Seewölfe - Piraten der Weltmeere 53. Roy Palmer
um die Küste Spaniens zu erkennen.
Wenn die Karavelle vom Sturm auf den Kamm einer Woge gehievt wurde, konnten die beiden Männer durch die Gischt hindurch den grauen Landstrich erkennen, der sich vor ihnen erstreckte. Wäre das Schiff noch manövrierfähig gewesen, hätte man jetzt jubeln können, in der Hoffnung, irgendwo eine geschützte Bucht zu finden. Sie hätten sich dorthinein verholen können. Aber so, ohne Ruder, war es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.
An der Küste von Galizien brodelte und kochte es. Dort stiegen die haushohen Brandungswogen an den Klippfelsen auf, daß es aussah, als explodierten Fontänen auf dem Küstengestein. Der Wind orgelte über Land, riß Streifen von Gischt mit und hüllte alles in ein quirlendes, nebliges Grau. In den Häusern nahe der See hatten sich die Menschen gewiß in Ecken und Betten verkrochen, und wer ganz große Angst hatte, der hielt sich die Ohren zu. Irgendwo mittendrin in dem tobenden Kessel mußte La Coruna liegen – bei Sonnenschein ein zauberhaft schöner Ort.
Die „Isabella“ schoß so dicht an der Küste vorbei, daß bald die ganze Crew das Land sehen konnte.
„Satan!“ rief Smoky. „Wenn es hier Riffs gibt ...“
„Es gibt keine“, entgegnete Hasard.
„Weißt du das genau?“
„Ich hoffe es.“
„O Satan in der Hölle!“
Achtern auf dem Quarterdeck sagte Ben Brighton zu Shane und Carberry: „Wenn der Wind auf Nord dreht und auflandig wird, können wir unser letztes Gebet sprechen.“
Das Schicksal war hart, aber – als ob es des Bösen noch nicht genug wäre – das Gefürchtete trat ein, und der Leibhaftige streckte tatsächlich seine Krallen nach ihnen aus. Der Wind schralte. Er drehte, bis er nicht mehr aus Nordosten, sondern, o Verdammnis, direkt aus Norden blies.
Carberry tobte vor Wut und Verzweiflung. Er hätte seinen Zorn gern am Kolderstock ausgelassen, und sicherlich hätte er ihn mit seinen Riesenfäusten auch zu Kleinholz verarbeitet, aber dann, ganz unerwartet, kehrte der Seewolf von der Back aufs Quarterdeck zurück. War denn jetzt alles total übergeschnappt? Täuschte er, Edwin Carberry, sich, litt er an Halluzinationen wie ein Kranker – oder grinste Hasard tatsächlich?
Ja, er grinste. Er kam zu ihnen gekraucht, pitschnaß und abgekämpft, und verkündete: „An der Nordwestküste sind wir Gott sei Dank vorbei. Wir haben Kap Finisterre querab.“
Carberry boxte Shane in die Seite. Beide grölten sie vor Freude los.
„Schwein gehabt“, sagte Ben. „Mann, wie leicht hätte das ins Auge gehen können.“
„Noch sind wir aus dem Schlamassel nicht ’raus“, sagte Hasard.
Das stimmte. Der Sturm dauerte an, er gebärdete sich, als wollte er nie mehr aufhören. Aber die allgemeine Stimmung an Bord der „Isabella VII.“ stieg wieder. Mit dem untrüglichen Instinkt salzgewässerter Rauhbeine begriffen die Männer, daß das Dickste doch hinter ihnen lag. Gewiß, ihr Schiff trieb nach wie vor wie eine lahme Ente kurz vorm Absaufen, aber es gab wieder Anlaß zur Hoffnung.
Hasard suchte den Frachtraum auf. Matt Davies mühte sich damit ab, ein Talglicht zu halten und am Erlöschen zu hindern. Blacky und Batuti hielten eine lange Spiere, an der Ferris Tucker voll Ingrimm und Hingabe herumbosselte. Er hatte das Unmögliche geschafft und auf dem wild schwankenden Schiffsboden die grobe Form für ein Notruder geschaffen. Die Tampen, mit denen sich alle vier sicherten, waren eher hinderlich. Aber sie konnten nicht darauf verzichten, sie wären sonst wie Hampelmänner kreuz und quer durch den Frachtraum der Karavelle gepurzelt.
„Wäre doch gelacht, wenn wir nicht doch noch zu Pott kämen!“ rief Ferris. „Welches ist der nächste Hafen auf unserem Kurs?“
„Kurs ist gut“, meinte Matt Davies. „Irrfahrt wäre wohl der richtige Ausdruck.“
Hasard hielt sich an einem der Stützbalken fest. „Vigo, nehme ich an.“
„Dann steuern wir doch Vigo an“, schlug Ferris unverdrossen vor.
