Seewölfe - Piraten der Weltmeere 124. Roy Palmer
zwei Pfeile in seinem Fell, seine Hinterläufe wurden auch durch ein dickes Tau zusammengehalten. Die Tauschlinge saß stramm, das helle, gut sichtbare Band führte zu einem tiefhängenden Ast jenes Baumes hinauf, dessen Stamm vom anderen Ufer emporstrebte, und war dort verknotet.
Wäre Bulbas nicht betäubt gewesen – er wäre dennoch besiegt gewesen, denn die Fessel erlaubte ihm kein Fortkommen mehr. Er hätte nur noch höchst schimpflich auf den Vorderläufen herumhüpfen können, wäre dabei jedoch erheblich durch das Tau behindert und wahrscheinlich in das Wasser gezerrt worden, das er so sehr haßte und mied.
Die verkrampfte Haltung des Malaien lockerte sich ein wenig. Sein Blick wanderte höher und blieb auf dem freundlichen Gesicht des Seewolfs ruhen. Allmählich nahm ein Lächeln auf den Zügen des Kriegers Gestalt an.
Hasard bedeutete ihm durch Zeichen, er solle nähertreten.
„Die Gefahr ist gebannt“, sagte er dabei, obwohl er keine Hoffnung hatte, daß der Inselmalaie ihn verstand. „Bulbas wird keine Menschen mehr reißen. Ein anderer Tiger nimmt nun die Insel Rempang in seinen Besitz – ein zweibeiniger.“
Hasard grinste, weil er sich in etwa vorstellen konnte, welche Bedeutung Rempang von nun an für den „Tiger von Malakka“ hatte.
Arwenack – der Kampfruf der Seewölfe war bis zu dem wartenden Schiffsverband hin zu vernehmen gewesen. Ben Brighton hatte beim erstenmal noch eine besorgte Miene geschnitten, weil er angenommen hatte, daß Hasard sich mit dem Schrei in den Zweikampf mit Bulbas gestürzt hatte. Dann aber war der Ruf zum zweiten, dritten Male herübergedrungen, und alle Männer der „Isabella VIII.“ hatten ihn eindeutig als Triumph auszulegen gewußt.
Sie jubelten, fierten auf Bens Befehl hin die Boote ab und enterten auf den hölzernen Sprossen der Jakobsleitern ab.
„Nichts wie hin!“ brüllte Carberry. „Los, ich kenne die Richtung, wir müssen in die versteckte Mündung des kleinen Flusses eindringen, und von dort aus haben wir’s nicht mehr weit bis zu Hasard. Hey, ich hab’s ja gewußt, daß er es schafft, diesem gestreiften Kater das Fell über die Ohren zu ziehen!“
Ferris Tucker ließ sich neben ihm auf einer Bootsducht nieder. „Ed, hör auf“, entgegnete er. „Du warst genauso skeptisch wie wir alle. Du wolltest nicht, daß Hasard allein zum Verband des ‚Tigers von Malakka‘ fuhr, du warst auch dagegen, daß er diese Mutprobe auf sich nahm. Habe ich recht?“
„Meinetwegen. Aber das können wir jetzt vergessen.“ Der Profos wartete, bis die Bootsbesatzung komplett war, dann drückte er seine Fäuste gegen die Bordwand der Galeone und sorgte dafür, daß die Distanz groß genug wurde, um die Steuerbordriemen bedienen zu können. „Ferris“, brummte er. „Hast du ein paar Höllenflaschen mitgenommen?“
„Nein, diesmal nicht.“
„Verdammter Klamphauer, man weiß nie, wozu die Dinger gut sind …“
„Hasard hat es uns untersagt, irgendwelche Waffen mitzuführen, falls wir übersetzen.“
„Das muß ein weiterer Beweis für den ‚Tiger‘ sein, daß unsere Absichten friedlich sind“, mischte sich jetzt der junge O’Flynn ein.
Carberry antwortete mit einer wegwerfenden Geste. „Zum Teufel mit der ganzen Fairneß. Ich weiß nicht, was wir dem Himmelhund noch alles beweisen sollen. Meiner Meinung nach haben wir bereits viel zuviel getan, und er wird uns bei nächster Gelegenheit zum Dank eine volle Breitseite auf die Jacke husten. Dann sieht wohl auch der Seewolf ein, daß die Verbrüderungs- und Verbündungsversuche keinen Zweck haben.“
Ben Brighton hatte sich im Nachbarboot aufgerichtet, weil auf dem Achterdeck des größten, dreimastigen Prahos, den sie gerade passieren wollten, die Gestalt des „Tigers“ hinter dem Schanzkleid hochgewachsen war.
