Die Versuchung des Elias Holl. Axel Gora

Die Versuchung des Elias Holl - Axel Gora


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der Natur, ein Wunderwerk der Geometrie und unendlicher Vielfalt: Keine gleicht der anderen! Allesamt sind es sechseckige Sterne, die Ihr, mein lieber Holl, Euren Lebtag nicht an Vielzahl und Pracht am Reißbrett zu konstruieren vermögt.« Wie er nur so etwas Kühnes behaupten könne, hatte ich ihn gefragt. Dem bloßen Auge, sähe es noch so nah und scharf, erschlösse sich nichts anderes als weißes Gefluder. Klaube man eine Handvoll davon auf, so zerrönne es einem zwischen den Fingern oder schmölze ins Nichts hinfort. Worauf er mir geantwortet hatte, er selbst könne es nicht beweisen, aber: Er wisse aus ernsten Gesprächen mit seinem Kollegen Georg Henisch und aus Briefen seiner Wissenschaftsgenossen Johannes Kepler und Thomas Harriot1 um das Mysterium der Schneeflocken. »Es mögen Wunderwerke sein, werter Professor«, hatte ich entgegnet und eingeräumt, mir stünde es nicht an, das Wissen der Gelehrten in Frage zu stellen. Doch jeden Winter erschwere das Gestöber unsereins die Arbeit. »Meinen Männern und mir«, gab ich ihm zu bedenken, »ergeht es nicht wie Euch und Euresgleichen. Ihr müsst zum Verrichten des Tagwerks nicht zwingend nach draußen. Studien, das weiß ich aus eigener Erfahrung, lassen sich bequem in der beheizten Stube betreiben.«

      »In Eurem Atelier ist der Ofen heißer geschürt als bei mir in der Bibliothek.«

      »Wohl! Und das mit Recht! Zum Ausgleich für die eisigen Baustellen. Wie will ich Großes aufs Papier bringen, wenn mir Zirkel und Feder vor Kälte aus den Fingern fallen?«

      Da stand ich wartend, sechs Mann hoch über den Köpfen der Gesellen, um mich, wenn der Besuch endlich eintreffen wollte, demonstrativ zu ihm hinunterzubegeben. Ein symbolischer Akt gewiss und vom Usus der Obrigkeit abgeschaut, doch nicht ohne Effekt. Ich fror und wartete nutzlos, anstatt mich um den Bau zu kümmern, schlimmer noch, ich sinnierte … über Schneeflocken. Wenn das Rosina wüsste. Ihr allein und sonst niemandem durfte ich die Handvoll Gedanken schuldig sein, denen ich nicht meiner Bauwerke wegen nachhing. Es war nicht so, dass ich meine Frau über die viele Arbeit vergaß; gerade jetzt, wo sie der Geburt unseres fünften Kindes entgegenfieberte, spukte sie öfter, länger und gewaltiger in meinem Kopf, als es mir die vielen Tabellen, Rechnungen und Konstruktionspläne gestatteten, die mein Hirn und Herz Tag und Nacht in Beschlag nahmen. »Macht Euch keine Sorgen um Eure Frau«, hatte mich Adelgund, die Amme, letzten Abend zu beruhigen versucht, als ich Rosina mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn tupfte, »das Kind braucht dieses Mal eben mehr Zeit.« Bereits auf gestern früh hatten wir die Niederkunft erhofft, doch Adelgund musste den ganzen Tag wie auch die Nacht bis auf das Wechseln der Kräuterumschläge und das Bereiten der Dampfbäder unverrichteter Dinge ausharren. »Heut wird’s gewiss«, hatte sie mich bestärkt, als ich mich in der Früh verabschiedete. »Ja, mit Gottes Hilfe«, hatte ich geantwortet und versucht, den Zweifel aus der Stimme zu nehmen.

      »Meister«, rief Hans das Gerüst hinauf und riss mich aus den Gedanken, »die Herrschaften zur Bauvisite sind da!«

      »Wurde auch Zeit! Neun war abgemacht, nicht viertel nach!«

      Achtsam stieg ich vom Gerüst – vor einer Stunde erst war Bartholomäus, ein junger Geselle aus dem Ravensburger Land, auf den von Schnee und Eis ummantelten Bohlen ausgerutscht und hatte sich das Kinn aufgeschlagen. »Herrgottsakrament, Drecksglump verreckts! Iberall der soichnasse Scheiß!«, hatte er in bester Schwabenmanier geflucht – so viel zur Wirksamkeit des Verbots – und die Kelle ins Eck geworfen. Barthel reichte ich einen zusätzlichen Schluck; nicht fürs Fluchen und Maulen, dafür setzte es eine Rüge, sondern weil er schon bald mit einem Verband ums Kinn wieder oben beim Mauern stand und rief: »Speis, Hieronymus! Speis a mi na, und it wenig!«

