Seewölfe - Piraten der Weltmeere 374. Roy Palmer
Tür, stemmte sie gegen den jaulenden Nordostwind auf und schlüpfte ins Freie. Sein Vater erhob sich mit leicht betroffener Miene, griff dann aber vorsichtshalber zu seinen Waffen und folgte ihm.
Hector, Ubaldo, Saint-Laurent und Mariana hatten den Dschungel der Insel durchquert und sahen die Hütte sofort, als sich der grüne Vorhang wieder vor ihnen öffnete. Sie stand unmittelbar am Wasser, unter hohen Palmen, die sich im Sturmwind wie Grashalme bogen. Weiter erblickten die vier ein Boot, das sich hüpfend an einem Steg auf und ab bewegte, und ein paar Fischernetze, die an Gerüsten aufgespannt waren.
„He!“ brüllte Ubaldo. „So ein Glück! Das Boot holen wir uns!“
„Sei still!“ fuhr Hector ihn an. „Wir wissen nicht, wie viele Leute in der Hütte sind!“
„Das ist doch egal“, sagte Mariana. Sie hatte sich inzwischen erstaunlich schnell erholt und ihre Fassung wiedererlangt. Sie konnte jetzt kühl überlegen und wußte, was sie zu tun hatten. Sie hatte nur den einen Gedanken: Das Silber. „Wenn uns jemand Schwierigkeiten bereitet, schießt ihr ihn nieder.“
Saint-Laurent grinste. „Hast du schon mal mit nassem Pulver geschossen?“
„Ich habe noch nie eine Pistole oder eine Muskete benutzt“, sagte sie.
„Deshalb kannst du’s auch nicht wissen. Nach dem unfreiwilligen Bad sind unsere Pistolen untauglich, wir müssen sie erst wieder an der Sonne trocknen.“
„Ihr habt aber noch eure Säbel und Messer“, sagte sie.
„Achtung!“ stieß Hector hervor und zog sich unwillkürlich wieder ein Stück in den Busch zurück. „Da ist jemand!“
Die drei anderen duckten sich. Zusammen beobachteten sie aus dem Dickicht, wie Luis die Hütte verließ und ihnen ein Stück entgegenging.
„Vielleicht hat er was gehört, als du rumgebrüllt hast“, zischte Hector Ubaldo zu. „Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Wir schnappen ihn uns und können ihn gut gebrauchen – als Lotsen.“
„Wenn er uns sieht, ergreift er die Flucht“, sagte Ubaldo.
„Laßt mich das erledigen“, sagte Mariana.
Ohne eine Äußerung der drei Kerle abzuwarten, verließ sie das Gestrüpp und ging im wirbelnden Sand auf Luis zu. Es hatte aufgehört zu regnen, aber sie war immer noch pudelnaß. Luis blieb stehen. Er konnte nicht anders, er mußte die fremde Frau in ihrer provozierenden Nacktheit ansehen. Fast schämte er sich dessen, als sie ein paar Schritte von ihm entfernt stehenblieb und die Hand nach ihm ausstreckte.
„Hilf mir!“ stieß sie hervor. „Ich bin am Ende.“ Dann brach sie zusammen.
Entsetzt stürzte er zu ihr und beugte sich über sie. In diesem Augenblick drehte sie sich auf den Rücken, griff mit beiden Händen zu und zog ihn zu sich heran. Sie preßte ihn an sich und raunte ihm ins Ohr: „Junge, du bist hübsch. Hast du überhaupt schon mal ein Mädchen gehabt?“
„Das genügt“, sagte Hector. Er hatte sich mit den beiden anderen angepirscht und sie umringten Mariana und den Jungen jetzt.
Mariana lachte rauh. Luis sprang auf. Hector packte ihn, zerrte ihn zu sich heran und hielt ihm das Messer an die Kehle, das er gezückt hatte.
„Vorsicht“, sagte er. „Wenn du dich wehrst, krepierst du, du Kröte. Wer bist du?“
Luis schwieg. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt, er warf haßerfüllte Blicke auf die Frau und die drei Kerle. Mein Gott, dachte er, das sind Piraten.
Pedro Murena hatte die Hütte ebenfalls verlassen und eilte auf die Gruppe zu. In den Händen hielt er eine Muskete, in seinem Gurt steckten eine Pistole und ein Cutlass.
„Luis!“ schrie er. „Luis!“
Die Kerle lachten.
