Seewölfe - Piraten der Weltmeere 83. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 83 - Roy Palmer


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      Impressum

      © 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

      Pabel ebook, Rastatt.

      ISBN: 978-3-95439-400-5

      Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

      1.

      Das Kapuzineräffchen ließ sich aus einer Baumkrone in die Tiefe gleiten, drohte im freien Fall bis in das verfilzte, undurchdringliche Dickicht des dampfenden Regenwaldes zu stürzen, erhaschte dann aber doch eine Liane und pendelte an ihr bis zum Nachbarbaum hinüber. Dort landete es sicher auf einem der tiefer gelegenen, ausladenden Äste und ließ die Liane los. Behende turnte es auf dem Ast entlang, bis ganz nach vorn zur Spitze.

      Hier verharrte das Tier.

      Unter ihm wälzten sich die lehmbraunen Fluten des gewaltigen Stromes dahin, aber nicht das war es, was die Aufmerksamkeit des Äffchens erregt hatte. Vielmehr drehte sich auf einem trägen Strudel ein rätselhaftes Ding, ein Etwas, wie es das passierliche Tier nie zuvor in seinem Leben erblickt hatte.

      Es war gelb und wirkte – zumindest aus der Sicht des Äffchens –, als ob man es mit einiger Überwindung fressen könne.

      Das Äffchen legte den Kopf schief und gab ein knappes, fragendes Kekkern von sich. Das Etwas dort unten trug genau in seiner ausgehöhlten Mitte eine Gestalt spazieren, einen weißhäutigen Zweibeiner, der bis auf die Knochen abgemagert war und vor dessen hohlwangigem, ausgemergeltem Gesicht man glatt Angst kriegen konnte. Der Mann hatte seinen Blick nach oben gerichtet. Seine Augen erschienen seltsam starr.

      Tot?

      Das Äffchen hätte es gern herausgefunden. Aber das Ding, in dem der Mensch auf dem Wasser trieb, entwand sich jetzt den Kreisen des Strudels. Die Hauptströmung war stärker, sie entführte die Last.

      Dem Kapuzineräffchen gefiel diese Wandlung der Lage überhaupt nicht. Empört hastete es auf seinem Ast hin und her. Dann rannte es zurück, fand eine Verbindung zu Nebenästen, die ebenfalls über das zu-gewucherte Ufer hinausragten, begleitete seine interessante Entdekkung noch ein Stück, mußte aber schließlich zeternd zuschauen, wie sich das Ding endgültig aus seinem Gesichtskreis entfernte.

      Das Kapuzineräffchen keckerte und schimpfte eine Weile. Danach brach es in die hinter ihm liegende grüne Hölle auf, um Streit mit einem seiner Artgenossen zu suchen. Seine Neugierde war nicht vollends befriedigt worden. So etwas konnte auch einen Affen – nicht nur Menschen – in unbändigen Zorn versetzen.

      Der Strom nahm das schmutziggelbe Boot aus geflochtenem Reet mit wie eine sichere Beute. „Pororoca“ nannten die Indianer den gewaltigen Fluß Amazonas – Wolkenwasserlärm. Die Urmacht der Natur, die sich jählings brüllend aufbäumen konnte, um alles zu verschlingen. Die Macht der Götter. Was sie packte, gab sie nicht wieder frei.

      Und doch: Bisweilen geschah ein Wunder.

      Der Mann im Inneren des Reetbootes versuchte sich aufzurichten. Es gelang ihm nur halb. Er stöhnte. Seine Züge nahmen einen gequälten Ausdruck an. Er ließ sich wieder zurücksinken. Plötzlich veränderte sich seine Miene. Er brach in heiseres Kichern aus.

      „Der Teufel will dich nicht, Montanelli“, flüsterte er. „Der Fluß wird breiter und breiter, bald bist du an der Mündung angelangt. Erinnerst du dich, wie weit die Ufer voneinander entfernt lagen, als du hier eintrafst?“ Er legte eine Pause ein. Selbst das Flüstern bereitete ihm Schwierigkeiten. Er war unsagbar schwach, seine letzten Energiereserven waren verbraucht.

