Seewölfe - Piraten der Weltmeere 506. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 506 - Roy Palmer


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Dolores trug ein tief ausgeschnittenes Kleid. Ihre Hüften wippten aufreizend bei jedem Schritt. Dicht vor der Tafel blieb sie stehen. „Señor Kommandant wünschen?“

      „Wein“, sagte de Escobedo.

      Maria Dolores nickte und holte einen Kristallkelch und einen Krug. Lächelnd füllte sie den Kelch mit schwerem dunkelrotem Wein und setzte ihn de Escobedo vor.

      De Escobedo trank. Er schnalzte mit der Zunge und sagte: „Ein wirklich vorzüglicher Tropfen.“

      „Soll ich nachschenken?“ fragte Maria Dolores.

      „Nur zu.“

      Maria Dolores ließ den Wein erneut in den Kelch plätschern. Am liebsten hätte sie ihn dem eingebildeten, arroganten Laffen ins Gesicht gekippt. Aber sie hütete sich, auch nur etwas von dem Widerwillen durchblicken zu lassen, den sie diesem Mann gegenüber empfand. Schließlich hatte man ja so etwas wie eine Berufsehre. Und Maria Dolores war gut in ihrem Fach.

      „Zum Wohl“, sagte sie.

      De Escobedo leerte den Kelch, setzte ihn auf dem Tisch ab und zog die Hure zu sich heran.

      „Wann gehst du eigentlich zu Bett, Schätzchen?“ fragte er grinsend.

      „Wenn du es befiehlst, Señor Kommandant.“

      „Sehr gut. Mit wem?“

      „Mit wem du befiehlst, Señor Kommandant.“

      „Ausgezeichnet.“ De Escobedo erhob sich. „Ich kontrolliere jetzt die Posten. Halte dich zu meiner Verfügung.“

      „Zu Befehl.“

      „Jede Zuwiderhandlung wird streng bestraft“, sagte de Escobedo. „Wer nicht pariert, empfängt die Peitsche.“

      „Oh, wie schrecklich“, hauchte Maria Dolores. „Ich habe richtig Angst.“

      De Escobedo lachte rauh und verpaßte der Frau einen derben Hieb aufs Hinterteil. Sie kreischte und nahm Reißaus – de Escobedo ging zur Tür und trat auf den Flur. Draußen donnerte gerade wieder eine Drehbasse. Die Kugel flog über die Außenmauer der Residenz und knallte in eins der Fenster des Hauptgebäudes, das noch heil geblieben war. Klirrend zerbrach das Bleiglas. Wütende Rufe ertönten aus dem Palast. Irgendwo begann ein Kind zu weinen. Die Belagerer lachten roh und stießen höhnische Pfiffe aus.

      Mit erhobenem Kopf begab sich Alonzo de Escobedo ins Freie, ganz Feldherr und überlegener Potentat. Am liebsten hätte er eine zündende Ansprache an seine „Armee“ gehalten. Es mußte der Wein sein, der ihm zu Kopf gestiegen war. Seine Siegeseuphorie steigerte sich immer mehr. Mit hämischem Grinsen blickte er zur Residenz und dachte: Bald seid ihr reif.

      „Señor?“ sagte einer der beiden Posten vor der Eingangstür.

      De Escobedo drehte sich langsam um und musterte die Kerle. Der eine, ein Riese mit großem Kopf und winzigen Augen, hieß Boldrago, soviel war ihm bekannt. Und der andere? Richtig – sein Name war Soto. Soto fiel durch sein wüstes schwarzes Bartgestrüpp auf, das ihm bis auf die Brust reichte. In einer regulären Truppe wäre Soto bei der Rekrutierung unverzüglich rasiert worden. Aber es handelte sich nun mal um eine Meute von Hundesöhnen, und Äußerlichkeiten wie diese mußte de Escobedo hinnehmen. Es blieb ihm nichts anderes übrig.

      „Alles in Ordnung hier draußen?“ fragte de Escobedo überflüssigerweise.

      „Bestens in Ordnung, Señor Kommandant“, antwortete Boldrago, der Sprecher von vorher.

      „Weitermachen“, sagte de Escobedo. Er stieg die Treppe hinunter und schritt von Barrikade zu Barrikade, um die „Stellungen“ zu überprüfen.

      Boldrago und Soto warfen sich indessen einen Blick zu.

      „So ein Blödian“, sagte Soto. „Wozu brauchen wir den eigentlich?“

      „Er ist der Gouverneur“, brummte Boldrago.

