Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108. Fred McMason
zuschlug wie ein killendes Großsegel.
Juan brüllte, fluchte und tobte, stieß den Besoffenen an Deck und schleifte ihn zur Vorpiek. Ein schneller Blick überzeugte ihn davon, daß Siri-Tong nicht auf dem Achterkastell war. Vielleicht war sie gerade in ihre Kammer gegangen.
Er prügelte Buveur vor sich her, der immer wieder zusammenbrach, von den groben Fäusten jedoch gleich wieder hochgerissen wurde, bis ihm Hören und Sehen verging.
In der Vorpiek warf er ihn auf die Gräting, nahm ein dünnes Tau und band ihm Hände und Beine fest, nachdem er ihn noch einmal windelweich geklopft hatte.
„Dir geb ich’s von wegen vergammelter Tintenfisch!“ schrie er. „Du wirst jetzt vergammeln, du Säufer. Hier kannst du soviel Bilgenwasser saufen, wie du willst. Das Zeug ist besonders stark destilliert mit Ratten, Öl und Seewasser. So – und so – und so!“ brüllte er und zog ein Tauende mehrmals über Buveurs Hintern.
Dann sprang er zurück, denn als das Schiff in ein Wellental tauchte, sauste die hinten in der Piek angestaute Dreckbrühe wie eine Woge zurück und überschwemmte den Franzosen mit einem riesigen, übelriechenden Schwall. Die nächste Dünung ließ das Bilgenwasser wieder achteraus laufen, und so hatte der Franzose genug zu tun, um ab und zu mal nach Luft zu schnappen. Dabei blieb es natürlich nicht aus, daß der Franzose alle Augenblicke einen kräftigen Schluck nahm, aufstieß und das Bilgenwasser noch mit seinem Rum anreicherte, der ihm wieder hochstieg.
Er würgte und spuckte, verfluchte den Kreolen, weil der ihn aus lauter Bosheit mit dem Bauch nach unten an die Gräting gebunden hatte, und bedachte ihn mit den übelsten Ausdrücken.
„Du verfluchter Rattenpisser!“ schrie er, spie einen Schluck Brühe nach unten und fluchte weiter, sobald er Luft kriegte. „Die verlauste Hure von einer Mutter, die dich geworfen hat, soll die Pest kriegen. Sie war die übelste Hafenhure von ganz Tortuga, und dich Hurenbock haben vierhundert besoffene Seeleute gezeugt. Binde mich los, verdammt!“
Der Kreole schluckte die Beleidigungen wortlos. Dafür aber nahm er wieder den Tampen zur Hand und schlug in blinder Wut zu, bis Buveurs wüste Flüche in ein Wimmern übergingen.
Dann donnerte er das Schott zu und stieg an Deck.
Dort traf er auf den Boston-Mann, einen karibischen Piraten mit kühn geschnittenem Gesicht, an dessen linkem Ohr ein goldener, großer Ring baumelte.
„Wo hast du ihn gelassen?“ fragte der schweigsame Boston-Mann.
„In die Vorpiek gesperrt, er war wieder mal voll.“
„Gut, laß ihn eine Weile schmoren, und behellige die Korsarin nicht mit dem Mist. Die Stimmung an Bord ist nicht gerade die beste, seit wir die Insel verpaßt haben.“
„Seit wann hast du mir was vorzuschreiben?“ fing Juan an zu stänkern. „Noch bin ich der Bootsmann!“
Der Boston-Mann, ein Pirat wie aus dem Bilderbuch, lächelte knapp.
„Juan“, erwiderte er bedächtig, „reiß dein Maul nicht so weit auf, sonst muß ich es dir stopfen. Wenn dir etwas nicht paßt, kannst du es mir ruhig sagen!“
Das war eine der längsten Reden, die der schweigsame Boston-Mann gehalten hatte, aber sie verfehlte ihre Wirkung auf den Bootsmann in keiner Weise. Juan wußte genau, daß Siri-Tong den Boston-Mann schätzte, weil er ehrlich, aufrichtig und gradlinig war. Wenn sie etwas zu besprechen hatte, war der Boston-Mann ständig dabei, denn sie schätzte seine ruhige und besonnene Art. Da konnte er selbst zehnmal der Bootsmann sein, es änderte nichts. Dann hatte der Boston-Mann noch eine Eigenschaft: Er war unheimlich schnell und wendig, hart und kühl. Juan traute sich nicht, den Kerl auch nur zu reizen, denn dabei hätte er den kürzeren gezogen, und eine eingeschlagene Visage würde sein Ansehen bei den andern mächtig untergraben.
