Seewölfe - Piraten der Weltmeere 563. Fred McMason
Basar. Etwas später sollte noch ein Abstecher zum Ägyptischen Basar folgen.
Der Profos schritt mit einem solchen zufriedenen Gesichtsausdruck daher, wie sie es selten an ihm gesehen hatten. Der Kutscher lächelte heimlich über die Glückseligkeit in dem wilden und narbigen Gesicht, dem „lieben Ed“ schien es hier ausnehmend gut zu gefallen, aber das war schließlich kein Wunder, denn hier taten sich alle Schönheiten des Orients auf.
Es gab Schleierladys, Bauchtänzerinnen, Gaukler, Bärenführer, Bratschenspieler, Goldschmiede, Händler und Marktschreier, daß es die reine Freude war.
Immer wieder blieben sie fasziniert stehen und sahen sich alles genau an.
„Wenn man bedenkt, was wir im Schwarzen Meer so alles versäumt haben“, sagte Carberry nachdenklich, „dann ist das hier eine ganze Menge, was einem geboten wird. Wir haben ja Zeit, also sehen wir uns alles in aller Ruhe und gründlich an. Wir können ja weiterschlendern, ein bißchen rumfressen, dann wieder ein kleines Schlückchen und so weiter, bis der Tag gelaufen ist.“
Der Kutscher sah ganz dezent und „rein studienhalber“ einer Lady nach, die einen zartgrünen Schleier trug und ihm einen schmachtenden Blick schenkte. Der Blick aus kohlschwarzen Augen brannte sich sekundenlang in seine Augen. Daraufhin seufzte der Kutscher verhalten.
Carberry grinste bis an die Ohren. Smoky und Luke Morgan starrten der Lady nach, und da begann auch Jung Philip zu grinsen.
„Jaja, die Ladys“, sagte Carberry versonnen. „Da geht sogar dem braven Kutscherlein das Herz in Flammen auf.“
„Mir geht gar nichts in Flammen auf“, verwahrte sich der Kutscher. „Ich pflege lediglich Land und Leute zu studieren, und wenn ich jemanden ansehe, dann geschieht das nur Interesse halber.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos ernst. „Womit du also zugibst, daß du Interesse an der Lady hast. Na ja, das ist durchaus verständlich, sie ist wirklich verdammt hübsch. Du hättest ihr ein bißchen nachpfeifen sollen.“
„Das ist Rabaukentum, von dem ich mich ganz entschieden distanziere. Man pfeift einer Lady nicht nach.“
„Ich tue das immer“, versicherte Carberry. „Sonst dreht sie sich ja nicht mehr um.“
„Sie wird sich nach einem Pfiff sowieso nicht umdrehen. Außerdem finde ich das geschmacklos.“
Der Profos hatte schon Daumen und Zeigefinger im Mund und stieß einen Pfiff aus. Und wahrhaftig – die Lady drehte sich ganz langsam um, blieb stehen und warf aus ihren kohlschwarzen Augen einen Blick zurück.
Der Kutscher, immerhin ein Mann von Welt, errötete leicht.
„Siehst du“, sagte der Profos überlegen, „so geht das. Vielleicht funktioniert das in der feinen englischen Gesellschaft nicht so einfach, aber hier klappt das immer. Soll ich die Lady mal für dich anpreien?“
„Himmel noch mal! Man preit keine Lady an, Ed. Untersteh dich!“
Aber da war die Lady schon im Gewühl verschwunden und nicht mehr zu sehen, was der Profos lebhaft bedauerte.
Luke Morgan hatte unterdessen sein Herz an etwas anderes verloren, und das betraf die türkischen Süßspeisen, denen er nicht widerstehen konnte. So stand er vor einer Bude und blickte begehrlich auf die Leckereien, die es da gab. Dabei schnüffelte er wie ein Jagdhund, der eine heiße Fährte entdeckt hat.
„Einfach himmlisch, diese vielfältigen Gerüche des Orients“, begann er zu schwärmen. „Da kann man nicht dran vorbei. Dieser betörende Duft von Honig und Mandeln, Nüssen und Rosenwasser, dieses Aroma von Pistazien und glasierten Melonenscheiben. Ah!“ Er schnalzte mit der Zunge und kramte eifrig eine Silbermünze hervor.
Sie blieben vor der Bude stehen, wo ein eifriger Händler mit einem kleinen Jungen zusammen leckere Sachen buk. Der Junge goß aus einer Schale zähflüssiges Zeug auf eine armlange Holzgabel und drehte sie dann eifrig.
Luke stand mit offenem Mund daneben und sah zu, wie sich die dunklen Fäden zu einem Gespinst zusammenwanden.
