Seewölfe - Piraten der Weltmeere 89. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 89 - Roy Palmer


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hatte. Inzwischen hatte die „Isabella“ in direkter Kiellinie vor dem schwarzen Schiff die Führung übernommen, und sie hielten auf die Küste zu.

      Thorfin Njal wandte sich dem Achterdeck zu. Er hangelte an den Manntauen voran. Er wollte so schnell wie möglich auf seinen vorherigen Posten zurückkehren, um den Rudergänger zu kontrollieren sowie Position und Kurs zu überprüfen. Schließlich war er der Steuermann, und er versah seine Aufgabe mit Ehrgeiz und Akribie.

      Plötzlich stockte er.

      Er fuhr herum und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der große Viermaster hatte sich nach Steuerbord gelehnt, krängte unter einem anrollenden Brecher – und etwas sauste quer über die Kuhl.

      Etwas? Jemand war so leichtsinnig, sich nicht an den Manntauen festzuklammern. Das konnte nur einer sein, der nicht mehr Herr seiner Sinne oder zumindest stark in seinen Reflexen beeinträchtigt war.

      „Missjöh Buveur“, stieß Thorfin Njal entgeistert hervor. „Geri und Freki, Odins Wölfe, sollen dich beißen, Hugin und Munin, die Raben, dir die Augen auspicken – ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, du Satansbraten?“

      Er stürmte dem kollernden Franzosen nach, ehe Oleg und der Stör richtig begriffen, was eigentlich los war.

      Missjöh Buveur, total benebelt und kaum noch aufnahmefähig, rollte unaufhaltsam der Steuerbordseite zu, und mit ihm rollte die leere Rumflasche als Beweis dafür, daß er mal wieder seinem liebsten Laster gefrönt hatte.

      Er sauste an einem der schweren Geschütze vorbei und dann – der Teufel wollte es so – genau auf die Stückpforte zu. Sie war keine verschließbare Luke, sie stand offen, und das war Missjöh Buveurs ausgesprochenes Pech. Mit dem Kopf zuerst glitt er durch die Öffnung.

      „Mann über Bord!“ schrie Thorfin Njal gegen das Sturmheulen an.

      Aber es war noch nicht soweit. Ein guter Geist schien den Franzosen doch noch nicht verlassen zu haben, es war der Schutzengel, der alle Betrunkenen begleitete. Missjöh Buveurs Höllenfahrt erfuhr jedenfalls eine Unterbrechung. Plötzlich stoppte er ab, steckte fest.

      Seine Füße waren so merkwürdig verkantet, daß sie einen Widerstand hinter dem Süll der Luke bildeten. Ja, es war absurd, verrückt, aber wahr: Das schwarze Schiff torkelte in den Wogen, und Missjöh Buveur hing wie eine Galionsfigur über den schwärzlichen Fluten.

      Die meisten Männer der Besatzung standen wie erstarrt. Der Boston-Mann war neben Siri-Tong und rief: „Verdammt, der Kerl ist wieder bis oben hin voll!“

      Thorfin Njal hatte das Geschütz erreicht, glitt aus und schlitterte plötzlich ebenfalls über Deck. Er fing sich am Schanzkleid ab, erhob sich fluchend und arbeitete sich unter Herbeizitieren sämtlicher ihm geläufigen Gottheiten auf den Verunglückten zu.

      „Ersäufen sollte man dich!“ brüllte er.

      Missjöh Buveur blickte verblüfft in das tosende Wasser. Er hatte die leere Rumflasche an sich vorbei in die Fluten stürzen sehen, und jetzt wurde er allmählich nüchtern, denn er malte sich aus, wie es war, wenn er der Flasche folgte.

      Das schwarze Schiff krängte nach Backbord und dann wieder nach Steuerbord. Missjöh Buveur kriegte Salzwasser zu schlucken, spuckte es aus und wurde noch nüchterner.

      Thorfin Njal zerrte an den Füßen und Knöcheln des Franzosen, als wolle er sie abreißen. Inzwischen waren auch Oleg und der Stör sowie Pedro Ortiz und Diego Valeras, die beiden Portugiesen, als Verstärkung eingetroffen. Mit vereinten Kräften befreiten sie den Franzosen aus seiner unglücklichen Lage und zerrten ihn auf die Kuhl zurück.

      Missjöh Buveur sah seine Retter an, dann verdrehte er gekonnt die Augen. „Mon Dieu, der Teufel hat die Krallen nach mir ausgestreckt und – und der andere, der mit der Sense – ich hab schon die Klinge an meiner Gurgel gespürt!“

      Unwillkürlich griff er sich mit beiden Händen an den Hals.

