Seewölfe - Piraten der Weltmeere 294. Roy Palmer
uns keinen Schlendrian erlauben, keine einzige Nachlässigkeit, verstanden?“
„Aye, Sir“, erwiderte Blacky der Einfachheit halber, drehte sich um und marschierte zum Vordecksschott zurück. Es lohnte sich nicht, mit Carberry zu diskutieren. Außerdem hatte der ja recht: Sie mußten jederzeit auf der Hut sein, denn Easton Terry, der jetzt als Gefangener in der Vorpiek der „Hornet“ saß, war zu jeder Teufelei fähig.
Auch Lucio do Velho, de Fambrin, Ignazio, Quintaval, Bonano und Lucille waren auf der „Hornet“ eingesperrt gewesen, als die zweite Schlacht bei Mordelles ihren Verlauf genommen hatte, doch dann hatte sich die Hafenhure aus Quimper befreit und auch den beiden Portugiesen und den drei Spaniern aus der Klemme geholfen.
Mitten im Gefecht waren alle sechs mit einemmal auf dem Hauptdeck erschienen. Do Velho, der alte Gegner der Seewölfe, hatte die „Hornet“ in einem tollkühnen Handstreich erobern wollen. Doch er hatte sich verrechnet. Ferris Tuckers Flaschenbombe hatte de Fambrin und Ignazio ins Jenseits befördert. Do Velho, Lucille und die beiden Spanier hatten von Glück sprechen können, daß ihnen überhaupt noch die Flucht von der „Hornet“ gelungen war.
„Und du?“ Carberry wandte sich mit demselben barschen Tonfall an Jack Finnegan, den er auch Blacky gegenüber benutzt hatte. „Was willst du hier, Mister Finnegan? Geht es Paddy Rogers besser? Willst du das melden?“
„Leider nicht. Er hat immer noch hohes Fieber.“
„Dann verschwinde auch du! Noch gibt’s hier oben nichts zu sehen, kapiert?“
„Aye, Sir.“ Finnegan warf noch einen Blick auf Old O’Flynns gallebittere Miene, dann zog er sich ins Vordeck zurück, wo er gemeinsam mit dem Kutscher und den Zwillingen Krankenwache an Paddy Rogers’ Lager hielt.
Paddy, sein bester Freund, war bei dem jähen Ausfall do Velhos auf der „Hornet“ von diesem durch einen Musketenschuß in die Brust lebensgefährlich verwundet worden. Der Kutscher hatte ihn inzwischen operiert und die Kugel herausgeholt. Doch ehe Paddy nicht das hohe Fieber überwunden hatte, das sich im Anschluß daran eingestellt hatte, war die Gefahr nicht vorüber. Noch schwebte er zwischen Leben und Tod, noch bangten die Männer und Hasards Söhne Stunde um Stunde um ihn.
Easton Terry hatte sein eigenes Süppchen kochen wollen: Auf der „Louise“ hatte er mitten im dicksten Getümmel das Deck geräumt und sich in Grammonts Kapitänskammer umgesehen. Dabei war er auf die Schatulle gestoßen, die der Piratenführer dort versteckt hatte. Dann aber war Hasard erschienen, hatte Terry zum Duell gefordert und gesiegt.
Terry saß in der Vorpiek, die Schatulle befand sich im Besitz der Seewölfe.
Ein gebranntes Kind scheut jedoch das Feuer, wie man sagt, und so rechneten die Männer ständig damit, Terry könne sich wie do Velho oder Lucille durch irgendeinen Trick befreien.
Auch dies trug zu der Nervosität bei, die sich wieder auf der „Hornet“ ausgebreitet hatte und nun auch auf die „Fidelity“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ übergriff. Wieder einmal herrschte größte Ungewißheit über das, was geschehen würde.
Albert, der vermeintliche Bucklige, befand sich, gut bewacht von Gustave Le Testu und Montbars, dem Korsen, an Bord der „Fidelity“. Er hatte beteuert, die Wahrheit gesprochen zu haben. Er wollte do Velho, Quintaval, Bonano und Lucille gesehen haben, die von Mordelles nach Concarneau geschwommen waren. Und er wußte auch, daß do Velho in der Stadt seine „Kriegskasse“ verbarg, aus der er Grammonts Störmanöver gegen die Engländer finanzierte. Dies hatte er angeblich erlauscht, als sich do Velho mit Grammont in dem Lager von Mordelles getroffen hatte.
Stimmte das wirklich?
War Lucio do Velho in Concarneau – oder nicht? Gab es hier wirklich das Geld der Spanier zu holen? Oder war es eine Lüge?
Der Seewolf hatte sich vorgenommen, dies herauszufinden und die Spanier zu schädigen, wo er konnte. Aber wie weit war er mit seinen Ermittlungen? Warum meldete er sich nicht, warum schickte er keinen Boten?
