Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch. Hall George
DAS … ZIEL VON KIRCHE IST NICHT DER LÄRM VON KIRCHENCHÖREN
GREAT SERVICE (UM 1580–1590), WILLIAM BYRD
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Englische, protestantische Kirchenmusik
FRÜHER
1558 John Sheppard komponiert seinen Second Service, eine fünfstimmige Fassung des »vollen« Gottesdiensts (statt des üblichen Kurzgottesdiensts, der nur aus Magnificat und Nunc dimittis besteht) und Vorläufer von Byrds zehnstimmigem Great Service.
Um 1570 William Mundy komponiert seinen Abendgottesdienst In medio chori für einen Chor mit neun, an einigen Stellen sogar elf Stimmen.
SPÄTER
Um 1620 Thomas Weelkes veröffentlicht Evensong for Seven Voices, ein Great Service von bis zu zehn Stimmen.
Um 1630 Thomas Tomkins zehnstimmiger Third Service bzw. Great Service ist das großartigste Werk des Genres.
Obwohl man annimmt, dass William Byrd zumindest einen Großteil seines Lebens Katholik war, komponierte er sowohl Musik für die anglikanische Kirche als auch Motetten und Messen für die katholische Kirche. Er erlebte drei Epochen des religiösen Revisionismus in England. Unter Heinrich VIII. und Eduard VI. war das Land ab 1534 protestantisch, bis im Jahr 1553 Maria I. mit ihrem Gatten Philipp II. von Spanien den Thron bestieg und den Katholizismus wieder einführte. Als Maria I. 1558 starb, wurde das Land unter Elisabeth I. erneut protestantisch. Allerdings war Elisabeth tolerant gegenüber dem Katholizismus unter den Adeligen, solange sie loyal waren und ihn diskret praktizierten. Sie billigte Latein als Sprache für Gottesdienste an der Chapel Royal und es stand Komponisten frei, sowohl Englisch als auch Latein für liturgische Musik zu verwenden.
Die Saat des Protestantismus in England wurde von Martin Luther gestreut, dem Architekten der Reformation in Deutschland, hier beim Musizieren mit seinen Kindern dargestellt.
»Einem Menschen, der über göttliche Dinge nachdenkt, … kommen die passendsten Lösungen, ich weiß nicht wie, als kämen sie freiwillig.«
William Byrd
Unter Elisabeths Mäzenatentum wurde Byrd im Jahr 1565 Organist und Direktor der Kathedrale von Lincoln, wo er seinen Short Service, einfacher gehaltene Kompositionen für Morgengebet, Kommunion und Abendlob, schrieb, was einen Großteil der englischsprachigen Musik für die anglikanische Liturgie ausmacht. Später, als Byrd ein Gentleman der Chapel Royal war, gewährte Elisabeth ihm und Tallis ein Monopol auf die Musikproduktion in England.
Gott und Königin
Byrds Religionszugehörigkeit wurde jedoch zum Problem, als man 1557 seine Frau Julian beschuldigte, an einem Gottesdienst des Londoner Bischofs John Aylmer nicht teilgenommen zu haben. Dieser war ein starker Verfechter der Uniformitätsakte von 1559, die die anglikanische Kirche vereinheitlichen sollte. Von da an machte Byrd kein Geheimnis mehr aus seinem katholischen Glauben. Die erste Veröffentlichung seiner lateinischen geistlichen Gesänge wurde verhalten aufgenommen, möglicherweise aufgrund der katholischen Ansichten in einigen Texten. Trotz seines Katholizismus schien Byrds Loyalität gegenüber Land und Königin Vorrang vor seiner Religion gehabt zu haben. Als Dank für den Sieg der englischen Flotte über die spanische Armada im Jahr 1588 schrieb Elisabeth das Lied »Look, and Bow Down Thine Ear, O Lord«. Man nimmt an, dass sie William Byrd erwählte, es zu vertonen. Obwohl das Stück verloren ging, ist dies doch ein klares Zeichen ihrer hohen Wertschätzung ihm gegenüber.
Abschiedswerk
Im Jahr 1580 veröffentlichte Byrd den Great Service, seine letzte Arbeit für die anglikanische Kirche. Das monumentale Werk umfasst sieben Abschnitte des anglikanischen Gottesdienstes in englischer Sprache und für zwei fünfstimmige Chöre. Es ist nicht bekannt, ob Byrd seinen Great Service für einen bestimmten Chor oder Anlass schrieb, der Umfang des Stücks und die technischen Anforderungen machen es jedoch nur für die größten Chöre umsetzbar. Manche sehen es als Abschiedswerk oder letzten Akt der Reue gegenüber einer Monarchin, die stets über Byrds Katholizismus hinwegsah.
1605 wurde ein Bote, der eine Ausgabe von Byrds neu erschienener Gradualia transportierte (eine Sammlung von Messen für das katholische Kirchenjahr) festgenommen und ins Newgate-Gefängnis geworfen, während der Komponist durch Zahlen einer Geldstrafe die Inhaftierung vermeiden konnte.
William Byrd
Geboren 1540 als Sohn einer Kaufmannsfamilie in London, erwarb Byrd seine musikalische Ausbildung höchstwahrscheinlich als einer von zehn Sängerknaben an der Londoner St Paul’s Church (die gotische Vorläuferin der St Paul’s Cathedral) und sang bei katholischen Zeremonien der Chapel Royal unter Königin Maria I. Später, im Jahr 1572 unter der Herrschaft Elisabeths I., wurde er ein Gentleman der Chapel Royal, ein Posten, den er über 20 Jahre innehatte.
Obwohl Byrd viele weltliche Stücke komponierte, darunter für das Virginal, ist er vor allem für seine religiöse Musik bekannt. 1575 veröffentlichten er und Tallis einen ersten Band Cantiones sacrae (»Heilige Lieder«) mit lateinischen Motetten. Nach Tallis Tod setzte Byrd die Reihe 1589 und 1591 mit zwei Bänden eigener Cantiones fort. Er veröffentlichte 1611 sein letztes Werk, Psalmes, Songs, and Sonnets, zwölf Jahre vor seinem Tod 1623.
Weitere Hauptwerke
1589 Cantiones sacrae, Buch 1
1591 Cantiones sacrae, Buch 2
1605, 1607 Gradualia
ALL DIE WEISEN UND MADRIGALE … FLÜSTERN LEISE
O CARE, THOU WILT DESPATCH ME (1600), THOMAS WEELKES
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Madrigale
FRÜHER
1571 Thomas Whythorne veröffentlicht Songs, die erste Sammlung englischer Madrigale.
1594 Thomas Morley veröffentlicht sein First Book of Madrigals to Four Voices, die erste Sammlung, die sich nach der italienischen Definition des Stils richtet.
SPÄTER
1612 Orlando Gibbons veröffentlicht sein First Set of Madrigals and Motets, darin »The Silver Swan«, ein kurzes Madrigal, das heute zu den bekanntesten zählt.
1620–1649 Das englische Madrigal kommt zugunsten des Lautenlieds aus der Mode und verschwindet ab 1649 mit der Gründung des Englischen Commonwealth.
Im Jahr 1544, als es den Engländern nach kontinentaler Kultur gelüstete, reiste der Komponist