„Ihr landet auf der Insel?“ rief der schwarzbärtige Mann in seinem hervorragenden, reinen Kastilisch. „Das war nicht verabredet.“
„Hast du die Rufe unseres Kapitäns nicht gehört?“ rief Ben zurück.
„Doch. Arwenack.“
„Willst du mir erzählen, du wüßtest nicht, was das bedeutet?“
„Ich habe das Wort Arwenack heute nacht zum erstenmal in meinem Leben vernommen“, verkündete der Malaie halsstarrig.
Und Ben antwortete um eine Spur energischer: „Arwenack ist die alte Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Von daher leitet sich unser Schlacht- und Siegesruf ab. Arwenack!“
„Arwenack!“ brüllten die Männer in den Booten. Sie verspürten den unbändigen Drang, sich auf irgendeine Weise Luft zu verschaffen, und es juckte ihnen in den Fäusten.
„Zufrieden?“ rief Ben zu dem Achterdeck des Prahos hinauf.
„Ich halte es für falsch, zur Insel überzusetzen, ehe der Seewolf einen Schuß abgegeben hat.“
„Ein Schuß war nicht vereinbart, Tiger!“
„Das sagst du …“
„Mir langt es jetzt“, erwiderte Ben Brighton gereizt. Er war ein sonst ruhiger und umsichtiger Mann, aber wenn er richtig wütend wurde, hatte das meist höchst unerfreuliche Folgen. „Hasard hat den Radschloß-Drehling dabei, das stimmt!“ rief er. „Aber erstens weiß ich, daß er den Gebrauch der Feuerwaffe um jeden Preis vermeiden wollte, und zweitens wird er zum Zeichen seines Sieges nicht in die Luft schießen, um die angstschlotternden Leute im Inselinneren nicht noch mehr zu erschrecken. Klar, Tiger?“
„Immer noch nicht ganz.“
„Gut“, sagte Ben Brighton. „Aber uns hinderst du nicht daran, jetzt die Insel aufzusuchen. Wir haben keine Waffen dabei – wie vereinbart. Du wirst ja wohl nicht mit der Heldentat protzen wollen, einen wehrlosen Haufen Männer zusammengeschossen zu haben.“
Damit bedeutete er den Männern der „Isabella“ durch eine Gebärde, weiterzupullen. Die Boote beschleunigten unter dem rhythmischen Eintauchen und Wiederhochschwingen der Riemenblätter und ließen den Verband der Prahos hinter sich.
Auf dem Achterdeck des Dreimasters war Yaira, die Tochter des Stammesältesten Otonedju, neben den „Tiger von Malakka“ getreten. Zum erstenmal, seitdem sie sich kennengelernt hatten, wagte sie es, ihm ihre schmale Hand auf die Schulter zu legen.
„Immer noch mißtrauisch?“ fragte sie ihn.
„Ich spreche mein eigenes Todesurteil, wenn ich von meinen Instinkten ablasse“, erwiderte er, während er den Booten nachblickte.
„Man muß seine Freunde erkennen können, hat der Seewolf gesagt.“
„Das hört sich fast ehrfürchtig an“, sagte er bitter. „Gefällt dir dieser Mann?“
Sie lachte leise auf. Dann, rasch wieder ernst werdend, entgegnete sie: „Ich habe in seinen Augen gelesen, daß er es ehrlich meint. Warum glaubst du immer noch daran, daß er für die Spanier arbeitet und dir eine Falle stellen will?“
„Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen.“ Der schwarzhaarige Mann mit den ausdrucksvollen Augen und dem empfindsamen Mund drehte sich zu ihr um. „Ich halte es für möglich, daß er Bublas noch gar nicht begegnet ist, daß er nur seine Männer auf die Insel holen und uns einen heißen Empfang bereiten will, sobald auch wir übersetzen.“
„Niemals …“
„Der Seewolf hat ein mehrschüssiges, kompliziert gebautes Gewehr mitgenommen. Vielleicht genügen die Schüsse, uns allen den Garaus zu bereiten.“
„Das tut der Seewolf nicht, und du unterliegst einem furchtbaren Irrtum, wenn du es wirklich annimmst“, stieß sie entsetzt aus.
„Woher willst du das wissen, Yaira?“
„Ich fühle es.“
Plötzlich trat ein verwegener Ausdruck in die Züge des hochgewachsenen Mannes. „Das Schiff, auf dessen Planken du stehst, ist nie getauft worden,