Seewölfe - Piraten der Weltmeere 322. Fred McMason
auf die Matte und horch die Koje ab.“
„Das tue ich jetzt auch. Macht’s gut.“
Er gähnte so ausgiebig wie Smoky zuvor, dachte nur noch an seine Koje und enterte ganz langsam ab zum Quarterdeck. Nur noch ein paar Yards, dann konnte er sich langlegen, ein wenig das Geschaukel der Wellen genießen, ohne am Ruder stehen zu müssen, und dann schlafen, nichts als schlafen.
Ist doch verdammt hart, so ein Törn, dachte er. Pete Ballie stand immer wie selbstverständlich da achtern, als hätte er zeit seines Lebens nichts anderes getan.
Aber für einen, der das nicht so oft tat, war das wahrhaftig kein Spaß, den man mit links erledigte.
Er reckte die Arme, drückte die Brust heraus und gähnte wieder. Seine Augen waren vor Müdigkeit schon halb geschlossen.
Er hielt sich auch nicht am Geländer des Backbordniederganges fest, als er abenterte.
In diesem Augenblick holte der Wind kurz Luft. Dann hielt er eine Sekunde lang den Atem an und blies ihn unter fürchterlichem Getöse schlagartig aus. Die einfallende Bö ließ die „Isabella“ von oben bis unten hart erzittern. Gleichzeitig holte sie stark nach Lee über, und über das Schanzkleid der Kuhl stieg an Backbord wild und brüllend die See ein. Für Augenblicke war es durch Schaum und Gischt fast hell an Deck.
Dann erreichte das Wasser Gary Andrews und hob ihn hoch. Durch die starke Krängung des Schiffes verlor er augenblicklich den Halt.
Er war so überrascht, daß es ihm den Mund verschloß und kein einziger Ton über seine Lippen drang. Wild suchte er nach einem Halt, doch da war nichts, er griff nur in die Luft und spürte, daß er über die Backbordseite in die See flog.
Es ging alles so schnell, daß Gary Andrews im ersten Moment regelrecht verblüfft war und es noch gar nicht fassen konnte, was ihm da widerfuhr.
Er fühlte mehr, als er sah, daß er mit dem Körper fast auf der Backbord-Besanrüste landete, und streckte erneut abwehrend die Hände aus, um sich nicht die Knochen zu brechen.
Dann wollte er überrascht schreien, doch auch dazu blieb ihm keine Zeit mehr. Er klatschte in die See und ging sofort unter. In seinen weit geöffneten Mund drang ein Schwall kalten Salzwassers, das er vor Schreck prompt schluckte.
Er wußte nicht mehr, ob er oben oder unten war, ob er dem Meeresgrund entgegenschwamm oder an die Oberfläche geriet. Der „Hinauswurf“ war so überraschend erfolgt, daß er sich nicht orientieren konnte.
Um ihn herum war ein Wirbel aus schaumigem Wasser, ein Sog, der ihn mitriß, und ein Kochen und Brodeln, das ihn weiter in einen Strudel schleuderte.
Zum zweitenmal schluckte er Wasser und begann wie ein Irrer nach oben zu paddeln. Er hustete, würgte und spie Wasser aus, das ihm teuflisch in den Lungen brannte.
Aber seine Müdigkeit war schlagartig verflogen, denn was ihm nun bevorstand, das wußte er. Gary verfiel nicht in Panik – er hatte tausend gefährliche Situationen heil überstanden —, er versuchte nur, sich blitzschnell zu orientieren, was ihm ungemein schwer fiel.
Als er den Schädel über Wasser hatte, drückte ihn eine zweite Welle augenblicklich wieder nach unten, und erneut begann er aufgeregt zu paddeln und wollte durch einen Schrei auf seine Lage hinweisen. Die Männer auf dem Achterdeck mußten ihn doch noch hören.
Aber sie hörten ihn nicht, denn auch dieser Schrei wurde durch das kalte Salzwasser erstickt.
Zum zweiten Male tauchte er auf, und dann sah er die schreckliche Wahrheit deutlich und plastisch.
Die Heckpartie der „Isabella“ zog davon wie ein gigantischer drohender Schemen, riesig groß und mächtig wie ein Ungeheuer.
Ein milchiger Schein ergoß sich über das Wasser, ein Anflug von schützender und anheimelnder Helligkeit, der rasch verflog und in der Finsternis der Nacht gleich darauf unsichtbar wurde.
