Seewölfe - Piraten der Weltmeere 300. Fred McMason
jetzt im Visier hatten, ließen diese Bemerkungen kalt. Zusammen mit dem Mädchen, das Linda Iving hieß und spontanen Anklang bei den Seewölfen gefunden hatte, kam er herüber und füllte zwei Humpen mit Bier. Old O’Flynn humpelte hinterher, aber auf seinem Granitgesicht lag jetzt wieder jener düstere Schatten, der. nichts Gutes verhieß. So ein Gesicht kriegte er immer, wenn er merkte, daß sie über ihn lästerten.
„Aus euch Kanalratten spricht doch nur der blanke Neid“, verkündete er. „Laß dich nur nicht so von diesen Kerlen begaffen, mein Engelchen“, sagte er zu der Blonden, die leicht errötete.
„Ich kenne sie doch alle“,sagte Linda leise. „Sie haben mich noch nie begafft, Mister O’Flynn.“
„Aber sie könnten dich begaffen“, sagte der Alte. „Diese Kerle sind zu allem fähig, mein Kind. Der einzig Vernünftige ist noch mein Sohn Dan. Da hast du dir genau den richtigen Mann ausgesucht.“
Wieder erklang Gelächter, weil Old O’Flynn sich so ereiferte.
Das Mädchen lächelte verlegen und hielt sich etwas scheu zurück. Dan gab ihr einen Becher Rotwein und trank dann den anderen zu.
Auch der Wikinger füllte seinen Humpen.
„Auf das neue Schiff!“ rief er mit Donnerstimme.
„Auf das neue Schiff. Ar-we-nack!“ brüllten sie begeistert.
So langsam tauten sie alle auf, als die ersten paar Humpen geleert waren. Dann erschien auch Nathaniel Plymson in Begleitung seines Schankknechtes, dem groben Johann, wie ihn die Arwenacks nannten. Der etwas bescheuerte Schankknecht rollte mit den Füßen ein weiteres, kleineres Faß über den Boden.
Das Schlitzohr Plymson räusperte sich lautstark. Er wurde von den Seewölfen wie ein Wundertier angestarrt, denn so feierlich hatte ihn noch niemand gesehen.
„Mann, Plymmie, wie siehst du denn aus!“ rief der Profos. „Willst du anschließend noch auf ’ne Beerdigung?“
Der feiste Plymson schwitzte unter seiner Perücke, trat von einem Bein aufs andere und knetete nervös seine dicken Wurstfinger.
„Ich hab mich wegen euch und der äh – Taufe hier so angezogen“, murmelte er. „Es sind die besten Sachen, die ich habe.“
„Und die Perücke ist auch neu?“ fragte der Profos erstaunt. „Die wievielte ist es denn?“
„Ich weiß nicht genau, Mister Profos, vielleicht die zehnte. Ihr nehmt sie mir ja immer ab, wenn ihr in meine ...“
In diesem Augenblick schloß Plymson entsetzt die Augen und duckte sich, denn der Aracanga-Papagei Sir John segelte von der neuen „Isabella“ herüber. Meist ließ er nach so einem aufregenden Ereignis etwas fallen, und diesmal geschah es wohl nur der vielen Leute wegen, die ihn beunruhigten. Daß es ausgerechnet Plymson erwischte, hatte der karmesinrote Papagei kaum beabsichtigt, aber es erwischte Plymson gerade in dem Moment, als er schreckerstarrt die Schweinsäuglein zukniff.
Ein leises „Platsch“ war zu hören, und auf Plymsons Perücke erschien ein heller größerer Fleck. Zu der Schande kam auch noch der Spott, ebenfalls unwissend vom Papagei nachgeplappert, wie er es oftmals an Bord gehört hatte.
„Anbrassen, ihr Affenärsche!“ kreischte er grell. „Rohr eins – Feuer!“
„... und ein sagenhafter Volltreffer“, fügte Carberry trocken hinzu.
„Genau auf Plymsons Pulverkammer“, sagte Smoky, „da ist es ja bekanntlich immer sehr trocken.“
Zum Glück hörte Plymson das nicht. Er wollte nach dem weißen Fleck greifen, unterließ es dann aber doch, weil er damit nur noch mehr Schaden angerichtet hätte. So verließ er sich auf den frischen Wind, der das Gebilde schon bald trocknen würde. Dennoch war sein Gesicht etwas beleidigt verzogen.