      „O Herr, steh mir bei, daß ich es schaffe – daß ich das Meer noch sehe, bevor ich sterbe …“

      Seine dürren Finger hielten zwei Beutel aus roh gegerbtem Leder auf dem Boden des Bootes umklammert. Es befand sich kein Proviant in diesen Beuteln. Er, Montanelli, war dem Tod durch Verhungern und Verdursten nahe, aber das, was die Beutel bargen, konnte kein Mensch dieser Welt herunterschlingen. Und das Wasser des Flusses war ungenießbar. Es würde seinen Tod nur beschleunigen. Piranhas befanden sich darin, giftige Würmer, Zitteraale, Rochen, die mit ihrem langen Schwanzstachel furchtbare Wunden schlagen konnten. Kleine Fische, die sich in die Öffnungen eines Menschen bohrten und die Rückenflosse aufrichteten, Kaimane, tausend Krankheitserreger.

      Montanelli brauchte nur dieses Wasser zu trinken oder sich hineinsinken lassen, wenn er seinem Dasein ein Ende bereiten wollte. Aber er wollte leben! Je schwächer er wurde, um so mehr klammerte er sich an den letzten Hoffnungsschimmer, dem Inferno zu entweichen.

      Wie oft war er dem Tod schon von der Schippe gesprungen?

      Wieder lachte er leise. Viele dutzend Male. Ganz gewiß. Er hätte von den vielen Gefahren, die der Strom bot, umgebracht werden können. Oder von Indianern. Aber nichts von alledem, was er befürchtet hatte, war eingetreten, allen Gesetzmäßigkeiten dieser gräßlichen Umgebung zum Trotz.

      Eben. Die Hölle wollte ihn nicht.

      Montanelli drehte sich und hob den Kopf so weit, daß er über den Rand des Reetbootes spähen konnte. Er blickte und lauschte in den Wirrwarr aus feuchter grüner Flora und kunterbunter, lärmender Tierwelt. Er haßte diese ewige Kulisse, die sich nicht ändern wollte, aber er fing an, sie zu lieben, wenn er daran dachte, daß er nicht mehr weit von einer möglichen Rettung entfernt war.

      Er ließ sich völlig ermattet zurücksinken. Sein Atem ging flach und pfeifend. Die Welt begann sich um ihn herum zu drehen, und in seinem Kopf schien sich ein riesiges Mühlrad zu bewegen. Der azurblaue Himmel raste auf ihn zu und erdrückte ihn mit seiner Hitze.

      Schweißgebadet wachte Montanelli aus seiner Ohnmacht auf. Wieviel Zeit war verstrichen? Er wußte es nicht. Er stellte keine Schätzungen an. Er hatte aufgehört, die Tage zu zählen, warum sollte er dann noch die Stunden berechnen?

      Das Reetboot hatte mehr Fahrt aufgenommen. Es trieb dahin, ohne daß er seinen Kurs irgendwie beeinflussen konnte. Blieb es irgendwo hängen, dann würde der halbtote Mann es nicht einmal fertigbringen, es zu befreien.

      Er hob ächzend den Kopf und hielt wieder Ausschau.

      Diesmal sah er sie.

      Für einen Moment nur tauchten ihre braunen Leiber aus dem Dikkicht des Südufers auf. Sofort waren sie wieder verschwunden. Aber die wenigen Sekunden genügten Montanelli. Er war keiner Täuschung erlegen und fieberte nicht. Seine Augen hatten auch noch die nötige Sehschärfe und gaukelten ihm keine Trugbilder vor.

      Mit entsetztem Keuchen fiel er auf den Bootsboden zurück. Sie waren da! Zwei! Die Angst packte ihn und fuhr ihm tief in die Knochen. Sie ließ ihn nicht mehr los und schüttelte ihn.

      Sie waren da und hatten ihn entdeckt.


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