Entsetzt starrte Gary Andrews dem dunklen Gebilde nach, und in einer Art von Galgenhumor dachte er: Aus der Traum von der Koje, endgültig aus! Jetzt geht es ums nackte Überleben. Er versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und diesmal gelang es ihm auch, einen Schrei auszustoßen, doch den drückte der Wind zurück, und er verhallte wiederum ungehört.
Jetzt schwamm er allein in der Ostsee, dem Meer, das sie immer so verächtlich als Pißrinne für Schwäne und Enten bezeichnet hatten.
Er wußte, daß ihm ein harter Kampf bevorstand, der letzte und längste vermutlich in seinem Leben, es sei denn, sie hätten auf der „Isabella“ seinen Schrei noch gehört.
In diesen höllischen Augenblicken war er der einsamste Mann auf der ganzen Welt. Er rechnete sich auch keine große Chance zum Überleben aus.
Aus, dachte er nüchtern, das ist das Ende!
Ein paar Augenblicke vorher:
Als die „Isabella“ hart überkrängte, griff Smoky zwar noch blitzschnell und hart nach den Ruderspeichen, um anzuluven, doch der Griff erfolgte zu spät. Zu schnell war die Bö eingefallen, und so konnte er sich am Ruder nur noch festhalten.
Sam Roskill, der ebenfalls auf dem Achterdeck erschienen war, bemerkte auch nichts. Beim plötzlichen Wegkrängen knallte er gegen das Ruderhaus und fluchte erbittert.
Dan O’Flynn beugte sich im Ruderhaus hinter Smoky gerade über eine Seekarte und versuchte beim schwachen Licht der Öllampe etwas zu entziffern, als ihn der Schlag an die Innenwand warf. Sein lästerlicher Fluch galt dem Rudergänger und Decksältesten Smoky.
„Himmel Herrgott noch mal!“ brüllte er den selbst überraschten Smoky an. „Kannst du Affenarsch denn nicht aufpassen! Du weißt doch, daß wir mit Böen rechnen müssen, verflucht noch mal!“
„Tut mir leid“, brummte Smoky, „aber die haute so schnell rein, daß ich nichts mehr tun konnte.“
„Wenn man dich schon mal ans Ruder stellt“, brummte Dan zurück, „dann gibt’s gleich Kleinholz. Du solltest mal bei Pete wieder in die Lehre gehen und ein paar Stunden Unterricht nehmen.“
„Verdammt, ich konnte nichts mehr tun“, verteidigte sich Smoky. „Die anderen flogen auch alle durcheinander.“
Das stimmte allerdings, wie Dan zugeben mußte, denn die anderen Männer der Hundewache griffen wahllos zu und klammerten sich an alles, was sie packen konnten. Die See war wie eine riesige weiße Wand hochgestiegen, hatte das Schiff auf die Seite gelegt und lief nun zischend und rauschend durch die Speigatten ab. Der Gischt stäubte bis an die Hecklaterne.
So hatte also niemand etwas gehört oder gesehen, als Gary Andrews über Bord ging. Jeder der Arwenacks wähnte ihn jetzt im Quartier und damit in der Koje.
Die abgelöste Wache befand sich auch gerade dort, und beim harten Wegkrängen flogen Blacky, Matt Davies und Bill durcheinander und landeten bei den anderen Schläfern in den Kojen.
Entsprechend laut war das Gebrüll und Gefluche, das nun auch die letzten Mitternachtsschläfer unsanft aus ihrem Schlummer riß.
Matt Davies konnte sich nicht halten und sauste auf Blacky zu, und als der auszuweichen versuchte, schlitzte ihm der scharfe Haken von Matts Prothese die Hose auf. Auch ein Stückchen Fleisch nahm der Haken vom Oberschenkel noch mit.
„Paß doch auf, du Meisenarsch!“ brüllte Blacky. „Wenn du deinen Haken ausprobieren willst, dann tu das am Holz und nicht an meinen Knochen. Du hast mich von oben bis unten aufgeschlitzt.“
„Und du Blödmann mußt mir gerade in den Weg rennen!“ schrie Matt erbost zurück. „Auf meinem Schädel wächst eine Beule, und die tut auch verdammt weh.“
„Eine Beule!“ rief Blacky verächtich. „Eine scheißkleine Beule, he? So was zählt man nicht als Verletzung. Dein Haken …“
Aus einer der Kojen fuhr Luke Morgan hoch, aus der anderen Jeff Bowie, und in der dritten setzte sich Jack Finnegan auf und knallte prompt mit dem Schädel ans Holz.
„Was schreit