Seewölfe - Piraten der Weltmeere 177. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 177 - Kelly Kevin


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sagte nur ein einziges Wort.

      Aber das war von der Art, bei der selbst der Teufel errötet wäre.

      Einen Moment schien alles mit Ausnahme des Sturms den Atem anzuhalten.

      Die Männer klammerten sich dort fest, wo sie gerade waren, lauschten dem dumpfen Knirschen, starrten in das weiße Chaos ringsum. Ed Carberry hing immer noch an Ferris Tuckers Fuß, und Tucker umarmte immer noch den Besanmast. Der Seewolf hielt sich am Schanzkleid fest und drehte sich um. Auf der Kuhl peilte der Kutscher aus seiner Kombüse. Gleichzeitig wurde das Schott des Achterkastells aufgerammt, und ein paar weitere Gestalten erschienen auf der Bildfläche.

      Siri Tong war so vermummt, daß man ihre verführerischen weiblichen Formen nicht einmal mehr ahnen konnte.

      Von den Zwillingen war nicht viel mehr als die blaugefrorenen Nasenspitzen zu sehen. Mit ungebrochener Neugier spähten Hasard und Philip in die tobende weiße Hölle. Hinter ihnen ragte die mächtige Gestalt Big Old Shanes auf. Breitbeinig stand er da, die Füße mit den Fellstiefeln im Schott verkeilt, die Hände frei, um die beiden kleinen Seewölfe notfalls blitzschnell am Kragen packen zu können.

      Aber das war überflüssig.

      Die Zwillinge hatten schon mehr als einen Sturm erlebt, und mit den Tücken vereister Planken und glitschiger Taue waren sie inzwischen auch vertraut. Und den Umgangston eines gestandenen Seemanns im Sturm hatten sie sich von Ed Carberry abgeschaut, wie sie jetzt wieder mal bewiesen.

      „Ist der verdammte Kahn mit etwas zusammengestoßen?“ schrie der kleine Hasard lauthals.

      „Auf ein Riff gebrummt!“ schrie Dan O’Flynn zurück, der seinen nutzlos gewordenen Ausguck-Posten in den Wanten verlassen hatte.

      „Scheiß-Riff!“ kommentierte Hasard junior.

      „Mist, verdammter!“ tat Philip seinen Senf dazu.

      Die Rote Korsarin hatte sich über die Kuhl gehangelt und enterte geschickt den Niedergang zum Achterkastell hoch.

      Schneeflocken hingen an ihren langen Wimpern, die dunklen Mandelaugen kniffen sich zusammen. Sie wollte etwas sagen, aber sie kam nicht mehr dazu.

      Unter der Gewalt einer neuen Sturmbö holte die „Isabella“ beängstigend nach Backbord über. Etwas knirschte und schabte – an Steuerbord, nicht an Backbord. Keine Felsen, sonder das Eis, das Sturm und Seegang gegen das Schiff trieben und das sich binnen kurzem zu bedrohlichen Bergen auftürmen wollte.

      Der Seewolf stand immer noch am Schanzkleid.

      Wenn ihm nicht der weiße Flokkenwirbel die Sicht nahm, konnte er deutlich die scharfen Felszacken sehen. Wie Nadeln ragten sie empor. Nadeln, die dem Schiff unweigerlich den Rumpf abreißen würden, wenn die Gewalt des Sturms und der mörderische Druck des Schelfeises sie zwischen die Riffe warf.

      „Ed! Ferris!“ schrie der Seewolf. „Laßt endlich den verdammten Mast los, zum Teufel!“

      „Dann geht er außenbords!“ brüllte Tucker empört.

      „Na und? Wir brauchen ihn außenbords! Und zwar, um diesen dreimal verfluchten Kahn abzustützen, bevor er aufgespießt wird – geht das in deinen Schädel?“

      Nein, das ging nicht in Ferris Tukkers Schädel.

      Jedenfalls nicht sofort. Der riesige Schiffszimmermann sah aus, als sei er überzeugt davon, der Rest der Menschheit habe den Verstand verloren. Widerwillig gab er seine innige Umarmung mit dem Besanmast auf und wühlte sich durch das Gewirr aus Segelfetzen, Gaffelrute und peitschenden Stagen, bis er ebenfalls einen Blick über das Schanzkleid werfen konnte.

      „Ach du meine Fresse“, sagte er ergriffen.

      Und dann, als wieder eine Eisscholle den Schiffsrumpf erschütterte, sprang der rothaarige Hüne auf wie ein Kastenteufel und schien sich in einen Orkan zu verwandeln, der dem Schneesturm um nichts nachstand.