„Ich habe ein Faß Branntwein gestiftet“, sagte er kläglich. „Nur für euch, damit ihr ordentlich feiern könnt. Und was ist euer Dank? Da segelt dieser abgerichtete Höllenbastard heran und kackt mir auf die Birne.“
Carberry explodierte fast vor unterdrücktem Lachen, doch er beherrschte sich mühsam.
„Dafür kriegt er auch keinen einzigen Schluck ab, Plymmie“, versicherte Ed treuherzig. „Aber wenn du weiterhin so freigiebig bist, dann werden wir dich zum Ehrenmannschaftsmitglied der neuen ‚Isabella‘ ernennen.“
Plymson vergaß seinen Kummer und haute den Zapfen ins Faß. Und weil er sich für einen wichtigen Mann in Plymouth hielt, fühlte er sich verpflichtet auch eine Rede zu halten.
Diese Rede hatte es in sich, denn der dicke Plymson verzapfte einen Mist, wie ihn die Seewölfe noch nie gehört hatten.
Damit nahm das Fest seinen Anfang, und ein Sauftag begann, der wieder einmal in die Geschichte von Plymouth einging.
Es schien ein recht heiterer Tag zu werden, ein Glückstag, wie es so schön heißt.
Doch das Verhängnis nahte schon, es wußte nur noch niemand, und deshalb wurde ausgelassen weiter gefeiert.
2.
Noch am selben kühlen Dezembertag segelte ein Geschwader der britischen Navy unter dem Kommando des Marquess Henry of Battingham, in den Hafen von Plymouth.
Das Geschwader bestand aus vier spanischen Beutegaleonen, mehr Beutegalönchen, denn die Schiffe waren ziemlich klein, die man den Spaniern bei der Armada-Schlacht abgenommen hatte.
Dieser Verband hatte, von London kommend, die Aufgabe erhalten, im Kanal ein wenig spionierend herumzusegeln. Er sollte die Küste Frankreichs und auch die der Holländer im Auge behalten. Die weitere Order führte den Verband zwecks der gleichen Aufgabe bis nach Spanien.
Eine vaterländische Aufgabe also, bei der Plymouth lediglich als Zwischenstation diente, um hier vielleicht fehlendes Personal zu requirieren.
Der fast armselig anmutende Verband hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler, und das war der Marquess Henry, eitler und übereifriger Sohn des alten Duke of Battingham. Marquess Henry, der sich diese Position als „Geschwaderführer“ durch Protektion und viel Gold erkauft hatte, fehlte nur noch ein letztes Quentchen zu seinem Glück. Den Titel eines Marquess führte er bereits, aber der Titel eines Duke war erblich, und so wartete Marquess Henry recht ungeduldig auf das Ableben seines alten Herrn, damit ihm als ältestem Sproß derer von Battingham endlich der machtverleihende Titel eines Duke zufiel.
Zu Henrys Leidwesen verblich der alte Herr jedoch nicht, im Gegenteil: Er erfreute sich allerbester Gesundheit und war auf seinen überehrgeizigen Ableger nicht sonderlich gut zu sprechen.
Jetzt stand dieser wichtigtuerische, eitle und aufgeblasene Schnösel auf dem Achterdeck der noch am besten herausgeputzten Galeone und sah recht übelwollend auf die Pieranlage, wo niemand zur Begrüßung erschienen war. Daß keiner von seinem stolzen Geschwader Kenntnis nahm, wurmte den Marquess mächtig.
„Ist dieses Kaff hier ausgestorben?“ fragte er ungnädig seinen Ersten Offizier. „Warum erscheint niemand, wenn ein Geschwader mit königlicher Order hier eintrifft?“
Darauf wußte auch der Erste keine Antwort, aber er konnte nicht einfach mit den Schultern zucken und es dabei bewenden lassen, denn wenn der Marquess etwas fragte, erwartete er auch eine Antwort.
„Es hat den Anschein, als findet hier ein städtisches Fest statt, ein Jahrmarkt vermutlich, denn man hört Musik.“
Marquess Henry fuhr mit der Hand über seine leicht nach oben gebogene Nase. In seinen wäßrigen Augen glomm es unmutig auf.
„Pöbel, Pack“, sagte er verächtlich. „Es sollte lieber arbeiten, dieses Gesindel, statt zu feiern.“
„Ganz recht, Marquess Henry“, sagte der Erste ergeben. Er sagte oft „ganz recht, Marquess Henry“, denn so kam er mit dem aufgeplusterten Junggockel noch am besten zurecht, der sich wer weiß was auf seine seemännischen Künste einbildete.