor Pellew?“ sagte Carrero, während er gemächlich löffelte. Er senkte seine Stimme und gab ihr einen vertraulichen Klang. Vor allem aber sollte der Kerl draußen vor dem Schott nichts mitkriegen. „Mir liegt da eine bestimmte Sache auf der Seele.“

      Der Kombüsenmann blies die Luft durch die Nase.

      „Na und? Was geht mich das an?“

      „Ich brauche jemanden, mit dem ich darüber reden kann.“

      „Wüßte nicht, daß ich ein guter Zuhörer bin.“

      „Señor Pellew“, flüsterte Carrero eindringlich, „ich habe viel Zeit gehabt zum Nachdenken. Wissen Sie, ein Mann sollte sich nicht scheuen, zuzugeben, daß er dazugelernt hat. In meinem Fall ist das so. Ich habe mich widerwärtig benommen, insbesondere dem jungen Mädchen gegenüber. Ich weiß, es war unrecht, ausgerechnet vor ihrem Vater auf so niederträchtige Weise von ihr zu reden. Diese Last muß ich mir von der Seele schaffen. Ich muß einfach kundtun, wie leid es mir tut. Verstehen Sie?“

      „Fällt mir nicht schwer“, erwiderte Mac Pellew brummend. „Aber was geht mich das an? Wenn Sie sich darüber ausfaseln wollen, dann melden Sie sich bei Sir Hasard. Er wird Ihnen bestimmt aufmerksam zuhören.“

      „Das bezweifle ich nicht. Aber ich möchte, daß meine Entschuldigung direkt an die richtige Adresse gelangt. Ich finde nicht eher Ruhe, bis ich weiß, daß das Mädchen selbst über meine Reue unterrichtet ist. Mit anderen Worten, ich möchte Araua persönlich um Verzeihung bitten.“

      „Auch das wird der Seewolf ermöglichen.“

      Carrero beugte sich noch weiter vor.

      „Señor Pellew, verstehen Sie denn nicht? Es ist mir peinlich, wenn andere davon etwas mitbekommen. Ich will mit dem Mädchen allein sprechen. Sie wissen, daß meine Gefangenschaft nicht ewig währen wird. Wenn ich mich wieder in meiner Position befinde, werde ich mich erkenntlich zeigen. Äußern Sie einen Wunsch, Señor Pellew, und ich schwöre Ihnen, daß ich ihn erfüllen werde. Natürlich muß es sich um einen Wunsch handeln, der im Bereich des mir Möglichen liegt.“ Carreros Blick nahm etwas Lauerndes an.

      Mac Pellew hatte von Anfang an begriffen, auf was der blonde Schönling hinauswollte. Es brachte nichts, einen Burschen wie Carrero einfach abblitzen zu lassen. Der würde es bei der nächsten Gelegenheit mit einem anderen versuchen. Nein, sagte sich Mac, der Hundesohn braucht einen richtigen Denkzettel.

      Deshalb tat er interessiert.

      „Ist das wirklich wahr?“ sagte er leise, mit einem scheelen Seitenblick zum offenen Schott. Er senkte seine Stimme ebenfalls zum Flüstern. „Ich wünsche mir schon lange, die verfluchte Seefahrerei an den Nagel hängen zu können. Nur fehlt mir das Geld dazu. Eine kleine Schenke, eine Herberge oder so etwas, das wäre mein Wunschtraum.“

      „Der sich jederzeit erfüllen ließe“, sagte Carrero rasch, „in Potosi oder anderswo. Sie brauchen mir nur den Gefallen zu tun, Señor Pellew. Eine Hand wäscht die andere. Schlagen Sie ein! Ein Ehrenmann wie ich ist an sein Wort gebunden.“ Er nahm den Löffel in die Linke und hielt seinem Gegenüber die Rechte hin. Die Kette, mit der Carreros Handgelenke verbunden waren, klirrte leise.

      Mac Pellew tat erfreut.