„Wenn der Sturm nachläßt, vielleicht“, sagte Hasard.
„Er muß. Willst du so bis nach Cadiz trödeln?“
„Wenn es sein muß, ja.“
„Wir saufen vorher wie die Katzen ab“, brummte Ferris Tucker.
„Seewölfe sind zäh, Ferris.“
„Aye, aye, Sir.“
Wahnsinn, dachte Hasard, als er wieder auf Deck stieg, alles ist verrückt, die gesamte Situation. Gwen ist daheim in England und erwartet im September ein Kind. Meine geliebte Frau! Aber daheim — ist das wirklich mein Zuhause? Der Bastard segelt über die Meere und hetzt seiner Vergangenheit nach, auf der Suche nach seiner Herkunft. Und was kommt dabei heraus? Wäre es nicht doch besser, ein „halber“ Killigrew zu sein?
In Belfast hatte er sich ausgiebig mit der Kogge „Wappen von Wismar“ befaßt. Sie sollte auf der Werft von Rory O’Connor abgewrackt werden und befand sich schon in erbärmlichem Zustand. Nachts war Hasard jedoch eingedrungen und hatte in einem Geheimschapp der Kapitänskammer Papiere gefunden. Die waren allerdings auch schon halb verfault gewesen, und lediglich eins war als eine Art Frachtbrief zu entziffern gewesen.
Das Schriftstück trug das Datum des 15. Oktober 1556 und im Kopf die Adresse eines Handelskontors in Cadiz, dessen Besitzer als Romeronde Zumarraga den Frachtbrief abgezeichnet hatte. Das Dokument selbst war ein Zertifikat über die Lieferung von fünfzig Fässern spanischen Weines. Lady Anne Killigrew, die während der Abwesenheit ihres Tyrannen Sir John die „Wappen von Wismar“ im Hafen von Falmouth überfallen hatte, hatte diesen Wein ja laut Aussage von Big Old Shane wirklich entdeckt und von ihrem Gesinde abtransportieren lassen. Und in einer Hängematte des Frachtraumes der Kogge hatte sie den schreienden und strampelnden „Bastard“ entdeckt. Auch ihn hatte sie mitgenommen. Er war der einzige Überlebende des Schiffes. Grausame, geliebte Lady Anne!
Ferris Tucker hatte an Bord der Kogge in Belfast auch noch etwas entdeckt, und zwar tief eingebrannt im Kielschwein die Zeichen „St.-St.-Wismar“. Sie waren unzweifelhaft als Werftzeichen des Erbauers zu deuten. Um wen es sich handelte, hatte der Seewolf aber nicht herausfinden können.
Mit diesem Wissen sozusagen vorbelastet war er nun unterwegs nach Cadiz. Er wollte Zumarraga finden und befragen.
Hasard wurde in seinen Grübeleien unterbrochen, als Matt Davies bei ihm erschien und meldete: „Das Notruder ist fertig. Wenn du es jetzt mal begutachten willst ...“
„Sofort“, erwiderte Hasard. Er kehrte mit Matt, dem Mann mit der Eisenhakenprothese, in den Frachtraum zurück und inspizierte Ferris Tuckers, Werk. Im Grunde war es nicht mehr als ein besonders langer, kräftiger Riemen aus Eichenholz.
„Wir können das Ding seitlich an Backbord oder Steuerbord achtern anlaschen“, erklärte Ferris. „Ich schlage vor, wir bedienen es mit drei, Männern.“
„In Ordnung“, sagte Hasard. „Auf was warten wir noch?“
„Hievt an, Jungs!“ rief der rothaarige Riese. „Wir befördern unser Prachtstück von einem Ruder nach oben und sehen, ob es uns auch zerbricht.“
„Mal doch nicht den Teufel an die Wand“, gab Blacky zurück. „Man soll es nie berufen.“
Batuti grinste breit. „Du abergläubisch?“
Blacky grinste auch. „Ach wo, keine Spur.“
Kurze Zeit darauf war die gesamte Crew an Oberdeck versammelt, um das Notruder zu befestigen. Hasard hielt die Nase in den Wind und stellte fest, daß der Sturm im Abklingen begriffen war.
Etwas später steuerten sie mit Ach und Krach Vigo an, das an der Südseite der Mündung des Rio de Vigo lag. Der Sturm ließ nach, aber der Wind fiel immer noch so hart ein, daß Hasard nur die Fock zu setzen wagte – und selbst das war fast noch zuviel. Die Karavelle fuhr Lateinersegel an langen