„Aha, er heißt also Luis“, sagte Hector. „Und wer ist das?“ Er trat mit dem Jungen vor Pedro hin und brüllte: „Wer bist du?“
„Pedro Murena.“ Fassungslos blickte Pedro auf die Szene, dann hob er die Muskete. „Laßt meinen Sohn los!“
Hector schüttelte den Kopf, die anderen lachten wieder. „Ich steche dein Söhnchen ab, wenn du feuerst, du Esel! Wenn du trotzdem schießt, hast du nur zwei Kugeln und kannst nur zwei von uns erledigen! Die beiden anderen schneiden dir den Kopf ab!“
„Was wollt ihr?“ fragte Pedro erschüttert.
„Nicht viel, nur dein Boot.“
„Es ist Wahnsinn, bei dieser See auszulaufen.“
„Gehen wir erst mal in die Hütte“, sagte Hector. „Da unterhalten wir uns weiter. Wir brauchen nämlich jemanden, der sich in dieser Gegend auskennt. Ich war schon mal hier, aber das genügt nicht.“
„Richtig“, sagte Ubaldo. Er wandte sich an Pedro. „Los, Amigo, her mit den Waffen. Oder willst du, daß Hector dein Söhnchen mit dem Messer kitzelt?“
„Vater!“ schrie Luis. „Kümmere dich nicht um mich! Sie töten uns sowieso!“
Hector faßte ihm mit einer Hand an den Hals und drückte ihn langsam zusammen. Pedro ließ die Waffen fallen, hob beschwörend beide Hände und rief: „Ich flehe euch an, laßt ihn in Ruhe! Wir ergeben uns!“
Hector lockerte seinen Griff und stieß den Jungen vorwärts. „Das hört sich schon besser an. Habt ihr auch Wein und Rum in eurer Bude?“
„Wein“, erwiderte Pedro. „Einen guten Tropfen sogar.“
Ubaldo hob die Muskete, die Pistole und den Cutlass vom Strand auf.
Saint-Laurent nickte anerkennend und hieb Pedro auf die Schulter. „Gut so, Compadre! Du scheinst vernünftig zu sein! Mit dir kann man reden!“
„Ich hoffe, wir können uns einigen“, sagte Pedro.
Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Was immer auch die Absichten dieser Halunken waren, eins war sicher: Sobald die Kerle sie nicht mehr brauchten, wurden sie getötet. Auf Rücksicht seitens der Frau brauchten sie auch nicht zu hoffen. Sie schien schlimmer zu sein als die Kerle, eine hartgesottene, durchtriebene Hafenhure, wie Pedro auf den ersten Blick erkannte.
Sie erreichten die Hütte.
„Ist hier sonst noch jemand?“ fragte Hector drohend.
Pedro verneinte, und Hector riß die Tür auf. Er stieß Luis ins Innere, folgte ihm und sah sich aufmerksam überall um. Dann schrie er: „Bueno! Ihr könnt reinkommen!“
Ubaldo dirigierte Pedro vor sich her, Saint-Laurent ließ Mariana an sich vorbei und trat als letzter ein. Eine Weile standen sie sich in der Hütte gegenüber, dann ließ Hector sich auf eine hölzerne Sitzbank sinken und hielt den Jungen neben sich fest.
„Her jetzt mit dem Wein“, befahl er. „Ich hoffe, er taugt wirklich was.“
Pedro füllte den Tonkrug am Faß, stellte ihn auf den Tisch und holte Becher. Er servierte den Weißwein, und Hector stürzte den Inhalt seines Bechers sofort die Kehle hinunter.
„Frisch!“ rief er. „Aber nicht stark genug! Hast du wirklich nichts Besseres da, Mann?“
„Leider nicht“, erwiderte Pedro.
„Schlecht“, sagte Ubaldo. „Wir müssen wohl das ganze Faß aussaufen, um wenigstens ein bißchen besoffen zu werden.“
„Wir behalten einen klaren Kopf“, sagte Hector. „Herhören! Sobald der Wind etwas nachläßt, laufen wir mit dem Boot aus. Ich habe es mir schon angesehen, es scheint groß genug zu sein. Du“, er richtete seinen Zeigefinger auf Pedro, „begleitest uns, und dein Söhnchen auch!“
„Wohin?“ fragte Pedro.
„Wir sind mit unserer Schaluppe auf eine verfluchte Korallenbank gebrummt“, entgegnete Hector. „Jetzt geht es darum, die Ladung