      Ich strich den Mantel glatt, nahm Haltung an und schritt auf die Unpünktlichen zu. Jeden begrüßte ich mit Handschlag, erst Marx Welser und Matthias Kager, dann Anton Garb, der naserümpfend als letzter den Bau betrat. Ihre Hände, im Gegensatz zu den meinigen mit keinerlei Schwielen versehen, waren wohlig warm. Ich hatte richtig gemutmaßt, jedoch verkniff ich mir eine Bemerkung darüber.

      In der Poliernische, einem überdachten Unterstand, zog ich den Grundriss aus dem Köcher. Ich breitete ihn, mit dem Handballen darüber streifend, auf dem Tisch aus und beschwerte die Ecken mit vier Flusskieseln, einst von Maria, eines meiner Töchterchen, von der Wertach mitgebracht. Die Arme auf das Pergament aufgestützt, begann ich meine Ausführungen.

      »Meister Holl!«

      Marx Welser fiel mir ins Wort, kaum hatte ich den ersten Satz gesprochen.

      »Ja, bitte?«

      »Das wissen wir bereits. Herr Garb wünscht lediglich eine Beschreibung der Fassade. Oder, Anton? Ich hatte dich doch richtig verstanden?«

      »Allerdings. Ist kein kleines Sümmchen, das ich hier investiere. Ich will wissen, was jetzt am End rauskommt, wo Ihr schon ein halbes Dutzend Visierungen verworfen habt.«

      »Es waren lediglich drei Verwerfungen«, korrigierte ich ihn.

      »Wollt Ihr bitte die Güte haben?«

      Natürlich sollte Garb als gewichtiger Teilhaber wissen, was ich Neues ersonnen hatte. Abermals zum Köcher gegriffen, zog ich die Visierung heraus, eine kunstvoll von Matthias aquarellierte Kreidezeichnung, und legte sie über den Grundriss.

      »Huaaatschtiiieh!«

      Garb nieste mir sabbernd wie ein räudiges Hundsvieh in meine Ausführungen. Auf das »Gesundheit!«, fast zeitgleich aus unseren Mündern, folgte kein Dank, stattdessen ein Fluchen über »die Saukälte, die verdammte!« Bauernlümmelgleich wischte er sich den Rotz in den Ärmel und fragte mich, ob ich wohl einen Schluck – »nur einen winzigen« – meines Weinbrands über habe, der da unten aus dem Korb herausluge.

      Ich schwieg. Schon beizeiten hatte ich mir angewöhnt, Garbs tumbe Provokationen nicht mehr zu parieren. Ihm den Schluck abzuschlagen, wäre ebenso despektierlich erschienen wie Garbs unverfrorene Selbsteinladung. Ich griff unter den Tisch und reichte ihm den Krug. Garb tat alles andere als ein Schlückchen. Den Krug vom Großmaul abgesetzt, sprach er: »Das ist bei diesen unchristlichen Temperaturen das einzig Wahre. Obwohl … besser noch, als sich hier den Arsch abzufrieren, wär’s, sich zwischen dem Schenkelspeck einer schönen Frau warm zu suhlen.«

      »Hörte ich eben ›einer‹ oder ›meiner‹?«, fragte Marx Welser.

      »Fürs Obergeschoss …«, erhob ich die Stimme, um dieses unsägliche Geschwätz zu unterbinden, »haben wir hohe Rechteckfenster auf Sohlbänken …«

      »Natürlich ›meiner‹, wo denkt Ihr hin? Ich bin doch kein Ehebrecher.«

      Ich hielt inne und atmete tief. Lust überkam mich, Garb abzuwatschen; der walzte fettwampig daher, schmarotzte, belästigte uns und log obendrein – ein Ehebrecher war er wohl. Anstatt einen ernsthaften Blick auf meine Arbeit zu richten, behelligte uns der arrogante Kaufmann mit seiner ungeschlachten Art. Musste ich, der Stadtwerkmeister!, mir so etwas von diesem Menschen, zugewandert und sich in die Geschlechter eingeschleimt, bieten lassen, nur weil er mir, was er wieder und wieder betonte, ab und an Arbeit verschaffte? Zudem stieß mir sauer auf, dass Marx Welser, mit Johann Jacob Remboldt zusammen oberster Stadtherr und mir stets gut geneigt, sich herabließ, auf Garbs Anmaßung noch zu reagieren.

      »Fürs


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