      „Hopp-hopp, ihr lahmen Säcke! Schickt endlich den verdammten Mast über Bord! Ed, du blöder Riesenaffe, was stehst du herum und glotzt? Sten, Smoky, Batuti – außenbords mit euch und den elenden Mast wahrnehmen! Ich brauch die Gaffelrute und die Marsrah und eine verdammte Menge Holzkeile! Und Sandsäcke! Irgendwelches Zeug zum Verdämmen! Al, du gestreifter Kanonensohn, willst du dich vielleicht mal bewegen, oder soll ich dir erst ein paar Zähne ins Kleinhirn rammen?“

      Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, verstand eine Menge von Sprengstoff und daher auch von der Technik des Verdämmens.

      Er pfiff Luke Morgan und Sam Roskill an, die „morschen Knochen“ zu bewegen, und verschwand mit ihnen im Laderaum. Inzwischen hatten Stenmark, Smoky und Batuti die Jakobsleiter ausgebracht und enterten mühsam ab. Der Sturm schüttelte sie, man sah kaum die Hand vor Augen. Erst im Schutz der hochragenden Bordwand wurde es etwas besser: Fluchend versuchten die Männer, auf den vereisten Riffen Halt zu finden. Es war schwierig, aber es ging, zumal die scharfen Felszacken eine zusammenhängende Barre bildeten, so daß man sich schon ausgesprochen ungeschickt anstellen mußte, um im eisigen Wasser zu landen.

      Zufrieden stellte der Seewolf fest, daß er überhaupt nichts mehr zu sagen brauchte.

      Auch der letzte Mann hatte begriffen, welche Gefahr der „Isabella“ drohte. In fiebernder Eile hackten Ferris Tucker, Ed Carberry und Dan O’Flynn auf Wanten und Pardunen ein. Big Old Shane, der graubärtige Riese, stemmte seine mächtige Schulter unter den Mast, damit es im entscheidenden Augenblick kein Kleinholz gab. Hasard enterte ebenfalls über die Jakobsleiter ab. Ben Brighton folgte ihm, ganz gegen seine Gewohnheit lästerlich fluchend, und dann standen sie breitbeinig auf den vereisten Riffen und nahmen den Mast wahr, der über das Schanzkleid rutschte.

      Ein paar Sekunden später erschien auch Ferris Tucker neben ihnen.

      Er starrte den Mast an, dann Hasard, dann wieder den Mast.

      „Wenn wir das Ding halbieren, können wir es nicht wieder aufriggen!“ schrie er durch das Tosen des Sturmes.

      „Und wenn wir es nicht halbieren und die ‚Isabella‘ zwischen die Riffe kracht, können wir für den Rest unseres Lebens Robben zählen!“ schrie Hasard zurück.

      „Stimmt“, knurrte Tucker ingrimmig, holte mit seiner mächtigen Axt aus und zerteilte den Besanmast mit ein paar wuchtigen Hieben in zwei Hälften.

      Eine volle Stunde verging, in der sie keuchend und trotz der schneidenden Kälte schwitzend versuchten, das Schiff abzustützen.

      Immer wieder erzitterte der Rumpf, ächzten die Verbände, knirschte und knackte das Eis, dessen würgender Zugriff noch gefährlicher war als die Gewalt des Sturmes. Die Teile des Mastes und die Trümmer von Großmarsrah und Gaffelrute wurden verkeilt, mit Sandsäcken verdämmt und zusätzlich mit schweren Kettenkugeln gehalten.

      Die Männer schufteten wie die Wilden, in einem verzweifelten Wettlauf mit Sturm und Eis. Schneekristalle hingen in ihrer Kleidung und machten die Felle schwer und steif. Der Atem wehte in weißen Wolken vor ihren Gesichtern. Die Minuten schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen, aber schließlich stieß Ferris Tucker triumphierend die Faust in die Luft.

      „Das hält!“ schrie er. „Notfalls bis zum nächsten Jahr!“

      Ja, dachte Hasard erbittert.

      Und mit etwas Pech würden sie im nächsten Jahr immer noch hier festsitzen. Er hatte das Knirschen des Anpralls auf die Riffe nämlich noch genau im Ohr. Er wußte, daß es achtern zuerst gekracht hatte. Wenn ihnen auch noch die Ruderanlage zu Bruch gegangen war, konnten sie einpacken.

      Als er sich mühsam über die vereisten Riffe zum Achterschiff kämpfte, bestätigten sich seine Befürchtungen.

      Das Ruderblatt war Kleinholz.

      Und es hätte Ferris Tuckers Fluchkanonade gar nicht bedurft, um dem Seewolf klarzumachen, daß sich die schäbigen Reste allenfalls noch für den Ofen eigneten.

      Eine Viertelstunde später drängten sich die Männer in der Mannschaftsmesse um das Ofen-Monstrum aus Silberbarren.


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