Seewölfe - Piraten der Weltmeere 138. Roy Palmer
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-462-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Schwarze Wolken ballten sich am Nachmittag erschreckend rasch über den endlos wirkenden Weiten des Atlantiks zusammen. Der böige Wind aus Westen drückte sie auf die Meerenge von Gibraltar zu und schien die bizarren Giganten mit aller Macht hineinpressen zu wollen in den „Canal estrecho“, der Spanien von Nordafrika und Europa vom Schwarzen Kontinent trennte.
Der Seewolf stand ganz vorn auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“. Der Wind hatte seine schwarzen Haare zerzaust, und er mußte sich mit beiden Händen an der Schmuckbalustrade festhalten, um auf dem schräg nach Steuerbord abfallenden Deck nicht die Balance zu verlieren.
Seine Männer sicherten sich ebenfalls. Ben Brighton und Ferris Tukker griffen nach der Five-Rail, der Nagelbank, Old O’Flynn und Big Old Shane schoben ihre Arme zwischen die Webeleinen der Besanwanten auf der Luvseite und lehnten sich mit dem Rücken gegen das Backbordschanzkleid.
Aus dem Ruderhaus hörte man Pete Ballie fluchen, und auf der Kuhl tobte Edwin Carberry, der Profos, herum. Die Crew versuchte, die Brassen und Schoten noch dichter zu holen, aber weder guter Wille noch seemännisches Können fruchteten etwas. Es war unmöglich.
„Sir!“ schrie Pete Ballie. „Wir laufen immer weiter aus dem Kurs!“
„Der Teufel soll diesen Scheiß-Westwind holen!“ brüllte Carberry. „Er drückt uns in die Straße hinein, verdammt und zugenäht!“
„Und wir kriegen hübsch was auf die Mütze!“ schrie Old Donegal Daniel O’Flynn. „Die See tut ihren Rachen auf und will uns alle verschlingen.“
Shane warf ihm einen wilden Blick zu. „Sie wird dich schlucken und verdauen, wenn du wieder mit deinen dämlichen Hellsehereien anfängst, Donegal.“
„Hör mal, willst du bestreiten, daß ich recht habe?“ Der Alte begegnete dem Blick des graubärtigen Riesen mit kampflustiger Miene. „Du Barsch, ich wette mein Holzbein gegen deine Stinkstiefel, daß wir mächtigen Ärger kriegen – und daß wir es nicht mehr schaffen, bis in den Golf von Cadiz ’raufzusegeln.“
„Geschweige denn, Cabo de Sao Vicente spätestens übermorgen zu runden“, sagte Ferris Tucker im zunehmenden Heulen des Windes von der Five-Rail her.
„Was?“ Shanes Augenbrauen hatten sich dicht zusammengezogen, seine Stirn schien düster umwölkt zu sein – fast so finster wie der Himmel im Westen. „Du auch, Ferris? Hast du auch die Hosen voll?“
„Das hat doch damit nichts zu tun!“ rief der rothaarige Schiffszimmermann erbost zurück. „Ich spreche bloß von den Tatsachen. So schnell, wie wir gedacht haben, kommen wir um Spanien und Portugal nicht herum.“
„Dabei hast du selbst so große Töne gespuckt, daß wir mit einer generalüberholten ‚Isabella‘ im Eiltempo nach England rauschen würden. Daß die Lady wieder voll manövrierfähig sei und keine halbe Stunde mehr brauche, um von einem Bug auf den anderen zu gehen.“
„Das fällt hier aber kaum ins Gewicht.“
„Du bist mir ein schöner Klamphauer, Ferris!“
„Und weißt du, was du bist, Shane?“
„Hört doch auf!“ rief jetzt Ben Brighton. „Mit eurer Zankerei ändert ihr auch nichts. Wenn der Wind nicht wieder etwas nach Süden dreht, sind wir dazu gezwungen, uns unserem Schicksal zu fügen.“
„Du bist also der gleichen Meinung“, grollte der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle. „Was seid ihr bloß für ein Haufen …“
„Wir müssen in den sauren Apfel beißen und durch die Straße von Gibraltar segeln“, sagte Ferris Tucker. „Wir suchen uns irgendwo eine geschützte Bucht, falls der Sturm uns zu arg zusetzt, und dort warten wir, bis das Schlimmste vorbei ist.“
„Die Meerenge ist verflucht“, stieß der alte O’Flynn mit seltsam verzerrter Miene aus. Fast verdrehte er auch noch die Augen. „Wir haben dort schon ein paarmal größten Verdruß gekriegt – und auch diesmal wird es nicht anders sein. Hoffentlich geht keiner von uns über Bord.“
„Hör auf!“ brüllte Shane ihn an. „Ich sage, wir müssen kreuzen, wie die Besessenen kreuzen, um weiter auf den Atlantik ’rauszukommen. Dann können wir den Sturm immer noch abreiten, bleiben aber wenigstens auf dem Ozean.“
„Unmöglich!“ rief Ben Brighton.
„Wir sollten es wenigstens versuchen“, konterte Shane.
Old Donegal grinste wie der Teufel höchstpersönlich. „Da sieht man, daß du von der Seefahrt keine Ahnung hast. Ich hab’s ja schon immer gesagt, es wäre besser gewesen, wenn wir dich krummbeinigen Eisenbieger daheim in England gelassen hätten. Mann o Mann, was habe ich bloß verbrochen, daß ich so was wie dich dauernd in meiner Nähe ertragen muß?“
Shane rückte drohend auf den Alten los und traf echte Anstalten, ihm den Mund zu stopfen. Aber in diesem Augenblick drehte sich der Seewolf zu den vier Männern um. Bislang hatte er den Stand der Segel geprüft, die Bestrebungen seiner Crew verfolgt, das Schiff hoch am Wind zu halten, und nach Westen gespäht.
„Shane“, sagte er jetzt. „Ben, Ferris und Donegal haben tatsächlich recht. Kreuzen hat keinen Sinn. Der Wind ist zu stark geworden. Er würde uns in jedem Fall nur zurückwerfen.“
„Wir müssen also so oder so in die Meerenge hinein?“
„Ja.“
„Das haut dem Faß den Boden aus“, wetterte Shane. „Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig, Sir.“ Damit hatte auch er zum Ausdruck gebracht, daß er die Gegebenheiten hinnahm. Vor allen Dingen: Hasards Worte hatten Gewicht und waren unumstößliches Gesetz an Bord der „Isabella“. Wenn der Kapitän eine Feststellung traf, vergaß auch ein Shane jeden Einwand.
Die „Isabella“ krängte schwer nach Steuerbord und fiel Strich um Strich ab. Der Wind pfiff und heulte in den Wanten und Pardunen, die schwarzen Wolken schlossen sich wie ein Vorhang über den Köpfen der Männer und deckten auch das letzte Stück blauen Himmels zu. Kabbelig war die See geworden. Von Westen rollten jetzt immer größere Wogen heran und türmten sich zu Brechern auf.
„Pete!“ schrie Hasard. „Wir fallen ab, bis wir platt vorm Wind liegen!“
„Abfallen – aye, aye, Sir!“ tönte es aus dem Ruderhaus zurück.
„Ed!“