Seewölfe - Piraten der Weltmeere 145. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 145 - Kelly Kevin


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jetzt mit einer so wahnwitzigen, vernichtenden Gewalt heran, daß jede Sekunde Zögern Selbstmord bedeutet hätte. Mit eisernem Griff hielt der Seewolf den kleinen Philip an sich gepreßt, schwang sich über den Rand der Plattform und war Sekunden später ebenfalls unten.

      Die Zwillinge wurden in ihre Kammer verfrachtet.

      Sie sahen beide etwas grünlich aus – wahrscheinlich würde die Natur den disziplinarischen Teil der Angelegenheit übernehmen. Hasard hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Niemand hatte es. Der Sturm beutelte die „Isabella“, daß es eine Art hatte – und dieser dreimal verdammte Sturm dauerte den Rest des Tages, die ganze Nacht und den nächsten Morgen an.

      Die „Isabella“ wurde weit nach Südosten verschlagen.

      Wenn es so weiterging, würden sie geradewegs an der baskischen Küste landen – und dann, so wußten sie, hätten sie genausogut gleich in die Hölle segeln können, um sämtliche Ober- und Unterteufel am Schwanz zu ziehen.

      Ein paar Seemeilen nördlich von der „Isabella“ trieb die holländische Fleute „Anneke Bouts“ vor Topp und Takel.

      Zwei Stunden zuvor war das Ruder gebrochen. An Deck herrschte ein Chaos aus zerfetztem Tauwerk und geborstenen Spieren, das die Männer mit verzweifelter Wut aufzuklaren versuchten. Nur wenige Strecktaue hatten der Belastung standgehalten. Jeder Schritt auf den gischtübersprühten Planken war lebensgefährlich. Aber die „Anneke Bouts“ trieb dicht unter Land, und jeder einzelne der Mannschaft kannte die tückischen Klippen, die vor ihnen lauerten.

      Kapitän Meerens umklammerte mit versteinertem Gesicht die Schmuckbalustrade des flachen Achterkastells.

      Friso Eyck, der flachshaarige Steuermann, trieb mit peitschender Stimme die Männer an, die verzweifelt irgendeinen Fetzen an der Gaffelrute des Besans zu setzen suchten. Es war vergebliche Mühe. Der Sturm riß ihnen das Tuch aus den Händen, Tauwerk peitschte in ihre Gesichter. Ein gellender Schrei ertönte, als die schlagende Gaffel einen Mann am Kopf traf. Friso Eyck sprang hinzu, warf das Fall los, damit die schräge Rute nicht noch die Reste des Riggs zerfetzte. Verzweifelt warf sich der Steuermann herum, und der silberne Geusenpfennig, den er um den Hals trug, schien wie ein Irrlicht über seine Brust zu tanzen.

      Schwarz und drohend wuchsen die Klippen vor ihnen hoch.

      „Klar bei Anker!“ peitschte Kapitän Meerens’ Stimme.

      Männer stürzten auf die Back, um die Trosse zum Laufen klarzulegen. Nichts außer diesem letzten, verzweifelten Manöver konnte das Schiff jetzt noch retten. Und Friso Eyçk wußte so gut wie die anderen, daß schon ein Wunder geschehen mußte, wenn der Anker Grund fassen und halten sollte.

      „Fallen Anker!“ schrie Meerens in das Tosen und Heulen des Sturms.

      „Fallen Anker!“ tönte es zurück wie ein dünnes Echo.

      Die Trosse rauschte aus. Quietschend drehte sich das Spill, die Fleute holte über und schlingerte und stampfte in den tückischen Kreuzseen, als wolle sie sich die Masten aus dem Leib schütteln. Friso Eyck war nach vorn geturnt und hatte es wie durch ein Wunder geschafft, ohne von einer der Sturzseen, die alle Augenblicke das Deck überspülten, außenbords gefegt zu werden. Der Anblick der schwarzen Klippe ließ ihn erschauern. Einen Sekundenbruchteil umklammerte er unbewußt den kalten, glänzenden Geusenpfennig – jenes Symbol des Freiheitskampfs, den sie alle führten und für den sie notfalls zu sterben bereit waren.

      „Auf und nieder!“ schrie jemand von vorn.

      In der nächsten Sekunde mußte der Anker Grund fassen und …

      Eine jähe Sturmbö besiegelte das Schicksal der „Anneke Bouts“.

      Hoch wurde die schlanke Fleute emporgeschleudert, krachte schmetternd auf die scharfkantigen Klippen, wo sie in zwei Teile zerbrach – und der vielstimmige Entsetzensschrei der Menschen ertrank im entfesselten, gnadenlosen Toben der Elemente.