      „Hör auf mit dem Theater“, fuhr Thorfin Njal ihn an. „Du solltest nicht soviel saufen, du Schwamm, sonst gehst du eines Tages wirklich vor die Hunde.“

      Die anderen wußten nicht, ob sie lachen oder fluchen sollten.

      „Missjöh Buveur!“ rief Siri-Tong plötzlich mit der gleichen schneidenden Stimme, mit der sie sich auch an Flanagan gewandt hatte. „Komm her! Ja, zur mir aufs Achterdeck!“

      Der Mann aus dem fernen Frankreich hangelte an den Manntauen nach achtern und schob sich schließlich sehr kleinlaut auf die Rote Korsarin zu. In diesem Moment wußte er nicht, was besser war: zu leben oder doch lieber in die sprudelnden Fluten zu stürzen.

      Siri-Tong sprach gerade laut genug, daß Missjöh Buveur es noch verstehen konnte. „Hör gut zu. Wenn so etwas noch mal passiert, lasse ich dir zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen überziehen. Zwanzig! Und danach wirst du an der Rahnock aufgehängt, da kannst du dann zappeln, soviel du willst, verstanden?“

      „Ja, Madame“, antwortete Missjöh Buveur. Er wünschte sich, eine Maus zu sein und irgendwo in einem Spundloch verschwinden zu können.

      So hart die Kerle auf diesem Viermaster auch waren – vor der Roten Korsarin schrumpften sie alle gleichsam in sich zusammen. Noch nie hatte es eine Frau gegeben, die einen so elementaren Einfluß auf sie ausgeübt hatte.

      Es stellte sich als unschätzbarer Vorteil heraus, daß Dan O’Flynn seinen Posten im Hauptmars beibehalten hatte. Natürlich war er es, der als erster jenen düsteren Streifen entdeckte, der sich am Horizont entlangzog.

      „Land!“

      Dan brüllte es, aber in dem Wüten des Wetters konnte ihn unten auf Deck niemand verstehen. Er mußte seine Pistole abfeuern, um sich verständlich zu machen. Fortan teilte er seinem Kapitän alles, was er sah, durch Gestikulieren mit.

      Land – Hasard wußte, daß sie sich ungefähr auf der Höhe des 22. Grades südlicher Breite befanden. Er hatte die Zeichnungen dieser Küstenregion fast bis zum Detail im Gedächtnis. Schon am Vortag hatte er sich ausgiebig mit seinem umfangreichen Kartenwerk befaßt.

      Eins war besonders haftengeblieben: Gerade an diesem Punkt gab es gefährliche Korallenriffe.

      Hasard gab Dan ein entsprechendes Zeichen. Der junge Mann war von jetzt an praktisch doppelt und dreifach auf der Hut. Das war kein einfaches Unternehmen in dem wild schwankenden Großmars, oder, treffender ausgedrückt: Nur ein Ausguck wie Dan konnte in diesen Augenblicken noch an etwas anderes denken als ans Festklammern und Beten.

      Der Schimpanse Arwenack hatte sich längst in einen sicheren Schlupfwinkel unter Deck begeben. Er haßte Stürme, und dieses Zürnen der entfesselten Naturgewalten flößte ihm Panik ein. Weglaufen konnte er nicht, also verkroch er sich. In Stunden wie diesen war er sogar zum Burgfrieden mit Sir John, dem Papagei, bereit, auf den er sonst glühend eifersüchtig war.

      Dan vollbrachte das gleichermaßen Unmögliche. Er sichtete rechtzeitig tückische Untiefen, konnte im Branden der Wogen bruchstückweise die lebensgefährlichen Gebilde erkennen – Korallenbänke!

      Rasch bedeutete er Hasard, wo sich die Barrieren befanden.

      „Zwei Strich Backbord, Pete!“ rief der Seewolf seinem Rudergänger zu. „Wir luven an, um nicht aufzulaufen!“

      „Aye, aye, Sir!“ schrie Pete Ballie zurück, und gleichzeitig schickte er wie die übrigen Männer der Crew ein Stoßgebet zum Himmel, er möge sie vor dem furchtbaren Schicksal bewahren.

      Die Erinnerung an das Ende der spanischen Galeonen „Santa Barbara“ und „San Domingo“ war noch frisch im Gedächtnis der Seewölfe. Die Segler hatten die portugiesischen Siedler nach Bahia bringen sollen und waren im Sturm auf einem Riff zerschellt.

      Auch Hasard dachte daran, aber er sagte sich auch, daß die „Isabella VIII.“ und das schwarze Schiff keine gottverdammten Seelenverkäufer wie die zum Abwracken reifen spanischen Galeonen waren – und sie wurden von Crews geführt, die ihre Arbeit verstanden.

      Die „Isabella“ rauschte


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