Alle diese quälenden Fragen beschäftigten die Männer der „Hornet“, der „Fidelity“ und des schwarzen Schiffes, die nun unentwegt zum Hafen und zur Festung von Concarneau blickten. Wann würden sie eine Antwort erhalten?
2.
Der Seewolf war davon überzeugt, do Velhos Geldern so fern wie nie zuvor zu sein. Wahrscheinlich ist alles nur ein Trick von Albert gewesen, um uns in die Hände des Stadtkommandanten zu spielen, dachte er, und bei dieser Hinterlist hofft er selbst natürlich, mit heiler Haut davonzukommen.
An Bord der „Hornet“, der „Fidelity“ und des Schwarzen Seglers hatte bestimmt keiner bemerkt, was geschehen war. Auch das malte er sich in diesem Moment aus, als er mit seinen Männern in der Halle des Festungsgebäudes stand und von mehr als zwei Dutzend Soldaten bewacht wurde. Es war zu dunkel, Old O’Flynn, Baxter und Arne konnten nichts gesehen haben. Und Stokers Ruf? Nun, der war zu schwach gewesen. Er hatte sich in den Gassen verloren, ehe er den Hafen erreicht hatte.
Das Haupttor der Festung war vom Hafen aus auch bei Tageslicht sehr schlecht einzusehen, deswegen konnte man nicht erwarten, daß die Männer an Bord der Schiffe verfolgt hatten, wie die Soldaten ihre Gefangenen ins Innere der Anlage gebracht hatten.
Die ganze Situation war verfahren. Hasard schalt sich selbst einen Narren und Anfänger, weil er sich viel zu leichtfertig an Land begeben hatte. Er hätte damit rechnen müssen, daß in Concarneau alles getan wurde, um die Stadt zu verteidigen, ganz abgesehen von dem Wahrheitsgehalt dessen, was Albert gesagt hatte.
Männer wie René Douglas oder dieser Jean-Luc Martier, der eben auch kurz erschienen war, schlossen keinesfalls aus, daß englische Korsaren in Concarneau landen konnten, um die Stadt zu plündern. Sie fanden auch keinen Unterschied zwischen Korsaren und Piraten. Warum sollten sie? Zweifellos waren sie mit den Ansichten der Bourbonen einverstanden, und die waren mit den Spaniern liiert, die heimlich Heinrich unterstützten und ihn als nächsten König Frankreichs auf den Thron bringen wollten. Das Wetter in diesem Land war umgeschlagen – ganz eindeutig blies ein stürmischer Wind gegen England an, der nichts Gutes zu bedeuten hatte.
Demzufolge hatten Douglas und Martier auch keine Skrupel, die Gefangenen trotz aller Versicherungen Hasards und Jean Ribaults, es handle sich um ein Mißverständnis, festzuhalten und in den Kerker zu werfen.
Sie berieten jetzt darüber, was sie tun sollten. Hasard war aber sicher, daß sie ihre Meinung nicht änderten. Dieser Douglas und auch der Lieutenant waren keine Männer, die sich leicht vom Gegenteil dessen überzeugen ließen, was sie dachten. Und Martier? Der würde auch keine Wende herbeiführen.
Hasard blickte zu Ben, zu Shane, Dan, Ferris und den anderen. Ihre Mienen drückten genau das aus, was auch er dachte: Sie saßen in der Klemme und hatten keine Chance, aus ihr zu entwischen.
Hasard sah sich in der Halle um. Nein, es gab nach wie vor keine Möglichkeit, sich den Soldaten zu entziehen und zu fliehen. Stoker war wieder bei Bewußtsein. Sein Schädel brummte höllisch, aber sonst schien er unversehrt zu sein. Weitere Risiken wollte und durfte der Seewolf vorläufig nicht eingehen.
Aber was sollte er tun? Irgend etwas mußte geschehen, ehe die Franzosen womöglich auch die Kameraden von der „Hornet“, der „Fidelity“ und dem Schwarzen Segler gefangensetzten.
Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Wenn jetzt nicht ein Wunder geschah, waren sie alle geliefert.
Jean-Luc Martier stand René Douglas und dem Lieutenant gegenüber und hörte sich Douglas’ Bericht über die Gefangennahme der „verdammten englischen Freibeuter“ an. Martier war ein hagerer, hochaufgeschossener Mann mit einem bartlosen, markanten Gesicht. Seine dumpfe Ahnung, daß es doch noch Ärger geben könnte, war nicht gewichen. Er war ein größerer Skeptiker als Douglas. Aber er hielt es für besser, den beiden anderen Männern nicht zu widersprechen. Das zahlte sich nicht aus. Er wollte seinen Posten als Hafenkapitän behalten und nicht bei nächster Gelegenheit von Douglas bei den Bourbonen als Zweifler und Nörgler angeschwärzt werden.