      Es war Mittag, als der Sturm abflaute.

      Unmerklich erst, dann so schnell, als sei es die wilde, kochende See ganz plötzlich müde geworden, gegen die „Isabella“ anzurennen und wieder und wieder zu versuchen, ob sich dieses feste Holz nicht doch zerschlagen, diese langen Masten nicht doch brechen ließen, damit der hungrige Ozean sein Opfer erhielt. Die letzten Böen fegten den Himmel leer, Sonnenlicht ergoß sich über das Meer und ließ die steile Dünung in funkelndem Feuer glänzen. Die erschöpften, durchnäßten Männer an Deck hoben die Köpfe, starrten in das blaue Firmament und spürten die Wärme, die ihre erstarrten Glieder belebte. Wäre nicht die immer noch gefährlich hohe Dünung gewesen, man hätte die vergangenen Stunden für einen bösen Spuk halten können.

      „Klar Schiff überall!“ ertönte die Stimme des Seewolfs ruhig und gelassen.

      „Wollt ihr wohl spuren, ihr Lahmärsche!“ grollte der Profos in altgewohntem Ton. „Klar Schiff überall, habt ihr das jetzt gehört, oder soll ich euch die Ohren mit dem Marspieker auskratzen? Hopp-hopp, ihr Rübenschweine, sonst ziehe ich euch die Haut in Streifen …“

      „Hasard!“

      Es war Ben Brightons Stimme, die den Seewolf herumfahren ließ.

      Der breitschultrige dunkelblonde Bootsmann stand am Steuerbordschanzkleid und hatte das Spektiv auseinandergezogen. Sein sonst so unerschütterlich ruhiges Gesicht war angespannt. Jetzt reichte er Hasard den Kieker, und der spähte aufmerksam nach Süden, wo alle Verwünschungen die spanische Küste nicht wegzaubern konnten.

      Der Seewolf preßte die Lippen zusammen.

      Sie waren dichter unter Land, als er befürchtet hatte. Deutlich konnte er die dünne weiße Linie des Strandes erkennen, das verschwommene Grün und Braun des Küstenstreifens, über dem noch die dunklen Wolken im Stau vor den Kantabrischen Bergen hingen. Die spanischen Kriegsgaleonen, die hier vielleicht unterwegs gewesen waren, hatten sicher in den Häfen Schutz vor dem Sturm gesucht. Im Landesinneren mußte jetzt Regen fallen. Wenn die Wolken die schroffen Gipfel des Gebirgszugs freigaben, würde Dunst die Flachküste verhüllen.

      „Schiff ho!“ schrie Bill, der wieder in den Großmars geentert war. „Zwei Strich Backbord voraus!“

      Hasard wirbelte herum.

      Eine Stahlfeder schien sich in seiner Haltung zu spannen, als er mit dem Spektiv die nordöstliche Kimm absuchte. Drei dünne Nadeln tanzten in der Dünung, wurden größer und ließen ihre weißen, geblähten Segel erkennen.

      „Dan!“ rief der Seewolf.

      Der junge O’Flynn enterte über den Niedergang auf. Er hatte die schärfsten Augen der Crew und konnte schon die Kanonen einer Galeone zählen, wenn andere sie gerade erst entdeckt hatten. Schweigend nahm er das Spektiv entgegen, enterte ein Stück in die Besanwanten und spähte in die angegebene Richtung.

      „Dreimastige Galeone“, meldete er wenig später.

      „Ein Spanier?“

      Dan zögerte und zog die Lippen zwischen die Zähne.

      „Sieht nicht so aus“, meinte er schließlich. „Jedenfalls führt sie kein Kreuz unter dem Bugspriet.“

      „Vielleicht ’n unfrommer Spanier!“ brummte Smoky, der Decksälteste, von der Kuhl.

      „Bill!“ rief Hasard zum Großmars hinauf. „Die Galeone im Auge behalten, klar?“

      „Aye, aye, Sir! Im Augenblick segelt sie mit halbem Wind Südwestkurs.“

      Hasard nickte und schwang herum.

      Er wollte Dan auf die Schulter tippen, der immer noch durch das Spektiv spähte, dann verharrte er mitten in der Bewegung. Seine Lider kniffen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, scharf sog er die Luft durch die Zähne.

      Er brauchte das Spektiv nicht.

      Was da Steuerbord voraus hinter einer felsigen Landzunge auftauchte, war auch mit bloßem Auge zu erkennen. Galeonen! Schwer bestückte spanische Kriegsgaleonen! In Kiellinie und gestaffelt liefen sie am Wind nach Norden, drei


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