      „Noch nicht.“

      „Er wird’s aber“, entgegnete der Riese. „Und Bastida ist damit einverstanden. Das darfst du nicht vergessen.“

      „Ich denke daran“, sagte Soto grimmig. „Aber in meinen Augen ist er trotzdem ein Blödian.“

      Keiner konnte Alonzo de Escobedo so recht leiden. Auch Gonzalo Bastida empfand für seinen Verbündeten keinen Funken Sympathie. Im Gegenteil. Der dicke Wirt verachtete de Escobedo. Irgendwann, so hatte sich Bastida bereits vorgenommen, würde er de Escobedo vom Gouverneurssessel stoßen und sich selbst auf den Thron setzen. Davon aber konnte de Escobedo, dieser Narr, nichts wissen.

      Weder Alonzo de Escobedo noch Gonzalo Bastida ahnten zu diesem Zeitpunkt, daß ihnen Unheil drohte – von der Faktorei des deutschen Handelsherren Arne von Manteuffel. Eine Jolle war am Kai gelandet. Vier Männer hatten sich heimlich in die Faktorei begeben.

      Bastida fühlte sich viel zu sicher. Er hätte Wachtposten aufstellen sollen. Welchen groben Fehler er durch diese Unterlassung begangen hatte, sollte er noch erfahren.

      Osvaldo, der Dieb, schreckte plötzlich von seinem Lager hoch. Er kroch zu El Sordo, dem Taubstummen, und rüttelte an dessen Schulter. Sofort schlug auch der Kumpan die Augen auf.

      „Geräusche!“ zischte Osvaldo. „Da ist jemand!“

      El Sordo bewegte aufgeregt die Hände. Es war zu dunkel. Er konnte die Worte nicht von Osvaldos Lippen ablesen. Osvaldo begriff und begann, in der Zeichensprache, die sie beide kannten, zu gestikulieren.

      El Sordo zückte sein Messer. Geduckt schlich er zur Tür. Osvaldo war hinter ihm. Auch er zog das Messer aus dem Gurt.

      Sie öffneten die Tür spaltbreit und spähten auf den Flur. Nichts regte sich. Und doch hörte Osvaldo es genau in diesem Moment wieder: etwas schepperte verhalten. Der Laut schien aus dem Raum zu kommen, in dem Maria schlief.

      Das Haus, in dem die beiden Diebe und das Mädchen ihre Lager aufgeschlagen hatten, stand nur wenige Schritte von der Plaza entfernt. Es war eins der Gebäude, das von seinen Bewohnern geräumt worden war, als die große Plünderung in Havanna begonnen hatte. Im Hof wurden Ochsen und Ferkel am Spieß gebraten – Osvaldos, El Sordos und Marias Aufgabe, die zu de Escobedos „Versorgungstruppe“ gehörten.

      Die vierte im Bunde war Juanita, eine von Bastidas Huren. Man hatte Freundschaft geschlossen und paßte irgendwie gut zusammen. So war auch der Plan des Quartetts gereift, gemeinsam aus Havanna zu verschwinden, bevor es zu spät dazu war.

      Das eigentliche Problem aber war Maria. Die Dreizehnjährige hatte sich als Junge verkleidet. Sie hatte Angst davor, von den Kerlen mißhandelt zu werden. Im Hause ihres ehemaligen Dienstherrn Don Felipe hatte sie schlechte Erfahrungen gesammelt. Osvaldo und El Sordo hingegen hatten sie aus einem Kellerverlies befreit in dem sie wie ein Tier dahinvegetiert hatte. Die beiden hatten sie anständig behandelt. Maria würde ihnen dies nie vergessen. Das waren eben „anständige Diebe“.

      Cuchillo, Bastidas gefährlichster Leibwächter, schien allerdings den Verdacht zu hegen, daß der vermeintliche Mario kein richtiger Junge war. Cuchillo hatte es auf das Mädchen abgesehen. Man mußte ständig damit rechnen, daß er auftauchte, um sich näher mit ihr zu befassen.

      Aus diesem Grund hatten Osvaldo und El Sordo in der Kammer neben der Treppe Posten bezogen. Marias Kammer befand sich weiter hinten. Man mußte also an den beiden vorbei, um das Zimmer des Mädchens zu erreichen.

      Jetzt schien sich herauszustellen, daß Osvaldos Rechnung nicht aufging. Er konnte nicht ständig auf der Hut sein. Er hatte so tief und fest wie ein Bär geschlafen. Und El Sordo hörte sowieso nichts. Ein Eindringling befand sich im Haus – sie hatten ihn nicht bemerkt. Er bedrohte Maria!

      Osvaldo und El Sordo schlichen nebeneinander über den Flur zu der Kammer des Mädchens. Osvaldo war als erster an der Tür. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. Cuchillo war ein blitzschneller, gewandter Messerkämpfer. Es würde nicht leicht sein, ihn zu überrumpeln. Aber – immerhin waren sie ja zu zweit.

      Mit


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