Seewölfe - Piraten der Weltmeere 83. Roy Palmer
hatte sich bis auf eine kurze Hose seiner gesamten Kleidung entledigt. Das naßgeschwitzte weiße Hemd lag irgendwo in der Ecke seiner Kammer, gleich neben dem ledernen Wams, das ihm plötzlich auch zu eng geworden war.
In der Hose und den hohen Schaftstiefeln hatten seine Beine und Füße gleichsam zu brennen begonnen, und bei jedem Schritt hatte es unangenehm in den Stiefeln gequatscht. Darum hatten auch die vertrackte Hose und die verdammten Stiefel ihren Ehrenplatz in der Kammer gefunden. Fast wäre er auf die Heckgalerie hinausgetreten und hätte das ganze Zeug über Bord gefeuert.
Jetzt stand er auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“ und schwitzte immer noch. Sein braungebrannter Körper glänzte bronzefarben unter den heißen Strahlenbündeln der Sonne. Aber wenigstens war noch der warme Wind vorhanden, der von der offenen See herüberblies und die „Isabella“ und den schwarzen Segler vor sich hertrieb.
Hasard wußte, daß er darüber froh zu sein hatte. Längst hatte er damit gerechnet, in eine Flautenzone zu geraten, dorthin, wo kein Windhauch die schwüle Luft aufrührte. Für ihn und seine Crew, für Siri-Tong und ihre Mannschaft wäre dies die Hölle auf Erden – und es konnte immer noch eintreten.
Deswegen verdrängte er seinen Ärger über die unerträgliche Hitze. Was konnte er auch daran ändern?
Er blickte zu dem schwarzen Schiff hinüber. Der stolze Viermaster lief an Backbord der „Isabella“, auf gleicher Höhe mit ihr. Siri-Tong stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und winkte zu ihm herüber. Sie schien ihn die ganze Zeit beobachtet zu haben. Hasard grinste und grüßte zurück.
Die Rote Korsarin hatte sich auch einiger Kleidungsstücke entledigt, das erkannte er mit bloßem Auge. Natürlich konnte sie sich nicht so weit entblättern wie die Männer – es hätte prompt sämtliche Urtriebe der Burschen wachgerüttelt. Eine Meuterei und Rauferei wären unumgänglich gewesen.
Schon so bot Siri-Tong einen Anblick, den man in feineren Gesellschaften als dieser hier als „anstößig“ bezeichnet hätte. Ihre schwarze Hose war bis über die Knie hinauf hochgekrempelt und lag eng an. Die rote Bluse hatte sie sich über dem Bauchnabel zusammengeknotet und sonst nicht zugeknöpft. Sie gab mehr preis als sie verhüllte. Hasard konnte sich nicht bezwingen. Er nahm das Spektiv zur Hand und blickte durch die Optik zu der Frau hinüber.
O ja, sie war verteufelt schön. Ihre langen schwarzen Haare waren vom Wind leicht zerzaust. Sie umrahmten ein ebenmäßiges Gesichtsoval, in dem nur die leicht schräggestellten Mandelaugen und die ausgeprägten Jochbeine von der fremdländischen Herkunft Siri-Tongs kündeten.
Hasards Blick glitt über den Kirschmund, Kinn und Hals tiefer und verharrte auf Siri-Tongs stolz geschwellten Brüsten. Manch einer wäre bereit gewesen, für diese Pracht bis aufs Messer zu kämpfen. Und einen Mann, der seit Wochen keine Frau gehabt hatte, konnte dies alles glattweg um den Verstand bringen.
Aber Siri-Tong wußte ihren Haufen zu bändigen. Sie regierte mit eiserner Hand. Konsequent befolgte sie ihre Prinzipien, und wer sich nicht danach richtete, der büßte mit seinem Leben für seine Unbotmäßigkeit.
Bei aller Zurschaustellung ihrer fraulichen Reize hatte Siri-Tong ein tiefverwurzeltes moralisches Empfinden. Es gebot ihr Zurückhaltung. Der einzige, „den sie an sich heranließ“, wie ihre Piraten das auszudrücken pflegten, war Hasard. Siri-Tong liebte den Seewolf.
Er nahm das Spektiv wieder etwas höher und sah, wie sie lächelte. Dann warf sie ihm sogar eine Kußhand zu.
Hasard setzte den Kieker ab.
„Du verflixter Satansbraten“ sagte er leise. „Ich weiß, was du willst. Aber wir müssen es auf später verschieben. Es ist viel zu heiß.“
Er wandte sich dem Quarter- und Hauptdeck zu, wo seine Crew in der gleichen Aufmachung wie er schuftete. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Darum ließ Carberry ihnen auch jetzt kaum eine Minute Ruhe. Neben der normalen Decksarbeit mußte endlich wieder richtig aufgeklart werden. Bei dem Kurs, den sie zur Zeit steuerten, hatten sie die nötige Ruhe dazu. Die einzige Widrigkeit war die erdrückende Hitze – und deshalb fluchten die Männer.