„Sieht fast aus wie der Bart vom Wikinger“, meinte er, weil er keinen besseren Vergleich fand. „Kann man das essen?“
Der Händler radebrechte, daß man das durchaus essen könne. Es sei eine Spezialität, genau wie die kandierten und gebrannten Mandeln, die so verlockend dufteten.
Etwas später hatte Luke ein gewaltiges Ding in der Hand, das noch größer und mächtiger als der Bart des Wikingers war. Dann zupfte er zaghaft mit den Zähnen daran herum.
Der Profos sah interessiert zu, wie sich der braune Kleister langsam wieder in seine einzelnen Fäden auflöste und zerrann. Das klebrige Zeug blieb in Lukes Gesicht hängen und pappte fest. Gleichzeitig auch löste sich die kandierte Schicht der gebrannten Mandeln langsam auf, und wenn Luke in die Hosentasche griff, dann klebten ihm sämtliche Finger zusammen, daß er sie kaum noch bewegen konnte.
„Fein, was, wie?“ höhnte der Profos. „Da laß ich mir lieber einen richtigen Bart wachsen. Du siehst aus, als hättest du dich hinter einem Gebüsch verkrochen. Wahrscheinlich pappt das Zeug bis zum Sankt-Nimmerleinstag und geht nie mehr weg. Da lobe ich mir doch was Kräftiges, Herzhaftes.“
Luke Morgan pappte und klebte zwar zum Gotterbarmen, doch das hielt ihn nicht davon ab, sich weiter mit Süßigkeiten einzudecken. Jetzt entdeckte er einen hölzernen Kübel, in dem der Türke herumstocherte.
Er packte Eier in den Kübel und verrührte sie. Dann fügte er Mandeln und Nüsse hinzu, dunklen Zucker, Honig und geleeartiges Zeug. Als die Masse zusammengerührt war, schob der Junge sie in einen Ofen, unter dem ein Holzkohlenfeuer brannte.
Gleich darauf verbreitete sich ein intensiver Duft, den selbst der Profos als verlockend empfand. Das klebrige Zeug nannte sich „Türkischer Honig“ und wurde dem Händler buchstäblich aus den Händen gerissen.
Luke Morgan war fünf Minuten später ebenfalls glücklicher Besitzer von Türkischem Honig. Der Honigmann flüsterte ihm hinter der vorgehaltenen Hand noch vertraulich zu, daß der Honig ganz speziell der Erhaltung und Förderung der Manneskraft diene. Daraufhin mußte sich Luke Morgan vom Profos einige derbe Bemerkungen gefallen lassen, als er mit seinem Honigtopf über den Platz von Kasimpasa marschierte.
„Der eine hat’s mit Räucherheringen“, sagte er, wobei er auf Mac Pellew anspielte, „der andere mit Honig. Ich glaube, ihr seid alle ein bißchen bescheuert.“
Der Profos und die anderen hatten es mehr mit dem Herzhaften, und auch sie konnten nicht widerstehen, als sie einen Stand passierten, von dem es ebenfalls lieblich roch.
Hier wurde Döner Kebab gebraten. Ein Mann drehte einen langen senkrechten Spieß, an dem ein großes Stück Hammelfleisch hing. Darunter befand sich ebenfalls glühende Holzkohle. Hin und wieder fiel ein Fettspritzer in die Glut, und dann wurde der Duft noch intensiver.
Sie bestellten sich eine ordentliche Portion. Während der Mann emsig den Spieß weiterdrehte und immer senkrecht hielt, säbelte ein anderer mit einem langen Messer schnell und gekonnt Fleischstücke ab, die in eine Kumme fielen. Das alles übergoß er anschließend mit einer scharfen Knoblauchsoße.
Die Arwenacks hauten rein, auch der Kutscher, der das als angenehme Abwechslung empfand. Heute hatte der Kutscher „kombüsenfrei“, während Mac Pellew die Kocherei übernommen hatte. Es waren ohnehin nur ein paar Seewölfe an Bord. Die meisten anderen trieben sich in kleinen Gruppen in Istanbul herum, sahen sich um und besuchten die Basare.
Auch die nächste Kneipe ließ der Profos nicht aus. Der Anisschnaps Raki hatte es ihm angetan, und so genehmigte er sich einen nach dem anderen.
Es war herrlich, hier zu sitzen und die ganzen vielfältigen Eindrücke an sich vorbeiziehen zu lassen. Sie genossen es so richtig und nach Herzenslust.
Nur Luke Morgan begann sich leicht unbehaglich zu fühlen. Er hatte zuviel von dem türkischen Honig und den anderen überzuckerten Süßigkeiten genascht, und so klebte und pappte er jetzt an allen Ecken und Enden.