„Eines Tages, Boston-Mann“, sagte er ruhig, „eines Tages ergibt sich mal eine Gelegenheit, bei der ich es dir heimzahlen werde.“
Der Boston-Mann lächelte mit schmalen Lippen. „Dann vergiß nicht, mich zu töten, sonst bist du dran!“
„Du willst mich nur herausfordern, aber Rache soll man kalt genießen“, sagte Juan.
„Dann genieße sie und erstick nicht daran!“
Siri-Tong erschien jetzt auf dem Achterkastell. Ihr Gesicht war ernst und verschlossen. Ihr Blick wanderte kühl über das ganze Schiff. Sie prüfte den Stand der Segel und warf schließlich einen Blick auf den Kompaß. Danach blickte sie aus schmalen Augen direkt in die Sonne.
„Hoffentlich stimmt unser Kurs, Tammy“, sagte sie zu dem Rudergänger, einem stiernackigen Kerl mit einer Hasenscharte, die sein ganzes Gesicht verunstaltete. Tammy war ebenfalls Kreole, schnell mit dem Messer und wendig. Die Spanier suchten ihn, weil er einen Alkalden umgebracht hatte. Damals war er nur ganz knapp dem Hängen entgangen.
„Ich glaube schon, Madam“, erwiderte er. „Ich steuere den Kurs, den Sie befohlen haben.“
„Der muß nicht unbedingt richtig sein“, sagte die Korsarin knapp.
Sie war in leicht gereizter Stimmung. Jeder sah es, spürte es und jeder ging ihr aus dem Weg, verrichtete seine Arbeit, hielt hier und da mal ein Schwätzchen mit einem anderen und bemühte sich darum, alles richtig zu tun.
Sie fragte nicht nach Mißjöh Buveur, von dem sie annahm, daß er wieder mal irgendwo besoffen herumlag. Es interessierte sie nicht. Sollten die anderen Kerle mit ihm tun, was sie wollten, für solche Kleinigkeiten hatte sie jetzt nichts übrig.
Ihre Sorge galt dem Schiff und dem Kurs, den sie steuerten. Sicher, „Eiliger Drache über den Wassern“ lief prächtig dahin, aber er segelte über die Teufelssee, ein dunkles Wasser, ein unglaublich tiefer Abgrund, der nicht auslotbar war. Diese Tiefe war es vermutlich, die die Navigation beeinflußte, den Kompaß verrückt spielen ließ und sie aus dem Kurs brachte.
Siri-Tong ahnte zwar, daß sie die Insel verpaßt hatte, auf der sie Hasard und seine Crew treffen wollte, aber sie war sich ihrer Sache immer noch nicht ganz sicher. Sie hoffte, daß der Ausguck jeden Augenblick Land melden würde. Dann erst hatten sie einen Anhaltspunkt und waren in der Lage, sich zu orientieren.
Der Blick aus ihren mandelförmigen Augen wanderte weiter in die Wasserwüste hinaus, die sie von allen Seiten umgab. Diese Wasserwüste war trügerisch wie kein anderes Meer. Wegen der entsetzlich großen Tiefe gab es hier kalte und warme Meeresströmungen, die zusammenflossen, unterseeische Wirbel erzeugten und starke Abdriften verursachten, die Schiffe sehr weit aus ihrem Kurs warfen. Viele waren spurlos verschwunden – Opfer des geheimnisvollen Meeres und seiner unbekannten Strömungen.
So jedenfalls nahm sie das an, und sie wußte es von anderen, die ähnliche Vorfälle berichtet hatten.
Wieder klopfte sie ungeduldig gegen das Kompaßgehäuse, bis der Wikinger sie stirnrunzelnd musterte.
„Der Kompaß geht falsch, Thorfin“, sagte sie bestimmt. „Ich beobachte ihn jetzt seit zwei Tagen, und er zeigt immer stur nach Norden, ganz genau nach Norden.“
Tammy, der das Schiff steuerte, sah die Korsarin an, dann den Wikinger. Endlich räusperte er sich mehrmals, bis es Siri-Tong auffiel und sie ihn scharf ansah.
„Wolltest du etwas sagen?“ fragte sie ungeduldig.
„Äh, Madam, ich wollte nur sagen, äh – ein Kompaß zeigt immer genau nach Norden, Madam!“
Sie maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick.
„Dann sieh nur zu, daß du nicht in die Hölle segelst, wenn ein Kompaß immer nach Norden zeigt. Er weicht leicht von Norden ab, merk dir das endlich. Das war schon den Portugiesen bekannt, als sie die Karten zeichneten.“
„Das – das wußte ich nicht, Madam“, sagte Tammy schluckend.
„Dann weißt du es jetzt.“
Thorfin kratzte mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn. Sein Blick war düster auf den Kompaß gerichtet.
„Nördlich