      „Und wie haben Sie sich das Ganze vorgestellt?“

      „Ganz einfach“, sagte Carrero gedämpft, „bringen Sie die kleine Araua zu mir. Sagen Sie ihr, daß ich mich entschuldigen möchte. Am besten zu einem Zeitpunkt, an dem es kein anderer merkt. Ich weiß, Sie werden das hinkriegen, Señor Pellew. Denken Sie an die eigene Schenke.“

      Mac setzte ein Grinsen auf.

      „Klar doch. Wird schon klappen, Señor Carrero. Und Sie wollen sich bei Araua natürlich wirklich nur entschuldigen, stimmt’s?“

      „Stimmt haargenau“, antwortete der Spanier und grinste zurück. „Sagte ich nicht, daß ich ein Ehrenmann bin?“

      „Ich habe es vernommen“, entgegnete Mac und dachte sich seinen Teil. Diesem Schweinehund würde er die Suppe kräftig versalzen. Und zwar auf eine Art und Weise, die der sehr ehrenwerte Ehrenmann so schnell nicht vergessen würde.

      Draußen mußte es mittlerweile dunkel geworden sein.

      Carrero folgerte es daraus, wie sich die Geräusche an Bord verändert hatten. Wie ein Tier hatte er gelernt, bestimmte Laute in Verbindung mit Tageszeiten zu bringen. Wenn zum Beispiel kaum noch Schritte zu hören waren, die von den Planken der Kuhl bis in die Unterdecksräume dröhnten, dann bedeutete das, daß sich die Kerle ins Logis begeben hatten.

      So wußte Carrero, daß oben inzwischen die Deckswache aufgezogen war. Es wurde also Nacht. Die günstigste Zeit für das Vorhaben, das der Kombüsenmann bestimmt so schnell wie möglich in die Tat umsetzen würde. Der Griesgram war wie alle anderen, die Carrero im Laufe seines Lebens schon gekauft hatte. Kerle dieser Sorte verscherbelten die sprichwörtliche eigene Großmutter, wenn sie sich dadurch einen Vorteil verschaffen konnten.

      Luis Carrero war felsenfest davon überzeugt, daß er Mac Pellew richtig einschätzte.

      So wunderte ihn überhaupt nicht, daß er irgendwann am späten Abend leise Schritte hörte, die sich jedoch zügig der Vorpiek näherten. Die Schritte endeten, tuschelnde Stimmen waren zu vernehmen, dann bewegte sich knirschend der Riegel des Schotts.

      Carrero blinzelte in gewohnter Weise gegen das Lampenlicht an und öffnete die Augen nach einer Weile, als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.

      „Araua ist bereit, Ihre Entschuldigung anzunehmen“, sagte Mac Pellew und stellte die Lampe in das offene Schott. „Aber sehen Sie zu, daß es kurz und schmerzlos geht. Es würde auffallen, wenn sie zu lange wegbleibt.“

      Carrero richtete sich auf. Er hielt die Kette dabei fest, um das Klirren zu vermeiden.

      „Mein Dank ist Ihnen sicher“, flüsterte er heiser. „Schicken Sie das Mädchen jetzt herein.“

      Mac Pellew nickte nur, schlurfte hinaus und murmelte etwas.

      Araua, die der Spanier nach wie vor für eine primitive Wilde, ein farbiges Flittchen hielt, trat ein und musterte Carrero mit scheinbar zaghaftem Gesichtsausdruck.

      „Ich danke dir, daß du gekommen bist“, sagte er. Mit einer theatralischen Geste hielt er ihr die gefesselten Hände mit nach oben gekehrten Handflächen entgegen. „Ich habe dich schmählich beschimpft, deinem Vater gegenüber. Du mußt mich hassen, seit du es gehört hast.“

      Araua schüttelte den Kopf. Ihre Schüchternheit war glaubhaft gespielt. Denn sie bemerkte – und es war ihr peinlich –, daß der Blonde mit seinen Blicken ihren Körper abtastete – ohne jegliche Zurückhaltung.

      „Mein Vater verschont mich mit solchen Dingen“, entgegnete sie leise und senkte den Kopf. „Er sagt, daß die weißen Männer manchmal


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