Seewölfe - Piraten der Weltmeere 200. Kelly Kevin
wie die Crew den seltsamen Verband nannte, mit Leichtigkeit davonsegeln.
Der Seewolf sah plastisch vor sich, wie der fette, selbstherrliche Mogul mit seinem Turban und den Prachtgewändern jetzt vor Wut tobte.
Schon die erste Begegnung mit diesem größenwahnsinnigen Narren war alles andere als erfreulich verlaufen. Abu Bashri suchte seine Enkelkinder und deren angeblichen Entführer, einen Eurasier namens Erland Surraj. Der Mogul war überzeugt davon, daß die Engländer den Gesuchten irgendwo an der australischen Küste begegnet sein mußten. Die Wahrheit wollte er nicht glauben. Er hatte es mit Bestechungen versucht, dann mit massiven Drohungen, aber da war er bei den Seewölfen gerade an die richtigen geraten.
Sie hatten ihm die Zähne gezeigt, ihn ausmanövriert und ihm klargemacht, daß zumindest sein prachtvolles Flaggschiff als Treibholz enden würde, wenn er einen einzigen Schuß abgeben ließ.
Die Karavelle, die er als Verfolger hinter der englischen Galeone herjagte, mußte sich mit zerfetztem Bugspriet zurückziehen. Damit, so glaubten die Seewölfe, hatte es sich dann, doch das war ein Irrtum gewesen.
Mitten im Sturm fischten sie zwei Kinder aus der kochenden See: Yabu und Yessa, in denen sie unschwer die Enkel des fetten Moguls erkannten.
Von den Kindern erfuhren sie, daß Erland Surraj ihr Vater war, daß er sie durchaus nicht entführt, sondern zu sich genommen hatte, um nach dem Tod ihrer Mutter für sie zu sorgen. In einer kleinen Bucht an der australischen Küste hatten sie zusammen mit einer Gruppe entflohener Sklaven eine Siedlung gegründet. Die Kinder waren dort glücklich gewesen, sie liebten ihren Vater abgöttisch – und für die Seewölfe war klar, daß sie die beiden zu ihm zurückbringen mußten.
Aber in der Bucht ankerte inzwischen die Tiger-Flotte.
Abu Bashri hatte den Eurasier gefangengenommen und schien entschlossen, ihn zollweise umzubringen. Für die Crew der „Isabella“ gab es auch diesmal kein Zögern. Nicht einer der Männer war bereit, tatenlos zuzusehen, wie ein Wehrloser zu Tode gefoltert wurde. Deshalb hatten sie im Schutz der Dunkelheit einen Stoßtrupp auf dem Landweg zu der Bucht geschickt, und inzwischen befand sich Erland Surraj an Bord der „Isabella“.
Yabu und Yessa hatten ihn stürmisch begrüßt.
Jetzt hockten die beiden mit Hasard und Philip zusammen, den zehnjährigen Zwillingssöhnen des Seewolfs. Die Unterhaltung wurde teils auf Türkisch, teils auf Spanisch geführt. Yabu und Yessa wirkten immer noch ein wenig besorgt, denn sie konnten sich denken, daß ihr Vater einiges ausgestanden hatte. Aber sie wußten, daß er nicht schwer verletzt war und noch auf den Beinen stehen konnte, und das genügte ihnen vorerst.
Die „Isabella“ rauschte mit raumem Wind unter Vollzeug nach Nordwesten.
Ed Carberry, der Profos, tobte auf der Kuhl herum, fluchte und trieb die Männer an. Achteraus über der Kimm waren noch nicht einmal Mastspitzen zu sehen, also konnte der Seewolf das Achterdeck getrost für eine Weile verlassen.
In der Kombüse war der Kutscher, Koch und Feldscher an Bord, mit Blackys Hilfe dabei, Erland Surrajs mißhandelten Rücken zu verarzten.
Der Eurasier kauerte auf einer umgedrehten Pütz: ein großer, braunhäutiger Mann, sehnig und muskulös, nur mit einer einfachen Hose aus weichem Ziegenleder bekleidet. Struppiges Haar und ein dichter, schon ergrauender Bart umgaben ein noch junges Gesicht, in dem die dunklen malaiischen Züge mit den wasserhellen Augen einen seltsamen Kontrast bildeten.
Die gleichen hellen Augen und die gleichen kräftig gezeichneten dunklen Gesichter hatten auch Yabu und Yessa. Niemand, der sie zusammen mit dem Eurasier gesehen hatte, konnte daran zweifeln, daß Erland Surraj wirklich ihr Vater war.
Als sich das Schott öffnete, wollte er aufstehen, aber Hasard winkte ab, und der Kutscher hielt seinen Patienten energisch am Arm fest. Surraj lächelte matt. Er mußte heftige Schmerzen haben, aber er beherrschte sich eisern.
„Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Kapitän Killigrew“, sagte er in akzentfreiem Spanisch. „Sie haben meinen Kindern das Leben gerettet und mir ebenfalls.“
„Wir haben nur getan, was selbstverständliche Menschenpflicht war, Kapitän Surraj.“
In dem harten Gesicht des Eurasiers zuckte es. Wahrscheinlich dachte er an sein Schiff, an die „Candia“, die als zerschossenes Wrack auf den Klippen lag.
„Sie haben mehr getan“, sagte er ruhig. „Kein anderer hätte es gewagt, Abu Bashris Flotte zu trotzen.“
Der Seewolf zuckte mit den Schultern. „Wir haben etwas gegen großmäulige Halunken, die sich auf Schwächere stürzen und sich einbilden, die ganze Welt müsse nach ihrer Pfeife tanzen“, erklärte er ruhig. „Und dieser Mogul von Annampar ist einer der großmäuligsten Halunken, die mir je begegnet sind.“
„Mogul?“ Erland Surraj verzog verächtlich die Mundwinkel. „Er ist so wenig Mogul, wie ich der Große Chan bin. Abu Bashri ist nichts weiter als ein raffgieriger Pirat, der sich auf einer Insel eingenistet, die Eingeborenen versklavt und sich mit einem Phantasie-Titel geschmückt hat. Jetzt beherrscht er dort wirklich ein kleines Königreich, schon seit vielen Jahren. Seine Halunkenbande hält zu ihm, weil er ihnen reiche Beute und ein Leben in Saus und Braus verschafft. Die Sklaven, die er zusammengeraubt hat, müssen schuften wie Tiere. Und er selbst – er hat wohl irgendwann den Verstand verloren – ist endgültig größenwahnsinnig geworden. Er hält sich inzwischen wirklich für den Mogul von Annampar. Und wehe dem, der es wagt, ihm etwa nicht die nötige Ehrerbietung zu zeigen.“
Erland Surraj hatte sich in Hitze geredet.
Seine Kiefermuskeln spielten, die hellen Augen funkelten vor Zorn. Hasard war überzeugt davon, daß der Mann die Wahrheit sagte. Jedes Wort paßte genau zu dem Bild, das auch er selbst von dem fetten Abu Bashri gewonnen hatte.
„Und dieser Bursche ist tatsächlich der Großvater der beiden Kinder?“ fragte der Seewolf gedehnt.
Das Funkeln in Erland Surrajs Augen erlosch. Sekundenlang ging sein Blick ins Leere, als hänge er düsteren Erinnerungen nach.
„Ja“, sagte er leise. „Abu Bashri ist Yabus und Yessas Großvater …“
Und dann, langsam und stockend zuerst, begann er zu erzählen.
Die Geschichte seines Lebens. Die Geschichte eines abenteuerlichen Schicksals, wie es nur ein Mann erleben konnte, der auf den sieben Meeren zu Hause war.
Seefahrer und Abenteurer waren Erland Surrajs Vorfahren: Chinesen und Malaien, Spanier und Skandinavier, denen er den nordischen Vornamen und die hellen Augen verdankte. Seinen Vater hatte es aus dem fernen Osten über die alte Seidenstraße in die Levante verschlagen. Seine Mutter, Tochter eines Norwegers und einer Spanierin, war auf dem Schiff ihres Vaters barbareskischen Seeräubern in die Hände gefallen und als Sklavin verkauft worden. Das gleiche Schicksal, das auch Shamal Surraj erlitt, das sie einander begegnen ließ – und das sie zusammenschmiedete.
Sie konnten fliehen.
Gemeinsam schlugen sie sich quer durch das Maghreb und die Levante. Irgendwie überlebten sie, und am Ende besaß Surraj sogar ein eigenes Schiff – eine lange, abenteuerliche Geschichte, die er seinem Sohn später oft erzählte. Erland Surraj wurde auf hoher See im Sturm geboren. Das Schiff war seine Wiege, und auf See wuchs er auf, nachdem seine Mutter vor der afrikanischen Küste am Fieber gestorben war.
Schwimmen lernte er, noch ehe er laufen konnte. In den ersten Jahren seines Lebens sah er die halbe Welt, und als er zehn war und das Schiff seines Vaters im Sturm kenterte, segelte er ganz allein zehn Tage lang in einem winzigen Boot bis zur Küste.
Gefangenschaft, Sklaverei, neue Gefangenschaft – es gab wenig, was das Schicksal ihm erspart hatte.
Von der Pressgang einer chinesischen Dschunke geschanghait, gelangte er bis in das Reich des Großen Chan.
Vierzehn war er, als er seinen zweiten Schiffbruch erlebte. Diesmal wurde er von einer spanischen Galeone aufgefischt. Erland Surraj sah das Mittelmeer wieder, an das er sich nicht mehr bewußt erinnerte. Er lernte