Es war Ende April 1583 und heißer als in den Monaten Juli und August in der Karibik. Kein Wunder – die „Isabella“ und der schwarze Segler befanden sich dem Äquator sehr nahe. Ihre genaue Position war an diesem Morgen 2 Grad 30 Minuten nördlicher Breite und 50 Grad westlicher Länge. Das Mündungsgebiet des Amazonas lag nicht mehr weit entfernt.
Temperatur und Luftfeuchtigkeit stiegen von Stunde zu Stunde. Aber die Mannschaften der Schiffe mußten sich damit abfinden, und außerdem konnten sie noch frohlocken, weil der warme Wind aus Nord bis Nordost blies. Mal hatten die „Isabella“ und der Viermaster ihn raumschots, mal halbwinds. Sie segelten mit Backbordhalsen über Steuerbordbug, liefen gute Fahrt und das Wetter war beständig. Eigentlich konnte nach allem, was sie hinter sich hatten, jetzt nichts mehr schiefgehen.
Aber vor Überraschungen war man nie sicher.
Nach den Ereignissen auf der Teufelsinsel und in Guayana waren die Spanier ihnen immerhin noch auf den Fersen. Eigentlich hätten Hasard und seine Crew längst tot sein müssen, aber sie hatten dem Gegner mal wieder ein Schnippchen geschlagen, eine Tatsache, die die Dons ihnen nicht verzeihen wollten und konnten. Ihr Haß gegen „El Lobo del Mar“ schwelte und wurde immer wieder neu angeheizt. Daß es zum größten Teil ihre eigene Schuld war, weil sie sich wieder und wieder mit Hasard anlegten und dabei den kürzeren zogen, bedachten sie natürlich nicht.
Vorläufig zeigte sich kein feindliches Schiff an der Kimm. Aber Hasard blieb ständig auf der Hut. Unachtsamkeit, das hatte sich immer wieder bestätigt, konnte den Kopf kosten.
So gesehen war die Hitze ein Gefahrenfaktor. Hasard verweilte also die meiste Zeit am Oberdeck und hielt die Augen offen. Wo es an der nötigen Disziplin zu mangeln drohte, griff er ein.
Carberrys Stimme tönte zu ihm herauf.
„Ihr Kanalratten, ihr Strolche“, wetterte der Profos. „Wollt ihr wohl arbeiten? Laßt bloß keinen Schlendrian einreißen, sonst gibt’s was auf die Hörner. Heda, euch treibe ich die Flausen schon aus, die ihr im Kopf habt, ihr karierten Decksaffen. He, Bill, willst du wohl die Planken schrubben, oder soll ich dir den Schwabberdweil um die Ohren hauen? Hey, Matt Davies, da müssen noch ein paar Fallen klariert werden, hast du Kokosnüsse auf den Klüsen, oder was ist los? Muß ich dir erst die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch ziehen, damit du in Gang kommst, was, wie?“
Es war die übliche Litanei. Edwin Carberry war ja bekannt für seine wortgewaltigen Drohreden. Aber heute fiel er der Crew damit erheblich auf die Nerven.
Matt Davies gab einen knurrenden Laut von sich. „Verdammt, wie kann der bei der Hitze bloß noch so große Töne spucken?“ murmelte er, während er sich anschickte, den Befehl auszuführen.
„Vielleicht hat ihm die Sonne sein letztes bißchen Verstand eingetrocknet, und er weiß nicht mehr, was er von sich gibt“, sagte Blacky.
Er schielte zum Profos hinüber. Jeder Mann auf der „Isabella“ lief zwar halbnackt herum, hatte sich aber eine Kopfbedeckung beschafft, um gegen die Sonnenglut wenigstens von oben her geschützt zu sein. Es waren Mützen und Hüte unterschiedlichster Beschaffenheit, und ihr Alter ließ sich in den meisten Fällen schwerlich schätzen.
Nur Carberry hatte standhaft dagegen gekämpft, sich etwas Derartiges auf seinen mächtigen Schädel zu stülpen. Er wollte keinen „Speckdeckel.“
„Die Flausen, von denen er dauernd faselt, hat er bald selbst im Kopf“, zischte Bill. „Er wird Schmetterlinge fangen, die es überhaupt nicht gibt, und weiße Elefanten übers Wasser laufen sehen.“
„Sonnenstich?“ fragte Bob Grey.
„Totale Mattscheibe“, raunte Bill ihm zu.
Carberry hatte sich in Marsch gesetzt und stapfte auf sie zu. „Ihr da! Was habt ihr zu tuscheln?“
„Nichts, Ed“, sagte Blacky grinsend.
„Ich habe aber gehört, daß ihr gemurrt und geflucht